Am Mittwoch traten die beiden Bundesvorsitzenden der Grünen, Ricarda Lang und Omid Nouripour, sowie der gesamte Bundesvorstand überraschend zurück. Lang und Nouripour begründeten diesen Schritt mit dem schlechten Abschneiden der Grünen bei den Wahlen in diesem Jahr. Die Gründe für diesen Niedergang sind aber nicht allein bei dem glücklosen Vorstand zu suchen.
Der Absturz der Grünen ist im Grunde ebenso erklärungsbedürftig wie ihre zeitweilige Beliebtheit. Die Grünen starteten als Protestpartei und schafften im Jahr 1983 überraschend den Sprung in den Bundestag. Sie konnten dabei von der verbreiteten Protestkultur in der Bundesrepublik profitieren: Anti-Atomkraft, Anti-Nachrüstung, Schutz der Umwelt, Kampf gegen staatliche Repression. Figuren wie Petra Kelly, Christian Ströbele, Jürgen Trittin oder Joschka Fischer gaben diesen Themen ihre markanten Gesichter. Aber nach und nach wandelten sich die Grünen von einer Bürgerschreckpartei zu einer Kraft der gemässigten Mitte. Das augenfälligste Beispiel lieferte Otto Schily, der den Weg vom Verteidiger einzelner Bader-Meinhof-Terroristen zum Law-and-Order-Innenminister ging, wobei er konsequenterweise die Grünen hinter sich liess und der SPD beitrat.
Der besondere Charme der Grünen bestand darin, dass sie sich ungeplant und zunächst kaum bemerkt zu einer antibürgerlich-bürgerlichen Partei entwickelten. Wer sie wählte, hatte einen doppelten Vorteil: Er konnte seine Skepsis gegenüber den «Altparteien» zum Ausdruck bringen, ohne allzu viel Radikalismus zu riskieren. Im Grunde war das eine Neuauflage der Sozialdemokratie, die sich Jahrzehnte vorher vom linken Bürgerschreck ebenfalls staatstragend entwickelt hatte.
Geradezu sensationell war der Zustimmungswert auf Bundesebene im Mai 2021. Da kamen die Grünen bei der Sonntagsfrage auf 26 Prozent. Darin drückte sich die Einschätzung aus, dass die Grünen eine hohe Kompetenz beim Thema Klima haben. Und ganz sicher hatten die wohlinszenierten Auftritte von Annalena Baerbock und Robert Habeck als Spitzenduo einen positiven Effekt. Als sich aber Annalena Baerbock in einem hinter den Kulissen geführten verbissenen Machtkampf um die Kanzlerkandidatur gegen Robert Habeck durchsetzte, ging es bergab. Habeck hatte weitaus höhere Beliebtheitswerte.
An den Erfolgen sterben
Mit 14 Prozent bei der Bundestagswahl 2021 hatte sich die Zustimmung vom Mai 2021 fast halbiert. Aber den Grünen war noch einmal ein Höhenflug beschieden. Im Juli und August 2022 kamen sie in Umfragen auf 22 Prozent. Annalena Baerbock hatte als Aussenministerin eine weitaus bessere Figur als erwartet gemacht, und ihre klare Positionierung im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg kam zunächst gut an. Und der nachdenkliche Politikstil von Robert Habeck weckte bei vielen Wählern das Gefühl, verstanden zu werden.
Mittlerweile sind die Grünen bei Umfragen bei etwa 12 Prozent angekommen. Bei den Europawahlen erlitten sie mit 11,9 Prozent einen dramatischen Absturz, der noch einmal mit den miserablen Wahlergebnissen in Sachsen, Thüringen und jetzt in Brandenburg fortgesetzt wurde. Auf den ersten Blick hängen diese desaströsen Ergebnisse mit dem Niedergang der Ampel und der geringen Strahlkraft von Ricarda Lang und Omid Nouripour zusammen. Aber die Gründe liegen tiefer.
Die Grünen sterben an ihren Erfolgen. Die Umweltthemen, die sie auf die politische Agenda gesetzt haben, wurden von anderen Parteien mehr oder weniger übernommen. Man muss nicht Grün wählen, um etwas fürs Klima zu tun. Aber in dem Masse, wie die Politik bei der Energieerzeugung, dem Heizen in privaten Haushalten und der Mobilität umsteuert, zeigen sich die gravierenden Schwierigkeiten und Kosten. Die aber werden überwiegend den Grünen in die Schuhe geschoben, denn die Grünen sind es ja, die jahrelang dem Umsteuern das Wort geredet haben. Dass Robert Habeck mit seinem Heizungsgesetz eine weitere Angriffsfläche bot, bestätigte nur den Unmut, der sich ohnehin schon verbreitet hatte.
Eine weitere Erfolgsstory der Grünen wird jetzt ebenfalls zur Belastung. Denn die Grünen haben es geschafft, einen grossen Teil des kulturellen Lebens zu durchdringen. Von den Universitäten über die Schulen, von den Zeitungen bis zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk sitzen in den Gremien und Redaktionen zahlreiche ihrer Sympathisanten. Sie bestimmen das Meinungsklima. Das wurde über lange Zeit von der Öffentlichkeit kaum bemerkt oder nicht als sonderlich störend empfunden, aber mit dem zunehmend aggressiver auftretenden Feminismus, der Wokeness in diversen Ausformungen und den sprachlichen Genderdiktaten wird Widerstand wachgerufen. Waren die Grünen lange Zeit die politischen Stellvertreter für die Hoffnungen auf eine bessere Umwelt und eine gerechtere Gesellschaft, so umgibt sie heute das Odium des Dogmatismus und des Autoritären.