Am vergangenen Mittwoch lehnte der Nationalrat die Initiative «Schutz vor Sexualisierung in Kindergarten und Primaschule» klar ab. Die stundenlange Diskussion hatte zwar einige heitere Momente, war aber trotzdem keine helle Stunde des Parlaments. Sie war ein weiteres Beispiel dafür, wie Scheinprobleme mit populistischen Initiativen bewirtschaftet werden.
Die klare Ablehnung der Initiative im Nationalrat ist auf zwei Ebenen erfreulich und richtig.
Die methodische Ebene: Selbst wenn man – was ich ausdrücklich nicht tue – die inhaltlichen Forderungen der Initiative unterstützen würde, ist es ein Unding, den Lehrplan für ein einzelnes Fach in die Bundesverfassung zu schreiben. Was kommt als nächstes – Bodenturnen, der Umgang mit den binomischen Formeln oder das Vokabular des Englisch-Unterrichts? Nur ein Nebenschauplatz – wenn auch ein bezeichnender für die Inkonsequenz der Initiantinnen und Initianten – ist die Tatsache, dass der Vorstoss von Kreisen lanciert wurde, für die sonst auch nur schon sprachregionale Harmonisierung der Lehrpläne des Teufels ist.
Die inhaltliche Ebene: Die Initiative schafft ein Problem, das es nicht gibt, und schlägt dafür eine Lösung vor, die nichts taugen würde, selbst wenn es das Problem gäben würde. Es ist ja in keiner Weise so, dass in unseren Kindergärten und Primarschulen die Kinder „mit Pornografie sexualisiert“ würden, wie das die Initiativbefürworter behaupten. Das Gegenteil ist richtig.
Kindern kommen heute früher als bisher mit Sexualität in Kontakt. Zumindest auf der visueller Ebene: das «Internet ohne Grenzen» ermöglicht eben auch jedem Kind mit einem Maus-Klick Zugriff auf Pornografie. Diese Entwicklung, beziehungsweise der fehlende Kinder- und Jugendschutz, macht auch mir Sorgen und ich engagiere mich seit vielen Jahren auf diesem Gebiet. Gerade auch aus diesem Engagement heraus lehne ich die Initiative ab. Sie würde nämlich das Gegenteil dessen bewirken, was sie vorgibt.
Das neue mediale Umfeld macht es wichtig, dass alle Kinder, auch diejenigen, die in schwierigen Familienverhältnissen aufwachsen, Zugang zu umfassenden und altersgerechten Informationen erhalten. Sie müssen die biologischen, psychischen und sozialen Faktoren der Sexualität kennen. Sie müssen auch wissen, dass es in der Sexualität auch um Macht und Machtmissbrauch gehen kann. Viele Jugendliche haben schon berichtet, dass sie in gewissen Situationen überfordert gewesen seien, weil sie nicht gelernt hätten, im richtigen Moment «Nein» oder «Stopp» zu sagen. Nein sagen, muss gelernt werden. Dieses Nein braucht es manchmal auch in der eigenen Familie, der Verwandtschaft oder dem Freundeskreis.
Ich gehe mit den Initianten durchaus einige, dass Aufklärung in erster Linie Sache der Eltern ist. In der gelebten Realität hingegen ist es oftmals so, dass nicht wenige Eltern Mühe haben, dieses Thema sachlich mit ihren Kindern zu besprechen. Was früher ein Tabu-Thema war, ist es in manchen Familien nach wie vor. Auch gibt es viele Eltern, die nur schlecht damit umgehen können, dass ihre jugendlichen Kinder einen eigenen Umgang mit Sexualität suchen und finden müssen. Und nicht zuletzt gibt es viele Eltern, denen der direkte emotionale Kontakt zu ihren Kindern fehlt.
Aus all diesen Gründen ist es wichtig, dass Eltern in der Erziehungsaufgabe von der Schule unterstützt und ergänzt werden. Denn nur so, können alle Kinder und Jugendliche in der Schweiz weiterhin auf ein wertvolles Netz an Informationen zählen, die sie dringend benötigen.
Wer stufengerechte Aufklärung verhindert, schafft neue Opfer. Ein Umfeld von Tabuisierung und Nicht-Wissen fördert den Missbrauch. Alle Erfahrungen zeigen, dass in unseren Schulen grundsätzlich sehr sorgfältig und verantwortungsvoll mit dem Thema umgegangen wird, von einer «Sexualisierung» der Kinder kann keine Rede sein. Unser bisheriges System hat sich bewährt, was auch unsere weltweit tiefe Abtreibungsrate gerade auch von jungen Frauen zeigt.
Die Initiative «Schutz vor Sexualisierung in Kindergarten und Primaschule» wird auch im Ständerat keine Chance haben. Trotzdem wird die Volksabstimmung kein Spaziergang. Die Initiantinnen und Initanten werden – wenn sie sich treu bleiben – mit Halb- und Unwahrheiten um sich werfen, mit Holzpenissen und Plüschvaginas jonglieren und mit Unterstellungen Unsicherheit schüren. Die vernünftigen Kräfte in diesem Land werden noch einige Aufklärungsarbeit zu leisten haben für eine stufengerechte und sachliche Aufklärung, die unsere Kinder und Jugendlichen vor Missbrauch und persönlichen Nöten schützt.