Alle Jahre wieder in der Adventszeit durchzieht Städte und Gemeinden, alte Burghöfe und moderne Shopping-Zentren jener Duft von Glühwein, Bratwurst, Zuckermandeln und Reibekuchen aus rohem Kartoffelteig, der den Menschen zwischen Flensburg und Konstanz, Aachen und Frankfurt an der Oder signalisiert: Die Weihnachtsmärkte haben geöffnet.
Mehr als 2’500 sind es in Deutschland – wobei freilich nur die Orte mit über tausend Einwohnern gezählt wurden. Und der Drang in die schmalen Gassen zwischen den diversen mit Lichtern und Tannengrün geschmückten Holzbuden und Schauständen ist nicht nur ungebrochen, er wächst von Jahr zu Jahr weiter an. 2013 waren es – geschätzt – 85 Millionen Besucher. Vor zwei Jahrzehnten zählte man noch 50 Millionen.
Imageprägend für die Städte
„Der Run auf die Weihnachtsmärkte ist immens“, sagt denn auch zufrieden Hans-Peter Arens, Präsident des Bundesverbandes Deutscher Schausteller und Marktkaufleute (DSM). Bei dieser Aussage braucht sich der 70-Jährige nicht einmal nur auf die jährlich erhobenen Untersuchungen seiner Organisation zu stützen, sondern kann aus eigener Erfahrung sprechen. Seine Familie betreibt auf dem Dortmunder Markt, rund um den aus 1’700 Rotfichten zusammengebastelten und mit 45 Metern höchsten Tannenbaum im Lande, insgesamt sieben unterschiedlich bestückte Stände.
An sich ist die einstige Kohle- und Stahlmetropole im Ruhrgebiet ja nun wirklich nicht gerade ein touristisches Traumziel. Doch in der Adventszeit, und zwar speziell zum Weihnachtsmarkt, werden in diesem Jahr mindestens 700 Busse aus der näheren und weiteren Umgebung sowie aus den benachbarten Staaten Niederlande und Belgien erwartet.
Aus dieser Tatsache ergibt sich zweierlei: Die deutschen Weihnachtsmärkte sind – erstens – nicht mehr nur Orte individueller Gemütlich- und Geselligkeit, sondern längst ein ganz wesentlicher Wirtschaftsfaktor geworden. Zweitens können die Städte gar nicht mehr auf sie verzichten. Und zwar keineswegs bloss wegen der damit natürlich auch verbundenen zusätzlichen Steuer- und Standmiete-Einnahmen, sondern (vielleicht sogar mehr noch) weil die Märkte in hohem Masse das Image der Kommunen prägen. Nach den Worten von Matthias Rothemund, Geschäftsführer der Dortmunder Tourismus GmbH, „planen nicht nur deutsche Gäste oder solche aus dem grenznahen Ausland, sondern auch Besucher aus der Schweiz oder aus Grossbritannien speziell zur Adventszeit Übernachtungen bei uns ein“.
Zwischen drei und fünf Milliarden Euro
Ähnliches hätten vermutlich auch Rothemunds Kollegen aus vielen anderen Städten gesagt. Längst hat sich nämlich die Tourismusbranche auf diesen „Markt mit den Märkten“ eingestellt. Busunternehmen, die Deutsche Bahn, Reisebüros – sie alle möchten teilhaben und verkaufen Gruppen- oder Individualausflüge mit und ohne Übernachtung zu diesem oder jenem als besonders schön oder stimmungsvoll bewerteten Weihnachtsmarkt. Kein Wunder, dass die Städte ebenfalls in den Wettbewerb eingetreten sind und mit „weihnachtlichen“ Werbebudgets arbeiten, die mittlerweile zwischen 40’000 und 150’000 Euro liegen. In diesem Rennen beiseite zu stehen, kann sich keine deutsche Stadt mehr leisten.
Das gilt freilich noch viel stärker für das beteiligte Gewerbe – also für die Marktbeschicker. Nach einer Erhebung des zuständigen Verbands erwirtschaften die Weihnachtsmärkte in den drei oder vier Wochen vor dem Christfest zwischen drei und fünf Milliarden Euro. Das hört sich imposant an und ist es ohne Zweifel auch. Allerdings relativieren sich die Zahlen gleich wieder angesichts der Tatsache, dass die Schausteller und Budenbesitzer in diesen wenigen Wochen der kalten Zeit ein Drittel, mitunter sogar die Hälfte ihres Jahresumsatzes erzielen. Anders gesagt, um noch einmal den erfahrenen DSM-Chef Arens zu zitieren: Nur dieser kurze Boom „macht es überhaupt möglich, dass es bei uns noch eine Kirmes gibt“.
Der absolute Renner
Die Weihnachtsmärkte blicken in Deutschland einerseits auf eine lange Tradition zurück, verkörpern jedoch gleichzeitig auch ein junges Business. Viele, vor allem die auch heute noch Grossen, haben ihre Wurzeln schon im Mittelalter oder etwas später. Der „Striezelmarkt in Dresden 1434, Nürnbergs weltberühmter „Christkindlesmarkt“ Anfang 17. Jahrhundert, Augsburg 1498, Frankfurt (Main) 1393.
Natürlich hatte Nürnberg auch in den vergangenen Jahrzehnten bereits Abertausende von Besuchern aus Nah und Fern angezogen. Doch so richtig losgegangen in der Art der heutigen Massen-Marktgestaltung ist es in Deutschland erst vor etwa dreissig bis vierzig Jahren. Und es erfolgte ziemlich parallel zur Einrichtung der Fussgängerzonen in den Städten – zunächst im Westen der Republik, nach der Wiedervereinigung jedoch auch im Osten mit so wunderbaren Orten wie Dresden, Leipzig, Erfurt, Bautzen, Meissen usw.
Tatsächlich hat kein anderes Gewerbe einen derart rasanten Aufschwung genommen. Kein Wunder daher, dass viele Stadtverwaltungen und der Markthändlerverband nicht müde werden, auf einen (auf den ersten Blick) in der Tat positiven Tatbestand hinzuweisen – auf den Beschäftigungsfaktor. Die Weihnachtsmärkte, sagen sie, seien geradezu ein Jobmotor. Bis zu 170’000 Personen erhielten dort, wenigstens als Teilzeitkräfte, eine Anstellung. Was dabei aber meistens unerwähnt bleibt, ist die Entlohnung. Nach Recherchen des online-Wirtschaftsdienstes „wofan“ (world of finance and money) werden von den Buden und Stand-Betreibern mitunter wahre Dumpinglöhne bis hinunter auf 1,30 Euro die Stunde gezahlt. „wofan“: „Oft ist ein Glühwein teurer als der Stundenlohn dessen beträgt, der ihn ausgeschenkt hat“.
Zweiter Renner: Die Bratwurst
Dabei sind die Glühweinbuden der absolute Renner, gefolgt von den Bratwurstgrills und Reibekuchen-Brutzeleien. Nichts lässt die Kassen lauter und damit die Ohren der Wirte süsser klingeln als der süsse Heisse. Mit dem Getränk wird ein doppelt bis dreifach so grosser Umsatz gemacht wie es etwa Kunsthandwerker, Spielzeug- oder Kleiderverkäufer tun.
Klar, dass bei den zuständigen Ämtern der Städte der Ansturm auf diese Plätze am stärksten ist. Um hier eine wenigstens einigermassen erträgliche Mischung herzustellen, sind nicht wenige Kommunen dazu übergegangen, den von den trinkfreudigen Besuchern „benachteiligten“ Ausstellern entgegenzukommen. So verlangt etwa die Stadt Nürnberg für einen Glühwein-Ausschank ein Standgeld von knapp 550, von einem Handwerker dagegen nur 85 Euro.
Dass die Nürnberger Verantwortlichen das Geschehen so aufmerksam verfolgen, ist angesichts der Bedeutung des Christkindlesmarkts für die Franken-Metropole nachvollziehbar. Denn der an Tradition so reiche Markt ist ein Selbstläufer. „Er ist“, sagt Helmut Nordhardt vom Marktamt, „sozusagen das Schaufenster der Stadt“. 2,4 Millionen Besucher liessen sich 2013 zum Christkindlesmarkt locken – praktisch aus der ganzen Welt. Die Umsätze durch Übernachtungstouristen, Tagesgäste und Einheimische wurden für das vergangene Jahr allein dort auf bis zu 150 Millionen Euro geschätzt.
„The German Christmas Market“
Mittlerweile freilich hat sich der „German Christmas Market“ auch jenseits der deutschen Grenzen etabliert. Eigentlich war es zunächst nur eine als freundschaftliche Geste der Frankfurter Stadtoberen für ihre englische Schwesterstadt Birmingham gedachte Idee, dass sie in den neunziger Jahren zur Vorweihnachtszeit jenseits des Kanals einige geschmückte Holzhütten mit allerlei Weihnachtsartikeln aufstellen liessen.
Heute ist in der zweitgrössten britischen Stadt mit circa 2,5 Millionen Besuchern der grösste Weihnachtsmarkt ausserhalb Deutschlands entstanden. Aber auch in York und London läuft in diesen Tagen die Bratwurst mit Sauerkraut wieder dem ur-britischen Fish-and-Chips deutlich den Rang ab. In New York waren zwar Anfangsschwierigkeiten zu überwinden. Seit ein paar Jahren aber weiss man auch dort die wärmende Wirkung von „muled wine“ zu schätzen. Selbst wenn dieser in Big Apple, weil ja im Freien ausgeschenkt, nur alkoholfrei sein darf.