«Wir behandeln jeden Tag Kinder, die schrecklich krank sind und seit Monaten nichts ausser Brot gegessen haben.» Chris Nyamandi, der Direktor von «Save the Children» in Afghanistan, erklärt, er habe noch nie eine solch verzweifelte Situation gesehen. Immer mehr werden die USA dafür mitverantwortlich gemacht.
Das Land befindet sich seit der Machtübernahme der Taliban Mitte August des letzten Jahres in einer katastrophalen wirtschaftlichen Lage. Die ausländische Hilfe, die früher die afghanische Wirtschaft notdürftig am Leben erhielt, ist nun ganz versiegt. Millionen sind arbeitslos, die Regierungsangestellten werden seit Monaten nicht mehr bezahlt, die Infrastruktur bricht immer mehr zusammen. Achtzig Prozent der von Save the Children befragten Familien sprechen von massiven Einkommensverlusten.
Verfünffachte Lebensmittelpreise
Millionen von Afghaninnen und Afghanen haben nicht genug zu essen. Laut Save the Children, einer britischen Non-governmental Organization (NGO), gebe es zwar in Afghanistan keinen Mangel an Lebensmitteln. Die Märkte seien voll. Trotzdem würden Kinder verhungern, denn ihren Eltern fehlt das Geld, Nahrungsmittel zu kaufen. Die Wirtschaftskrise hat dazu geführt, dass sich die Preise für Lebensmittel teils verfünffacht haben.
Eine Studie von Save the Children hat ergeben, dass mehr als eine Million afghanische Kinder Kinderarbeit leisten müssen. Ihre Eltern hätten keine andere Wahl, als ihre Kinder zur Arbeit zu schicken, um sich über Wasser halten zu können. Fast acht Prozent der Befragten gaben an, dass sie betteln oder auf Almosen angewiesen sind, um ihre Familien zu ernähren.
Unglückliche Rolle der USA
Mitschuld an der katastrophalen Lage sind die Amerikaner. Sie spielen in Afghanistan eine unglückliche Rolle. Zuerst war es Donald Trump, der vorpreschte und einen Abzug der US-Truppen in Aussicht stellte. Das führte dazu, dass sich die Ereignisse überschlugen. Dann, nachdem die Taliban das Land im vergangenen Sommer überrannt hatten, machten sich die USA buchstäblich bei Nacht und Nebel aus dem Staub und überliessen die Bevölkerung ihrem Schicksal. Zuvor kamen bei einem amerikanischen Drohnenangriff in Kabul noch zehn unschuldige Zivilisten ums Leben.
Auch Joe Biden hat keine glückliche Hand in seiner Afghanistan-Politik. Der afghanische «Staatsschatz» befindet sich auf der Federal Reserve of New York. Diese Gelder, die die afghanische Wirtschaft dringend braucht, halten die USA zurück. Damit wollen sie die «mordenden» Taliban in Kabul bestrafen. Sie bestrafen jedoch vor allem das afghanische Volk. Was können die hungernden Afghaninnen und Afghanen dafür, dass einige der jetzigen Machthaber in Kabul eine kriminelle Vergangenheit haben?
Noch immer verkraften es die Amerikaner nicht, dass die Weltmacht Nummer eins von einigen bärtigen, weltfremden Radikalislamisten in die Knie gezwungen wurde.
Das Geld, etwa sieben Milliarden Dollar, gehört nicht den USA – auch wenn am Hindukusch Leute an der Macht sind, die den Amerikanern nicht passen. Mit der Zurückhaltung der Gelder versucht Biden, Druck auf die Taliban auszuüben und sie zu einer «humanen» Politik zu bewegen. Dass er dadurch Millionen ins Elend stürzt, scheint ihm nicht bewusst oder egal zu sein.
Die schmerzhafte und schnelle Niederlage, die die Amerikaner in Afghanistan erlitten, hat sie derart verletzt, dass sie jetzt zu unverhältnismässigen Repressalien greifen. Noch immer verkraften sie es nicht, dass die Weltmacht Nummer eins vor einigen bärtigen, weltfremden Radikalislamisten in die Knie gehen mussten.
Nicht das Volk ist verantwortlich für 9/11
Jetzt, auf internationalen Druck hin, will Biden die Hälfte dieser Gelder, etwa 3,5 Milliarden Dollar, freigeben. Allerdings müssten zuerst die amerikanischen Gerichte darüber entscheiden. Wieso müssen amerikanische Gerichte über Geld entscheiden, das den Afghanen gehört?
Nicht genug: Die andere Hälfte der Gelder, wieder etwa 3,5 Milliarden, soll den Opfern der Anschläge des 11. September zugute kommen. Erstens: Diese Opfer sind bereits entschädigt worden. Und zweitens: Was kann das afghanische Volk dafür, dass Bin Laden im Höhlensystem von Tora Bora am Hindukusch die Angriffe auf das New Yorker World Trade Center und das Pentagon befahl? Nicht das afghanische Volk ist verantwortlich für 9/11, sondern radikale Al-Qaida-Mörder, die sich in den Bergen Afghanistans eingenistet hatten.
Schiesst sich Biden ins eigene Bein?
Der frühere afghanische Präsident Hamid Karzai bezeichnet die amerikanische Weigerung, das Geld herauszugeben, als «ungerecht, unfair und eine Gräueltat gegen das afghanische Volk».
Da und dort kommt es in Kabul zu anti-amerikanischen Demonstrationen. «Biden, World Thief of 2022», heisst es auf Transparenten, oder «9/11 has nothing to do with Afghans» oder «Stop stealing from starving Afghans» oder «USA stole money from Afghans».
Während nun amerikanische Gerichte sich bald einmal daran machen könnten, über die Freigabe der Hälfte der Gelder zu verhandeln, hungern Millionen Afghanen und stürzen immer tiefer ins Elend.
Biden könnte sich mit seiner selbstherrlichen Politik ins eigene Bein schiessen. Denn die Staaten dieser Welt werden sich künftig gut überlegen, ob sie ihr Geld auf der New Yorker Zentralbank deponieren wollen.