Von Dagmar Wacker
Das Fotomuseum Winterthur zeigt bis zum 15. Mai eine Retrospektive des ungarischen Fotografen und Weltenbürgers Andre Kertesz, eines Poeten der Fotografie und Erfinders der Fotoreportage, der mit seinen immer neuen Ideen die fotographische Bildsprache ständig bereicherte und Kollegen, wie Cartier-Bresson und Man Ray, stark beeinflusste . Die Stilmittel dieses hochgewachsenen noblen Herrn aus einem anderen Jahrhundert, 1894 in Budapest geboren, und von den Werten und der Kultur der Donaumonarchie geprägt, sind auch heute noch, mehr als 25 Jahre nach seinem Tod, bei gegenwärtigen fotografischen Gestaltern hoch im Kurs.
Kertesz, der als Emigrant in Paris und New York lebte, meinte, er könne nicht anders, die Fotographie sei die einzige Sprache, die er wirklich beherrsche. Und darin war seine Ausdrucksweise so reich, dass einst ein amerikanisches Magazin eine Reportage ablehnte mit der Begründung: ‚Your pictures talk too much.’ In Frankreich sah man ihn anders: ‚Un photographe pensive’ nannte ihn der Philosoph Roland Barthes, einen denkenden Künstler, der auch zum Denken anregt. Kertesz’s Bilder, so schön sie immer sind, haben eine Dichte, die sich dem schnellen Konsum zart entzieht. Doch es lohnt sich Zeit zu nehmen, zu schauen, Gedanken nach zu hängen, in sich hinein zu spüren, und sich der immer intensiven Atmosphäre zu überlassen.
Der Erfolg, die Anerkennung kamen für den schüchternen, immer etwas verloren wirkenden, Einzelgänger Kertesz, der Kollegen und Strömungen -wie die Surrealisten- inspirierte, doch sich nie vereinnahmen liess, erst spät. Erst nach einer Fotostrecke in der Zeitschrift ‚camera’ und der nachherigen Ausstellung (1964) im MoMa in New York. Da war Kertesz schon 70 Jahre alt. Er konnte sich immerhin noch zwanzig Jahre darüber wundern.
Die Schau im Fotomuseum ist die vorher im ‚Jeu de Paume’ in Paris gezeigte, sorgfältig kuratiert von Michel Frizot und Annie-Laure Wanaverbecq. Sie zeigt 250 Fotos, chronologisch gehängt und thematisch fokussiert. Obwohl sogar in den Zwischentexten identisch, wirkt sie doch frisch und neu und zeigt wieder neue Einblicke in das Schaffen, Wirken und Leben dieses grossen, vielen bisher unbekannten, Meisters.
Die Ausstellung Fotoskulptur im Kunsthaus Zürich zeigt gleichzeitig Skulpturaufnahmen von Kertesz bis 15.5.
(Siehe auch Artikel von Ignaz Staub "Der Sucher der lyrischen Wahrheit" http://www.journal21.ch/der-sucher-der-lyrischen-wahrheit)