Alle sprechen über die Präsidentschaftswahl. Doch die Parlamentswahlen sind genauso wichtig. Vor allem die Senatswahlen haben grossen Einfluss darauf, wie sich die USA in den nächsten Jahren entwickeln.
Der amerikanische Präsident ist der wohl mächtigste Mann der Welt. Doch ganz so mächtig ist er auch nicht.
Er kann wichtige Vorhaben nur durchsetzen, wenn beide Kammern des Parlaments (des Kongresses) ihn unterstützen: das Repräsentantenhaus und der Senat.
„Halbe Präsidenten“
Alle drei Präsidenten, die seit dem Jahr 2000 an der Macht waren, mussten immer wieder einige Jahre lang mit oppositionellen Parlamenten regieren.
In den USA nennt man einen Präsidenten, dessen Partei nicht in beiden Kammern eine Mehrheit besitzt, einen „halben Präsidenten“.
- George W. Bush konnte von 2000 bis 2006 mit der Unterstützung beider Kammern sein Amt ausführen. 2006 verloren die Republikaner das Repräsentantenhaus. Bush wurde zum „halben Präsidenten“.
- Barack Obama konnte nur von 2008 bis 2010 mit einem demokratischen Repräsentantenhaus und einem demokratischen Senat regieren. 2010 verloren die Demokraten die Mehrheit im Repräsentantenhaus und 2014 auch noch im Senat.
- Donald Trump gewann 2016 nicht nur die Präsidentschaftswahlen. Die Republikaner eroberten auch die Mehrheit in beiden Häusern. 2018 verloren sie das Repräsentantenhaus. Im Senat allerdings verfügen sie weiterhin über die Mehrheit.
Republikanische Obstruktionspolitik
Eigentlich besteht Demokratie darin, dass sich die unterschiedlichen Lager bemühen, aufeinander zuzugehen, Brücken bauen und Kompromisse finden. Doch solche demokratische Gepflogenheiten werden in den USA schon länger nicht mehr praktiziert.
Zwar ging es schon früher oft hart auf hart zu, doch die eigentliche Polarisierung der amerikanischen Politik hatte mit der Wahl Obamas, des ersten schwarzen Präsidenten, begonnen.
Seither blockieren die Republikaner – fast reflexartig – alles, was die Demokraten vorschlagen. Diese radikale republikanische Obstruktionspolitik dauert bis heute an. Kein Aufeinander-Zugehen, keine Suche nach Kompromissen. Im Gegenteil: der Gegner wird verteufelt, lächerlich gemacht, herabgewürdigt.
Eine konstruktive, breit abgestützte Politik, die das Land reformieren und weiterbringen könnte, ist unter diesen Umständen nicht möglich.
Klima, Gesundheit, Konjunktur, Corona
Sollten die Demokraten jetzt das Weisse Haus erobern und sollte der Senat republikanisch bleiben, so würde Biden zur „lame duck“. Die Republikaner haben bereits angekündigt, dass sie ihre rigorose Obstruktionspolitik weiterführen würden. Mitch McConnell, der 78-jährige republikanische Mehrheitsführer im Senat, gilt als aggressiver Einpeitscher, der alles, was aus der demokratischen Küche kommt, blockiert.
Damit Biden ein „ganzer Präsident“ werden kann, ist es entscheidend, dass die Demokraten nicht nur das Weisse Haus, sondern auch beide Parlamentskammern gewinnen. Es geht um viel: Es geht um die Reform des Gesundheitswesens, um das neue Konjunkturpaket, um die Corona- und Klima-Politik, um eine vernünftige Aussenpolitik. Und vor allem geht es auch, wie Biden sagte, um „Anstand“ in der Politik und der Gesellschaft.
Natürlich wäre auch „ein ganzer Präsident Biden“ nicht ganz frei. Der Oberste Gerichtshof, der jetzt von Konservativen dominiert wird, könnte ihm einige Knüppel zwischen die Beine werfen.
Ein Drittel des Senats wird neugewählt
Die grosse Kammer, das Repräsentantenhaus mit seinen 435 Abgeordneten, wird alle zwei Jahre gewählt. Laut Umfragen ist die seit 2018 im „House“ bestehende demokratische Mehrheit ungefährdet.
Und wie steht es im Senat, in dem die Republikaner Trump auf Gedeih und Verderb ergeben sind?
Der Senat zählt 100 Mitglieder. Jeder der 50 amerikanischen Bundesstaaten entsendet zwei Vertreter in die wichtige „kleine Kammer“. Die Senatoren werden alle sechs Jahre gewählt, allerdings nicht gleichzeitig, sondern etappenweise.
Jetzt, am 3. November, sind 35 der 100 Senatorenposten neu zu besetzen. Von ihnen gehören 23 den Republikanern und 12 den Demokraten an. Die Biden-Partei muss also nur gut halb so viele Sitze verteidigen wie die Republikaner – das ist ein Vorteil für die Demokraten.
Kampf um 3 oder 4 Sitze
Zurzeit verfügen die Republikaner im Senat über eine Mehrheit von 53:47 Sitzen. Die Demokraten müssten also den Republikanern jetzt drei oder vier Sitze entreissen.
Sollte Trump wiedergewählt werden, bräuchten die Demokraten vier Sitze mehr, um auf eine 51:49-Mehrheit zu kommen.
Sollte aber Biden gewählt werden, reichen den Demokraten drei zusätzliche Sitze. Denn bei einem 50:50-Patt gibt der Vizepräsident oder die Vizepräsidentin den Stichentscheid. Das wäre dann die Demokratin Kamala Harris.
78-prozentige Gewinnchance?
Wie gross sind die Chancen, dass die Demokraten drei oder vier zusätzliche Sitze gewinnen? „Sehr gross“ prophezeien die Meinungsforscher. 12 der 23 zur Wahl stehenden republikanischen Sitze sind stark gefährdet. Einige der republikanischen Kandidaten haben, wie CNN aufdeckte, enge Kontakte zu den rechtsextremen Verschwörungstheoretikern von QAnon.
Das Institut „FiveThirtyEight“ des renommierten Wahlforschers Nate Silver prognostiziert eine 78-prozentige Chance, dass die Demokraten die Mehrheit im Senat gewinnen. Silver stützt seine Aussage auf Zehntausende Daten und Tausende Umfragen. „Democrats are favored to win the Senate“, fasst Silver seine Untersuchungen zusammen. „Favored“ schreibt er mit hervorgehobenen, kursiven Buchstaben.
„... doesn’t deserve re-election“
Übrigens: Laut der New Yorker Zeitung „Daily News“ war Trump seit jeher ein „halber Präsident“. Allerdings in einem anderen Sinn.
„Our half-president“, schreibt die Zeitung, „hat sich von Anfang seiner Amtszeit an geweigert, dem ganzen Land gleichermassen zu dienen.“ Und: „Ein Präsident, der nicht versteht, dass er alle Amerikaner vertritt, verdient die Wiederwahl nicht.“ *)
*) „Our half-president: From the start of his term, Trump has refused to serve the entire country equally.“ „A president who doesn’t understand that he represents all Americans doesn’t deserve re-election.“