Der neueste Konflikt zwischen Israel und Palästinensern verlief nach einem bekannten Muster: Israel setzt einen palästinensischen «Terroristen» fest, Palästinenser antworten mit Raketenbeschuss auf Israel, Israel wiederum tötet einen palästinensischen Anführer in Gaza und beschiesst die palästinensische Enklave. Zivilisten sterben. Der Lösung des inzwischen 74 Jahre dauernden Konfliktes dient dieser zur tragischen Routine gewordene Gewaltaustausch nicht. Das wissen auch die Israelis – seit langem.
In dem Film «Töte zuerst» des israelischen Dokumentarfilmers Dror Moreh – mitfinanziert von den TV-Sendern ARTE und Norddeutscher Rundfunk, 2013 nominiert für einen Oscar – äussern sich ehemalige Shin Bet-Direktoren über die Strategie ihres Landes, palästinensischen Terror, wie sie es nennen, durch Liquidierung der Anführer zu bekämpfen. So wurden der Hamas-Gründer, der gelähmte Scheich Ahmed Jassin, am 22. März 2004 und der Bombenbauer der Hamas, Jahja Ajasch, am 5. Januar 1995 getötet.
Die Einsichten ehemaliger Geheimdienst-Direktoren
Die Schlussfolgerungen, welche die Geheimdienstleute aus dieser Politik der Vergeltung ziehen, sind überraschend: Nach Jahren der Kriegführung gegen die Palästinenser räumen die vom Filmemacher Dror Moreh Interviewten ein, dass all ihre Gewalt zu keiner friedlichen Lösung geführt habe. Mehr noch: Der Mord an Premier Yitzhak Rabin Ende 1995 durch den radikalen Siedlerfreund Jigal Amir habe überraschenderweise zu immer grösserer Unnachgiebigkeit gegenüber den Palästinensern geführt.
So gibt Ami Ajalon (Shin-Bet-Chef von 1996 bis 2000) zu Protokoll: «Im Nachhinein hat das meine ganze Welt verändert. Plötzlich sah ich Israel mit anderen Augen. Mir war das ganze Ausmass von Hetze und Hass gar nicht bewusst gewesen. Die Kluft in unserer Gesellschaft, wie wir unsere Zukunft sehen, [...] oder warum wir überhaupt hierhergekommen sind.» Ähnlich sieht es Ajalons Nachfolger, Avi Dichter. Er war von 2000 bis 2005 Direktor des Shin Bet und ist überzeugt, dass der israelische Ansatz, palästinensischen gewaltsamen Widerstand mit Ermordung der Anführer zu beantworten, verfehlt sei und nichts als weitere Aufstände provoziere: «Es lief klar auf eine neue Intifada hinaus, auf den Aufstand eines Volkes, das glaubt, es habe nichts mehr zu verlieren.» Und Dichter fügt hinzu: «Wir wollen Sicherheit und bekommen Terror, sie wollen einen Staat und sehen immer mehr Siedlungen.» Karmi Gillon, Shin-Bet-Direktor von 1995-1996, fordert in dem Film ernsthafte Verhandlungen mit den Palästinensern: «Israel kann sich den Luxus nicht leisten, nicht mit dem Feind zu reden.»
In Vergessenheit geraten ist auch die Einsicht, die Shin Bet schon nach dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 geäussert hat: der Inlandsgeheimdienst riet zur Gründung eines palästinensischen Staates – um zukünftige Gewalt, zukünftigen Terror zu vermeiden.
Was John Kerry sagte
Auch die USA wissen im Grunde, wo die Wurzeln der palästinensischen Gewalt liegen. So äusserte sich der damalige Aussenminister John Kerry am 28.12.2016 vor dem Uno-Sicherheitsrat, dass es in dem von Israel allein kontrollierten Teil des Westjordanlandes in den Jahren 2014 und 2015 nur eine einzige Baugenehmigung für Palästinenser gegeben habe; im selben Zeitraum dagegen seien Hunderte neuer Siedlungshäuser errichtet worden. Auch seien im Jahr 2016 1300 Palästinenser, darunter 600 Kinder, durch Zerstörungen ihrer Häuser obdach- und heimatlos geworden. In seiner Rede fasste erstmals ein US-Aussenminister die schreckliche Lage der Palästinenser so zusammen: «Derzeit leben 2,75 Millionen Palästinenser unter militärischer Besatzung. [...] In ihren täglichen Bewegungen sind sie durch ein Netz von Kontrollposten erheblich eingeschränkt. Ohne israelische Erlaubnis dürfen sie in die Westbank weder ein- noch aus ihr ausreisen.»
Kerrys Einsichten gelten natürlich auch noch heute, nur haben sich die Bedingungen für die Palästinenser noch einmal verschärft. Da ist z. B. Salah Hamouri – französische Mutter, palästinensischer Vater, verheiratet mit einer Französin. Hamouri engagiert sich für die palästinensische Gefangenenorganisation Addameer («Gewissen»). Er wurde mehrfach verhaftet – 2005 wegen des Verdachtes, die Ermordung des sephardischen Obersten Rabbiners Ovdia Yosef mitgeplant zu haben. Beweise wurden nicht vorgelegt, In Freiheit kam er im Zuge eines Gefangenenaustausches 2016 gegen den israelischen Kriegsgefangenen Gilad Shalit. Nach Beendigung seines Jurastudiums und Zulassung zur palästinensischen Rechtsanwaltskammer wurde er 2017 erneut verhaftet und später wieder freigesetzt.
Frieden als Schimpfwort?
Über die Lage der Palästinenser schreibt Salah Hamouri: «Die Besatzung betrachtet uns oder behandelt uns nicht als menschliche Wesen, welche das Recht haben, als freie Menschen zu leben.» Stattdessen tue die Besatzung alles, auch noch das Pseudoleben, das wir ausserhalb des Gefängnisses leben, zu ersticken. «Wir müssen alles tun, die wenigen Momente von Leben und Freude zu geniessen, die zwischen jeder Verhaftung liegen.»
Für Salah Hamouri gab es bisher in der Tat wenige Momente des normalen Glücks. Im Januar 2016 etwa wurde seine schwangere französische Frau am Flughafen Ben Gurion festgesetzt und nach Frankreich zurückgeschickt,
Unliebsamen Personen die Einreise zu verweigern, ist häufige Praxis Israels. Im November 2017 erklärten die Grenzbehörden sieben Mitglieder einer französischen Politiker-Delegation, welche die Lage palästinensischer Gefangener untersuchen wollte, für unerwünschte Personen.
Trauriger Höhepunkt dieser Strategie: Selbst dem amerikanischen Völkerrechtler jüdischer Abstammung, dem Professor an der Princeton Universität, Richard A. Falk – seinerzeit UN-Beauftragter zur Untersuchung der Lage der der Menschenrechte in den palästinensischen Gebieten – wurde im Jahr 2011 am Flughafen Ben Gurion die Einreise verweigert.
Frieden zwischen Palästinensern und Israelis? In Israel sei, notierte die «Süddeutsche Zeitung» schon im April 2017, das Wort Frieden zu einem «Schimpfwort mutiert».
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Quellen für Salah Hamouri: www.mondoweiss.net, ein palästinensisches Internetportal, sowie ein ausführlicher Beitrag bei Wikipedia, englische Ausgabe