Am vergangenen Sonntag griff ein Unteroffizier der palästinensischen Polizei den israelischen Checkpoint für VIPs bei Bet El an. Er schoss auf israelische Soldaten, verwundete drei von ihnen und wurde selbst erschossen.
Der blutige Zwischenfall gehört zu der Serie von Anschlägen durch Einzeltäter, die seit Mitte September des vergangenen Jahres andauern. Die meisten Attacken werden mit Messern ausgeführt, einige auch mit Fahrzeugen, mit denen israelische Bürger angefahren werden.
200 Angriffe verhindert
Die Serie begann in Jerusalem und war mit Protesten über angebliche Gefahr für die Al-Aqsa-Moschee verbunden. Sie dehnte sich jedoch später auf ganz Israel und auf die besetzten Gebiete aus, und dauert seither an.
Eine israelische Statistik besagt, seit Mitte September seien 25 Israeli, ein Amerikaner und ein Eriträer bei solchen Angriffen getötet worden. Anderseits hätten 150 Palästinenser ihr Leben verloren, davon 105 bei Angriffen, "die übrigen bei Zusammenstössen", das heisst bei Schiesserien, die im Zusammenhang mit den Angriffen ausgebrochen waren. Der palästinensische Generalmajor Majd Farraj fügt hinzu, seine Dienste hätten 200 Angriffe von Palästinensern verhindert, indem sie ihre Waffen konfisziert hätten.
Der Täter war Polizist
Aussergewöhnlich war, dass die Tat am VIP-Checkpoint von einem Polizisten der Palästinensische Autonomie-Behörde (Palestinian National Authority) durchgeführt wurde. Zwischen der Behörde und Israel besteht ein Abkommen über Sicherheitskooperation.
Der Angreifer, Master Sergeant Amjad Sukkari, hatte als Leibwächter des palästinensischen Staatsanwalts gearbeitet. Er hinterliess auf Facebook Aussagen wie: "Trauer um mich wird Euch zum Sieg führen", "Das Leben auf dieser Erde ist nichts wert, solange die Besetzung uns erstickt". Sowie: "Jeden Tag stirbt jemand. Vielleicht werde ich der nächste sein".
Militärbegräbnis für Attentäter
Die Leiche des erschossenen Polizei-Unteroffiziers wurde von den Israeli rasch an seine Familie übergeben. Ein Militärbegräbnis fand in seinem Heimatort statt, einem Dorf bei Nablus. Tausende Palästinenser sollen den Sarg begleitet haben. Er wurde von zwei Brüdern des Erschossenen, beide in Polizei-Uniform, getragen.
Unter den Trauernden befand sich auch der palästinensische Gouverneur von Nablus, Akram Rajab. Er erklärte der Agentur AP: "Meine Teilnahme bedeutet nicht, dass ich die Aktion billige. Wir sind dagegen, dass Polizisten Angriffe durchführen. Doch wir sind Leute, die ihre Märtyrer und ihre Toten respektieren."
Die Behörde schweigt verlegen
Dies war die einzige bekannt gewordene offiziöse Aussage von Seiten der Palästinensischen Behörde. Alle anderen Stellen und Sprecher der Autorität, weigerten sich, Stellung zu nehmen. Polizeioffiziere der Behörde allerdings werden mit der Aussage zitiert: "Mit grossem Stolz loben wir das mutige Martyrium unseres Kollegen, Master Sergeant Amjad Sukkari".
Das Begräbnis war von den zuständigen palästinensischen Behörden bewilligt worden. In den Tagen darauf verlautete, die israelische Armee bereite sich darauf vor, das Vaterhaus des Attentäters zu zerstören, wie dies regelmässig in derartigen Fällen geschieht, obwohl es sich dabei um eine Kollektivstrafe handelt, welche die ganze Familie des Täters betrifft.
Hamas billigt die Tat
Im Gegensatz zur Behörde, die sich über die Sache ausschwieg und jede Auskunft verweigerte, zögerten die Sprecher von Hamas und der noch radikaleren Organisation "Islamischer Jihad" nicht, den Täter zu loben. Ihre Sprecher sagten, es habe sich um eine "natürliche Reaktion auf die Besetzung" gehandelt.
Auch die Volksfront zur Befreiung von Palästina (PFLP), die zur PLO gehört, aber nicht zur Autoomoebehörde, stimmte Hamas zu und nannte die Attacke eine "heroische Operation". Ihr Sprecher unterstrich, sie sei ein Schlag ins Gesicht der "Sicherheitszusammenarbeit mit der Besatzungsmacht" gewesen.
Dilemma
In der Tat zeigte das Geschehen sehr deutlich das Dilemma auf, in dem sich die Autonomiebehörde befindet. Sie wirkt einerseits als die Regierung der Palästinenser, jedoch steht sie auch mit Israel in einem Vertrag zur Zusammenarbeit in Sicherheitsbelangen, der bewirkt, dass sie ihre Polizei und ihren Geheimdienst gegen die Wünsche der Palästinenser und zur Sicherheit Israels einsetzt.
Dies ist wenig populär bei den Palästinensern und öffnet den politischen Konkurrenten der Behörde Tür und Tor, wenn es etwa zu Wahlen kommen sollte. Solche sind längst überfällig und es ist immer wieder von ihnen die Rede. Doch sie finden nicht statt. Wie man vermuten kann, neben anderen Gründen, weil die Gefahr besteht, dass bei Wahlen Hamas eine Mehrheit erreichen könnte.
Das gleiche Schicksal wie in Gaza
Es gibt Umfragen, nach denen sich 64 Prozent der Palästinenser gegen die Sicherheitszusammenarbeit mit Israel aussprechen, obwohl sie wissen, dass ohne sie, Israel die B- und die C-Zonen abriegeln würde, ähnlich wie es heute in Gaza geschieht. Die B- und C-Zonen sind jene, in denen Israel für die Sicherheit zuständig ist, in C alleine, in B gemeinsam mit mit der Autonomiebehörde. Die beiden Gebiete zusammen machen 82 Prozent des umstrittenen Westjordanlandes aus.
Die PA-Regierung weiss, und realistische Palästinenser sollten es eigentlich ebenfalls wissen, dass ein Ende der Sicherheitszusammenarbeit mit Israel, wie sie heute besteht, und ein Wahlsieg von Hamas, der dies bewirken würde, dazu führen würden, dass die Palästinenser der besetzten Gebiete das gleiche Schicksal erleiden würden wie jene von Gaza: Im besten Fall Umzingelung und Einschliessung durch die israelische Armee und im schlechtesten Fall, Versuche, die Palästinenser ganz oder teilweise aus den Westjordangebieten zu vertreiben - wie dies manchen der Scharfmacher in der israelischen Regierung schon jetzt wünscht.
Die Emotionen fordern Kampf
Es dürften Zorn und politische Emotionen sein, die bei Umfragen dazu führen, dass eine Mehrheit der Palästinenser sich gegen die Sicherheitszusammenarbeit ausspricht. Möglicherweise würden in Abstimmungen einige der Betroffenen ihre Position angesichts der zu erwartenden Folgen revidieren.
Doch die emotionale Wucht der Israel-Palästina-Probleme ist derart stark, dass bei Wahlen eine Unterstützung von Hamas aus emotionalen Gründen nicht ausgeschlossen werden kann - obwohl das abschreckende Beispiel von Gaza allen vor Augen steht.
Illusionen
Die Autonomiebehörde nimmt die Zusammenarbeit mit Israel in Kauf, um ihrer Bevölkerung eine Lage wie jene in Gaza zu ersparen. Doch ob die Palästinenser wirklich erkennen können, was ihnen droht, wenn sie sich von der wenig populären gegenwärtigen Führung abwendet, der von vielen auch noch Korruption nachgesagt wird, ist sehr ungewiss.
Viele machen sich wahrscheinlich Illusionen, indem sie sich sagen, sie wollten für ihr Land kämpfen, ohne voll zu erkennen, wohin Kämpfe sie - angesichts der israelischen Überlegenheit - so gut wie unvermeidlich zu führen drohen.