Diverse Studien zeigen, dass in Amerika (aber nicht nur dort) Frauen spürbar umweltbewusster sind als Männer. Sie ernähren sich gesünder, fahren Energie sparendere Autos und recyclen konsequenter. Folglich ist es kein Zufall, dass an der Spitze der Grünen Partei Amerikas zwei Frauen ins Rennen um den Einzug ins Weisse Haus steigen, eine Institution, die sie nur allzu gern ins Grüne Haus umtaufen möchten.
Der Zufall will es zudem, dass in den USA das Wetter unlängst verrückt gespielt hat. In grossen Teilen des Landes herrschte sengende Hitze (über 40 Grad!) und Dürre, mehrere Stürme namens „derecho“ liessen an der Ostküste Millionen vorübergehend ohne Strom (und ohne Luftkühlung), im Staate Colorado wüteten Busch- und Waldbrände (“Colorado brennt“, meldete eine TV-Station). Anlass genug mithin für amerikanische Politiker im Wahlkampf, sich des Themas Erderwärmung anzunehmen.
Die Grünen werden kaum zur Kenntnis genommen
Doch weder Präsident Barack Obama noch sein republikanischer Herausforderer Mitt Romney mochten das heikle Thema Klimawandel ansprechen. Jill Stein, die Kandidatin der Grünen, und ihre Stellvertreterin Cheri Honkala taten es vergangene Woche im National Press Club in Washington DC vor rund einem Dutzend Journalisten. Bei der Pressekonferenz blieben indes weitere Stuhlreihen leer. Amerikas etablierte Medien, in erster Linie das Fernsehen, nehmen die Grüne Partei kaum zur Kenntnis, und falls doch, dann höchstens wie die „Washington Post“ als zwar sympathische, aber eher kuriose Ansammlung von Alternativen in bunten Batikröcken oder mit ausgefransten Bärten.
Ralph Nader, der bei der Präsidentenwahl 2000 als Grüner immerhin 2,7 Prozent der Stimmen gewann und unter Umständen in Florida George W. Bush zum hauchdünnen Sieg über Al Gore und damit zur Präsidentschaft verhalf, ortet im Magazin „Time“ die Gründe für das Desinteresse in Amerikas Zwei-Parteien-System. Dieses erlaube Demokraten wie Republikanern, die Grünen bei jeder sich bietenden Gelegenheit auszuschliessen, niederzuhalten oder zu schikanieren - sei es beim Zugang zu den Urnen, bei öffentlicher Werbung, bei Fernsehdebatten oder Wählerumfragen: „Anders als in westeuropäischen Staaten mit Mehr-Parteien-Systemen und Proporz wissen die Wähler (in Amerika), dass man gar nichts kriegt, selbst wenn man zehn Prozent der Stimmen gewinnt.“ Doch in den Wahlen 2004 und 2008 gewannen die Grünen jeweils nicht einmal ein Prozent der Stimmen.
Zünglein an der Waage
Das Problem der amerikanischen Grünen ist Ralph Nader zufolge nicht das politisches Programm, sondern der fehlende Zugang zu den Medien. In der „New York Times“ zum Beispiel werde in den kommenden vier Monaten kaum etwas über die Grüne Partei zu lesen sein, sagt der Konsumentenschützer voraus: „Die Grünen werden lediglich beachtet werden, wenn sie als Spielverderber dargestellt werden können, in einem Staat wie Ohio zum Beispiel.“ Politologen zufolge könnte die Partei tatsächlich in Wackelstaaten wie Florida, Michigan oder Ohio das Zünglein an der Waage spielen und die Präsidentenwahl entscheiden – zu Gunsten der Republikaner. Grüne Wähler würden sonst aller Wahrscheinlichkeit nach für die Demokraten stimmen.
Doch alle Widrigkeiten haben Jill Stein nicht davon abhalten können, als US-Präsidentin zu kandidieren. Es ist innert eines Jahrzehnts ihre dritte Kandidatur für ein politisches Amt in ihrem Heimatstaat; sie ist 2002 bereits gegen Mitt Romney im Kampf um den Gouverneurssitz angetreten und hat haushoch verloren. Die Ärztin, die an der Harvard University studiert hat, trat damals in einer Fernsehdebatte mit dem Republikaner auf. Was sie dabei gelernt hat? „Es ist leicht, mit einem Roboter zu streiten“, sagte sie einer Reporterin der „New York Times“.
Kein grüner Vertreter in Washington
Immerhin ist es der Grünen Partei gelungen, in 21 Bundesstaaten auf die Wahllisten zu kommen und erstmals auch ihre Ausgaben vom Staat zurück zu erhalten. Ziel ist es, bis zum Wahltag am 6. November in 45 Staaten präsent zu sein. Derweil ist das Budget der Grünen mit einer Million Dollar im Vergleich zu den Finanzreserven ihrer politischen Gegner verschwindend klein. Obama und Romney sammeln jeden Monat Dutzende von Millionen an Spenden ein. Entsprechend schwach besetzt ist mit einem Dutzend bezahlter Mitarbeiter die Wahlkampforganisation der Partei.
Landesweit gibt es derzeit 134 gewählte Grüne. Unter ihnen ist aber kein einziger Vertreter in Washington DC, kein Gouverneur und kein Vertreter eines Staatsparlaments. Allein im Stadtrat von Fairfax (Kalifornien) regiert heute eine grüne Mehrheit. Im rund 7000 Seelen zählenden Städtchen in der Nähe von San Francisco sind nationale Ladenketten verboten und in Läden zahlen die Einwohner mit „FairBucks“, einer eigenen Währung, die aber nur lokal gültig ist.
Mehr Steuern für die Reichen
Jill Stein, mit einem Chirurgen verheiratet und Mutter zweier Söhne, tritt mit einem „Green New Deal“ als Parteiprogramm an – „New Deal“ in Erinnerung an Präsident Franklin D. Roosevelts Sozialgesetzgebung gleichen Namens aus den 30er-Jahren. Das grüne Programm verspricht unter anderem freien Zugang zu staatlichen Hochschulen, einen Stopp der Beschlagnahmung von Häusern durch Banken sowie eine massive Verkleinerung des Militärs. Ausserdem sollen 16 Millionen Arbeitsplätze geschaffen werden, die durch Einsparungen bei der Armee finanziert würden und der Allgemeinheit dienten. Der „Green New Deal“ fordert ferner die Einführung einer obligatorischen Krankenkasse für jedermann sowie ein Ende der Kostenexplosion im Gesundheitswesen. Auch sollen Reiche und Empfänger von Boni mehr Steuern zahlen müssen. Und ganz allgemein soll der Freihandel einem „fairen“ Handel weichen und die Wirtschaft ergrünen.
„Wir befinden uns in einer Krise und die Menschen verlieren ihre Arbeit, ihre Häuser, ihre Krankenkasse, erschwingliche Bildungsmöglichkeiten sowie ihre Bürgerrechte“, antwortet Jill Stein einem Blogger der „New York Times“ auf die Frage nach ihren Beweggründen: “Wir haben ein Prozent der Leute, die sich wie nie zuvor in Geld suhlen, und ein politisches Establishment, das nichts dagegen unternimmt. Diesen Missstand hat uns das Establishment beider Parteien beschert.“
"Politik ist die Wurzel allen Übels"
Die grüne Präsidentschaftskandidatin macht dabei keinen Unterschied zwischen Demokraten und Republikanern. „Man könnte die eine Partei als rasch sinkendes Schiff sehen und sich sagen, lasst uns für den stimmen, dessen Schiff nicht so schnell untergeht. (…) Die entscheidende Frage aber ist die, ob wir überhaupt auf einem dieser beiden Schiffe sein wollen, die auf den Meeresboden zu sinken? Sicher nicht. Denn es ist wohl klar, wohin diese Schiffe unterwegs sind, wenn man sich die Wirtschaft anschaut.“
Die Vorstellung, in einem Wackelstaat unter Umständen Barack Obamas Wahlsieg zu vereiteln, schreckt sie nicht: „Es kann keine Demokratie geben, wenn versucht wird, die Stimme des öffentlichen Interesses zum Schweigen zu bringen.“ Um für Amerikas schweigende Mehrheit zu sprechen, hat Jill Stein sich entschlossen, ihre Arztpraxis vorübergehend aufzugeben und als Vertreterin einer dritten Partei für den Einzug ins Weisse Haus zu kandidieren: „Ich praktiziere jetzt politische Medizin, weil Politik die Wurzel allen Übels ist.“ Und sonst wäre da noch ihr Hobby. Die 62-Jährige sang noch bis vor kurzem in einer Rockband.