Die Zypernverhandlungen vergangene Woche in Genf haben keine einzige der seit 42 Jahren bestehenden Blockaden überwunden. Es bleibt dabei, was Diplomaten spöttisch die „Zypernlösung“ nennen: Keiner ist mit dem Zustand zufrieden, doch niemand möchte ihn ändern.
Die Führer der griechischen und der türkischen Zyprioten tauschten erstmals Landkarten aus, in denen sie ihre geografischen Vorstellungen einer künftigen Föderation eingezeichnet haben. Als Bedingung für eine Wiedervereinigung fordern die Inselgriechen den Abzug der seit 1974 im Norden des Landes stationierten 30‘000 türkischen Soldaten. Die Antwort Ankaras liess nicht auf sich warten. „Der Totalabzug der türkischen Truppen aus Zypern steht nicht zur Diskussion“, erklärte Präsident Recep Tayyip Erdoğan am Freitag, „wir bleiben dort für immer.“
Der erbitterte Streit um eine Mittelmeerinsel mit etwas mehr als einer Million Einwohnern, die Mitglied der EU ist und den Euro eingeführt hat, wirkt völlig anachronistisch. Ein Drittel des Landes, die nur von der Türkei anerkannte „Türkische Republik Nordzypern“ ist von den Segnungen der EU ausgeschlossen. Als Währung gilt dort die türkische Lira, obwohl Euros gern angenommen werden. Gemeinsame Begierden, wie die Ausbeutung vermuteter Erdölfelder am Meeresgrund in Küstennähe, haben eine Annäherung der beiden getrennten Volksgruppen bewirkt. Doch ob der vom Wasser bedeckte Reichtum wirklich existiert, ist reine Spekulation. Eine von Israel beauftragte kalifornische Firma führt erst Probebohrungen durch.
„Enosis“
Die Wurzeln des Misstrauens liegen in der Geschichte Zyperns. Viele Völker beherrschten nacheinander die Insel, die im Altertum ein wichtiger Kupferproduzent war, die dem Metall den Namen gab. Nach Byzanz, dem französischen Adelsgeschlecht der Lusignan, Venedig und Genua wurde Zypern 1571 von den Türken erobert. Viele Zyprioten begrüssten die Osmanen als Befreier. 1878 besetzte Grossbritannien die Insel und wandelte sie 1925 in eine Kronkolonie um.
1960 wurde Zypern unabhängig. Grossbritannien, Griechenland und die Türkei erhielten die Rolle von Garantiemächten. Panhellenistische Rebellen setzten aber ihren Untergrundkrieg für einen Anschluss an Griechenland („Enosis“) fort, was auf den Widerstand der Inseltürken stiess. 1964 beschloss die Uno die Entsendung von Blauhelmen, um die beiden Volksgruppen auf Distanz zu halten. Die 1967 durch einen Staatsstreich an die Macht gelangte griechische Militärjunta ermunterte Offiziere der zypriotischen Nationalgarde im Juli 1974 zu einem Putsch mit dem Ziel, die Insel an Griechenland anzuschliessen (Enosis). Dem gewählten Präsidenten, Erzbischof Makarios III., gelang die Flucht ins Ausland. Die Türkei nahm diesen gewaltsamen Machtwechsel nicht hin. Unter Berufung auf ihren Status als Garantiemacht der Zypernverträge entsandte sie ein Expeditionskorps, das zunächst einen Brückenkopf in der nordzypriotischen Hafenstadt Kyrenia errichtete.
Türkischer Berichterstatter
Zur Beilegung des Konflikts wurde in Genf ein Treffen der Garantiemächte und der beiden zypriotischen Volksgruppen einberufen. Die Verhandlungen scheiterten. Der Schreiber dieser Zeilen war an der Konferenz für den „Tages-Anzeiger“ und die „Frankfurter Rundschau“ akkreditiert. Zu jener Zeit konnten die Journalisten noch unbehindert mit den Politikern und Diplomaten reden. Nach dem Fiasko der Verhandlungen rief mich der Führer der Inseltürken, Rauf Denktasch, an und fragte mich, ob ich ihn nach Ankara begleiten möchte.
Mehrere Uno-Korrespondenten erhielten das gleiche Angebot. Wir flogen also mit Denktasch in die türkische Hauptstadt, um dort zunächst in einem Hotel festzusitzen. Immerhin machte ich ein Interview mit dem damaligen Ministerpräsidenten der Türkei, dem Sozialdemokraten Bülent Ecevit. Dabei trug ich ihm meinen Wunsch vor, die inzwischen ausgeweiteten türkischen Militäroperationen als Augenzeuge zu verfolgen. Schliesslich stellte mir das Verteidigungsministerium einen Badge als türkischer Kriegsberichterstatter aus.
Wo sich Brigitte Bardot vergnügte
Mit einem Linienbus fuhr ich zum Luftwaffenstützpunkt Adana, wo ich einen Platz in einem Militärhelikopter fand. Nach der Landung auf einem Feld bei Nikosia wünschte mir ein Offizier viel Glück und sagte: „Now help yourself.“
Ich schlug mich in ein Hotel im türkischen Teil von Nikosia durch. Doch alle Telefonverbindungen waren gekappt und Handys gab es noch keine. Ich konnte einen Taxichauffeur überreden, mich mit seinem alten Amerikanerschlitten gegen hohes Entgelt herumzufahren. Wir fuhren immer querfeldein, weil die flüchtende griechisch-zypriotischen Nationalgarde die Strassen vermint hatte.
Mein erstes Ziel war die Stadt Famagusta und ihr Nobelvorort Varosha, der sich zu einem Treffpunkt der internationalen Prominenz entwickelt hatte. Elizabeth Taylor, Richard Burton, Brigitte Bardot und viele andere Schöne und Reiche pflegten sich in den Luxusherbergen am feinen Sandstrand zu vergnügen.
Griechische Scharfschützen
Mein Fahrer hielt an einem Kontrollposten, ich kletterte über die leeren Schützengräben. Die ersten Strassen waren von Türken aus Famagusta geplündert worden, doch das Zentrum Varoshas wurde von türkischen Soldaten abgeriegelt. Das frühere Ferienparadies war eine Geisterstadt geworden. Die Griechen flüchteten in Panik. Sie nahmen sich nicht einmal die Zeit, ihre Fernseher abzustellen. Es herrschte eine gespenstige Stille. Nur die offenen Fensterläden klapperten im Wind. Ich betrat ein verlassenes Geschäft, holte mir ein Bier und ein Sandwich aus dem Kühlschrank und badete im Meer.
Jede Stunde rasselte ein türkischer Panzer durch die menschenleeren Strassen. Ich begegnete einem Jeep mit schwedischen Blauhelmen, die mir zur Vorsicht rieten. Auf manchen Dächern gebe es noch griechische Scharfschützen.
Inszenierte Öffnung eines Massengrabes
Zwei Wochen lang fuhr ich in Nordzypern herum, machte Notizen und Fotos. Mein grösstes Problem war die Beschaffung von Benzin. An einer der für Zivilisten gesperrten Tankstellen sprach mich ein türkischer Soldat in österreichischem Dialekt an. Der junge Mann erzählte mir, dass er in Österreich arbeitete und bei seinem Urlaub in der Heimat zum Militär eingezogen wurde. Er liess den Tank meines Taxis bis zum Rand füllen.
Einmal luden die türkischen Militärs die wenigen ausländischen Journalisten zum Ort Maratha ein, wo die griechischen Bewohner vor ihrer Flucht 126 türkische Mitbürger ermordet hatten. Für die Presse inszenierten die Türken die Öffnung eines Massengrabs. Der Leichengestank und die Sommerhitze waren unerträglich. Das Bild einer getöteten Frau, die ein Kleinkind in ihren Armen hielt, ging um die Welt.
Journalisten-Tross im Hilton
Andere Massaker, bei denen türkische Zyprioten ihre griechischen Nachbarn umbrachten, wurden natürlich nicht thematisiert. Rund 1500 Inselgriechen sind seit der türkischen Invasion verschollen. Die Zahl der türkischen Opfer ist unbekannt.
Wie die anderen ausländischen Journalisten, die in Nordzypern arbeiteten, konnte ich meine Berichte nicht absetzen, weil es keine Leitungen gab. Ich ging also mehrmals über die von der Uno bewachte Pufferzone in den griechischen Teil von Nikosia, wo sich der Tross der Kollegen im Hotel Hilton drängte. Dort stand ein funktionierender Telex. Mein Unvermögen, kolportierte Geschichten über von den Türken begangene Massenmorde, Vergewaltigungen und andere Gräueltaten zu bestätigen, brachte mir offene Aversion ein.
Geöffnete Grenzübergänge
In den letzten Jahrzehnten habe ich regelmässig Zypern besucht. Einer meiner besten Freunde lebt dort. Der Blick auf die Geisterstadt Varosha von der griechischen Seite aus ist mittlerweile eine Touristenattraktion geworden, inklusive dem unentgeltlichen Verleih von Ferngläsern.
2003 wurden mehrere Grenzübergänge zwischen den beiden Teilen Zyperns geöffnet. Seit 2007 gehört auch die Fussgängerzone der Leda-Strasse in Nikosia dazu. Aber nur wenige Einheimische machen davon Gebrauch. Ein praktisches Hindernis ist, dass man beim Grenzübertritt eine zusätzliche Autoversicherung abschliessen muss.
Gute Zukunftsaussichten
Der Hauptgrund, warum Zypern nicht wieder zusammenwächst, liegt jedoch im mangelnden Interesse. Die historischen Führer der beiden Bevölkerungsgruppen, Glafcos Clerides und Rauf Denktasch, gingen noch zusammen auf die gleiche Schule. Die heutigen Inselgriechen und -türken haben nach der langen Trennung nicht mehr viel gemeinsam.
Bei den Verhandlungen geht es den Griechen vor allem um eine Entschädigung für ihre verlorenen Vermögenswerte. Sonst leben sie recht gut vom Tourismus, dem Bankwesen, dem Immobilienboom, einer gewissen Industrialisierung und der Schifffahrt.
Die Zyperntürken haben einen niedrigeren Lebensstandard, aber gute Zukunftsaussichten. Ihre langen Sandstrände sind praktisch unverbaut, mit geschützten Brutplätzen für Schildkröten. Die schönsten Städte, Kyrenia und Famagusta, liegen im Norden der Insel. Zahlreiche Ausländer, vor allem Briten, haben dort preiswerte Villen erstanden. Dass die Grundstücke einst Griechen gehörten, die 1974 geflüchtet sind oder vertrieben wurden, schert sie wenig. Unter diesen Umständen wird eine echte Zypernlösung wohl noch lange auf sich warten lassen.