Der Bundesrat führt die Sondierungsgespräche mit der EU-Kommission über ein zukünftiges Vertragspaket namens Bilaterale III hinter verschlossenen Türen. Vermutlich wird er auch die angestrebten Verhandlungen vertraulich halten.
Dabei wäre in einer direkten Demokratie wie der Schweiz eine offene und umfassende Information der Bevölkerung notwendig. Denn auch in aussenpolitischen Angelegenheiten hat oft das Stimmvolk das letzte Wort.
Dürre Medienmitteilung
Seit gut einem Jahr sondiert die Schweiz mit der Europäischen Union (EU), wie der bilaterale Weg gesichert und ausgebaut werden könnte. Nicht weniger als zehn Gesprächsrunden haben in dieser Zeit stattgefunden. Verhandlungen zwischen Bern und Brüssel sind trotzdem noch nicht in Sicht. Im Raum steht ein von der Schweiz geschnürtes Vertragspaket, das den Namen «Bilaterale III» erhalten hat. Darin sollen institutionelle Fragen wie Rechtsübernahme und Streitschlichtung geregelt werden. Zudem strebt die Schweiz neue bilaterale Abkommen mit der EU in den Bereichen Gesundheit, Lebensmittelsicherheit und Strom an. Schliesslich will die Schweiz wieder an den EU-Forschungs- und Bildungsprogrammen «Horizon Europe» und «Erasmus» beteiligt werden. Von diesen war sie nach dem Abbruch der Verhandlungen über ein Rahmenabkommen zu den bilateralen Verträgen durch den Bundesrat im Mai 2021 von der EU ausgeschlossen worden.
Am 18. Juli war der für das Europadossier zuständige Bundesrat Ignazio Cassis in Brüssel, um mit seinem Gegenpart EU-Kommissar Maros Sefcovic eine «Standortbestimmung» zu den Sondierungsgesprächen vorzunehmen, wie es in einer dürren Medienmitteilung des schweizerischen Aussenministeriums hiess. Was ist dabei herausgekommen? In welchen Bereichen konnten Fortschritte erzielt werden? Wo hakt es noch? Bei welchen Anliegen der Schweiz zeichnen sich Erfolge ab? Welche Kröten muss sie möglicherweise schlucken? Wir wissen es nicht. In der Medienmitteilung war dazu nichts zu lesen. Auch gab Cassis nach dem Treffen mit Sefcovic keine Erklärungen vor den Medien ab.
Am 21. Juni verabschiedete der Bundesrat «Eckwerte für ein Verhandlungsmandat mit der EU». Diese sollen die «Leitlinien für mögliche künftige Verhandlungen» bilden und als «Grundlage für die Vorbereitung eines Verhandlungsmandats» dienen, wie es in einer Medienmitteilung hiess. Welches sind diese Eckwerte? Wir wissen es nicht. «Die Eckwerte bilden den Kern der möglichen Verhandlungen und sind daher vertraulich», liess der Bundesrat verlauten.
Nur ein enger Kreis weiss Genaueres
Das sind nur die jüngsten Beispiele der bundesrätlichen Geheimniskrämerei um die Sondierungsgespräche und die angestrebten Verhandlungen mit der EU zu den Bilateralen III. Die breite Öffentlichkeit wird beinahe schon systematisch im Dunkeln gelassen. Selbst die Mitglieder der Aussenpolitischen Kommissionen von National- und Ständerat wissen nicht alles. Einigermassen gut informiert werden nur Vertreter der Kantone und der Sozialpartner (Arbeitgeber und Gewerkschaften), die das sogenannte Sounding Board des Bundesrats in dieser Angelegenheit bilden.
Wenn etwas nach aussen dringt aus den Sondierungsgesprächen, dann von Bedenkenträgern und EU-Gegnern aus diesen Kreisen. Sie berichten vor allem negativ über die Gespräche. Gleichzeitig tut der Bundesrat nichts, um dagegenzuhalten. Wann hat ein Mitglied der Landesregierung darüber informiert, was die Schweiz im Verhältnis zur EU schon alles tut, um die Löhne in der Schweiz zu schützen? Wann hat ein Berner Magistrat erläutert, was die dynamische Übernahme von EU-Recht für die Schweiz bedeutet. Haben wir dann nichts mehr zu sagen? Wird dadurch die direkte Demokratie ausgehebelt? Wurde je von einem Vertreter Berns erklärt, was das für die Schweiz heisst, wenn der EU-Gerichtshof in einem allfälligen Streitschlichtungsverfahren eine Rolle erhält? Kommen jetzt die fremden Richter? Weil der Bundesrat nicht informiert, entsteht in der Bevölkerung kein Vertrauen in seine Arbeit. Und das Wissen über die Bilateralen III bleibt bruchstückhaft und oft negativ konnotiert. Beides – Vertrauen und Wissen – wird aber nötig sein, wenn das Schweizer Stimmvolk dereinst zu den Bilateralen III Ja sagen soll.
Höchste Zeit für Public Diplomacy
Wenn der Bundesrat eine mögliche künftige Volksabstimmung über die Bilateralen III gewinnen will, muss er offensiver kommunizieren. Aussenpolitik – und damit auch Europapolitik – ist gemäss Bundesverfassung Sache des Bundesrats. Damit verbunden sollte eigentlich auch sein, dass er über seine Tätigkeiten in diesem Bereich detailliert und ausführlich informiert. Das Stichwort dazu heisst «Public Diplomacy». Das Konzept postuliert, dass Regierungen die Öffentlichkeit über Ziele, Verlauf und Stand von Verhandlungen möglichst regelmässig, offen und umfassend unterrichten. Gewiss, in kritische Phasen werden Verhandlungen nicht auf dem Marktplatz geführt, sondern nach wie vor hinter verschlossenen Türen. Aber soweit sind wir mit der EU noch nicht. Verhandlungen mit ihr sind noch nicht einmal absehbar.
Aussenpolitik ist gerade in Demokratien immer auch Innenpolitik. Die beiden Bereiche lassen sich immer weniger trennen. Andere Staaten haben deshalb die Notwendigkeit von Public Diplomacy schon vor einiger Zeit erkannt. So auch die EU – zukünftiger Verhandlungspartner der Schweiz in Sachen Bilaterale III. Sie hat etwa das Verhandlungsmandat und laufende Verhandlungsvorschläge für ein Handels- und Wirtschaftsabkommen mit den USA und Kanada im Internet publiziert – allerdings auch erst auf Druck der Öffentlichkeit. Die EU belebte so die Debatte und erleichterte die Meinungsbildung über das Thema. Schon seit dem 1. Weltkrieg praktizieren die USA Public Diplomacy. Damals begann Präsident Woodrow Wilson mit seinen Prinzipien der Transparenz die bis dato übliche Geheimdiplomatie zu überwinden.
Die Schweiz dagegen setzt immer noch zu sehr auf vertrauliche Sondierungen und Verhandlungen. Das ist falsch. Gerade in einer direkten Demokratie, in der das Stimmvolk oft auch in aussenpolitischen Angelegenheiten das letzte Wort hat, ist eine frühzeitige offene und ausführliche Information der Bevölkerung äusserst wichtig. Es ist deshalb höchste Zeit, dass der Bundesrat seine Informationspolitik in der Aussenpolitik ändert. Im Falle der Bilateralen III würde das deren Chancen in einer allfälligen Volksabstimmung deutlich erhöhen.