Der scheidende Ministerpräsident, ein schwerreicher Geschäftsmann und Politiker aus Tripolis, war eine Figur, mit der die beiden feindlichen Kräfte sich abfinden konnten, die in Libanon die stärksten politischen Positionen einnehmen: die Hizbullah der Schiiten und die sunnitische Partei der Hariri Familie.
Umstrittene Sicherheitsfragen
Mikati ist ein Sunnite von Tripolis, er stand einigermassen gut mit dem syrischen Asad Regime und war daher für die bewaffnete Schiitenpartei Hizbullah erträglich, die ihrerseits Asad unterstützt. Er hatte es aber auch immer verstanden, seine Brücken zu den Sunniten seiner Heimatstadt nicht abzubrechen, die heute sehr energisch auf Seiten des syrischen Widerstands stehen.
Nun aber haben die wachsenden Spannungen über Syrien, die in Libanon um sich greifen, Mikati zu Fall gebracht. Ein Streit innerhalb seiner 32-köpfigen Regierung war ausgebrochen, weil die Anhänger und Freunde von Hizbullah sich weigerten, die Amtszeit des Chefs der libanesischen Sicherheit, des Generalmajors Ashraf Rifi zu verlängern, wie Mikati dies tun wollte. Hizbullah hat ihn als Feind eingestuft. Es gab auch unlösbare Gegensätze über der Zusammensetzung der von Mikati vorgeschlagenen Kommission, welche die kommenden Wahlen in Libanon beaufsichtigen soll. Hizbullah lehnte sie ab.
Beinahe eine Existenzfrage für Hizbullah
Für Hizbullah ist der Aufstand in Syrien eine sehr gefährliche Entwicklung. Falls Asad zu Fall kommen sollte, wäre die Verbindung der schiitischen Partei und Miliz nach Iran gefährdet. Diese läuft über Syrien und hat es bisher Hizbullah erlaubt, Waffen aus Iran zu erhalten, die nach Syrien geliefert und von dort über die an bestimmten Stellen offene Grenze nach jenen Teilen Libanons transportiert werden, in denen Hizbullah das Sagen hat. Man kann dies "Schmuggel" nennen, doch bisher musste nicht eigentlich geschmuggelt werden sondern nur transportiert .
Hizbullah ist eng mit Iran verbunden, und Iran gehört zu den wichtigsten Stützen des Asad Regimes. Hizbullah hat zugegeben, dass einige seiner Kämpfer auch auf syrischem Territorium eingesetzt wurden, um gegen die "Banden" zu kämpfen, die sich gegen Asad erhoben haben. Allerdings behauptet Hizbullah, dies geschehe nur im engeren Grenzraum nah bei Libanon, wo es von "libanesischen" Schiiten bewohnte Dörfer gebe, die von den "Banden" angegriffen worden seien. Damit sind Dörfer gemeint, in denen nicht Alawiten leben, sondern Zwölferschiiten, das heisst Leute der gleichen Religionsrichtung, der die Hizbullah angehört und die in Iran die Herrschaft ausübt.
Wie weit wirkt Hizbullah für Asad?
Die Feinde von Hizbullah klagen die Partei an,ihre Kämpfer unterstützten die syrische Armee in ihrem Ringen gegen die Aufständischen. Dies wird von Hizbullah dementiert. Doch es ist offensichtlich, dass Damaskus zur Zeit Hilfskräfte sammelt und einstellt, die dazu dienen sollen, die reguläre Armee zu entlasten.Deshalb sind die Vermutungen, dass sich auch Hizbullah Kämpfer an den Auseinandersetzungen in Syrien auf der Regierungsseite beteiligen, ernst zu nehmen.
In der vergangenen Woche hat sich die Lage weiter verschärft, weil Asad seinerseits die libanesischen Sunniten anklagte, sie unterstützten seine Feinde, die syrischen Aufständischen. Er sprach davon in einer Fernsehrede, und behauptete auch, eine grosse Zahl von "Terroristen" sei soeben über den Grenzort Tell Kalakh aus Libanon nach Syrien eingedrungen. Sein Aussenminister beschwerte sich offiziell beim libanesischen Staat darüber, dass dieser seine Neutralitätsverpflichtung nicht einhalte sondern sein Territorium dafür zur Verfügung stelle, dass die syrischen Rebellen dort Schutz und Hilfe fänden und von Libanon aus nach Syrien infiltrierten.
Raketen als warnender Hinweis
Bisher, so der Aussenminister, habe die syrische Armee die libanesische Grenze respektiert, doch sie könne sich künftig veranlasst sehen, die aufständischen "Banden" über die Grenze hinweg zu verfolgen.
Der libanesische Präsident, Soleiman, hat daraufhin die libanesische Armee aufgefordert, die Grenzen streng zu überwachen. Doch die Syrer haben ihre Klagen dadurch unterstrichen, dass ein syrisches Kampfflugzeug vier Raketen auf das libanesiche Grenzdorf Arsel abfeuerte. Sie fielen auf offenes Gelände und verursachten keinen Schaden an Menschenleben. In Arsel, so war bei dieser Gelegenheit zu vernehmen, seien 15 000 syrische Flüchtlinge untergeschlüpft, die in vielen Fällen Verwandte auf der libanesischen Seite der Grenze haben. Bei ihnen muss es sich um Sunniten handeln.
Waffen für die syrischen Rebellen
Der libanesiche Präsident Michel Soleiman hat den syrischen Übergriff als unakzeptabel bezeichnet.
Dass Waffen über Libanon die syrischen Aufständischen erreichen, ist ein offenes Geheimnis. Man hat anzunehmen, dass viele der Geschäftsleute und Politiker der sunnitschen Gegenpartei von Hizbullah (die sich das Bündnis vom 14. März nennt) und in Tripolis auch über bewaffnete Parteigänger verfügt, in diesen Waffenhandel verstrickt sind, wohl zum Teil mit Partnern aus Saudi Arabien und Qatar.
In Tripolis hat es dieser Tage erneut Gefechte zwischen den lokalen Sunniten und den dortigen Alawiten gegeben, die zu Asad halten. Es soll mehrere Tote gegeben haben, und auch ein Soldat der regulären Armee, die dort den Frieden aufrecht erhalten soll, sei gefallen.
Für Asad und für die Rebellen
Je mehr sich die Dinge in Syrien zuspitzen, desto stärker wachsen auch die Spannungen in Libanon zwischen dem "sunnitischen" anti-Asad und dem "schiitischen" pro-Asad Bevölkerungsteil. Dieser geht unter der offiziellen Bezeichnung eines "Bündnisses vom 8. März". Die libanesischen Maroniten und die Angehörigen der anderen christlichen Konfessionen, einst die tragende Macht in Libanon, sind heute aufgespalten zwischen diesen beiden Hauptblöcken.Figuren wie Mikati, die versuchen, einen Mittelkurs zwischen beiden Seiten zu halten, werden immer mehr aufgerieben. Die auf den 9. Juni angekündigten Wahlen verschärfen natürlich die Atmosphäre der Konfrontation, die heute in Libanon vorherrscht.
Die Wahlen müssen vielleicht hinausgeschoben werden, weil es noch immer kein Wahlgesetz, keine Wahlkommission und nun auch keine Regierung mehr gibt.
Gesucht ein "neutraler" Sunnit?
Präsident Suleiman und Mikati selbst haben zum "Dialog" aufgerufen. Das Parlament wird in schwierige Verhandlungen über eine neue Regierung eintreten. Als Ministerpräsident muss eine neue sunnitische Persönlichkeit gefunden werden, die beiden "Bündnissen" genehm wäre. Mikati wurde schon bei der Bekanntgabe seines Rücktritts von den Journalisten gefragt, ob er erneut Ministerpräsident werden wolle. Er antwortete, darüber zu sprechen, sei noch zu früh.
Solange es keine Regierung gibt, können nach der Verfassung auch keine Wahlen durchgeführt werden.Wenn das gegenwärtige Parlament über seine Amtsperiode hinaus als eine Art von Notstands Parlament verlängert wird, wird dies seine Legitimität und Autorität reduzieren.
Zurückschrecken vor dem Bürgerkrieg
Libanon hat bisher über alle inneren Spannungen hinweg seinen Zusammenhalt immer knapp zu bewahren vermocht. Die Erinnerung an den libanesischen Bürgerkrieg von 1975 bis 1991 hat die Streitparteien bisher immer wieder dazu bewegt, doch noch prekäre Kompromisse zu finden. Doch die Auseinandersetzungen in und um Syrien stellen den Zusammenhalt Libanons unter immer schwerere Belastungsproben.