Hochrangige Diplomaten der Islamischen Republik sollen 2014 die «Iran Experts Initiative» ins Leben gerufen haben, die nach Enthüllungen mehrerer Medien jahrelang für viel Geld westliche Aussenministerien beriet. Wie ihre Entstehung läuft auch ihr Ende offenbar nach einem Fahrplan aus Teheran ab.
Die Bild-Zeitung macht es sich wie immer einfach und spricht von «Mullah-Agenten». Die Berliner Zeitung kreiert den Begriff «Mullahs Ghostwriter», die taz versucht es sachlich und titelt: «Experten in der Kritik». Und ein iranischer Blogger empfiehlt gar spöttisch, vielleicht sollte die deutsche Aussenministerin ein bisschen علم الرجال , «die Wissenschaft der Männer» lernen. Annalena Baerbock muss dabei nicht fürchten, sich in Feminismus aus schiitischer Sicht vertiefen zu müssen. «Die Wissenschaft der Männer» ist in der schiitischen Theologie ein sehr weites Lehr-und Forschungsgebiet. Ein Grossayatollah etwa, der Fatwas erlassen darf, muss Grossmeister dieser Lehre sein. Und nicht WAS, sondern WER ist die Fragestellung dieses Fachgebiets.
Abertausende religiöse Überlieferungen, die seit Jahrhunderten weitererzählt worden sind, gilt es dabei zu bewerten. Eine Überlieferung gilt als «schwach», wenn auch nur einer in dieser langen «Kette der Überbringer» zwielichtig oder unseriös erscheint. Man muss dem Überbringer der Botschaft vertrauen können. Das könnte sich auch Baerbock zu eigen machen. Die deutsche Aussenministerin handele ja im Interesse Deutschlands, sie gehe doch nicht nach den Lehrbüchern der schiitischen Seminare vor, erwidert ein anderer Blogger.
Wir befinden uns inmitten der sogenannten «Experten-Affäre», die die iranische Community dieser Tage viel tiefer bewegt als die deutsche, amerikanische oder schwedische Öffentlichkeit. Und die ebenso bizarre wie lehrreiche Geschichte ist noch keineswegs zu Ende.
Alle Wege führen nach Teheran
Es kann sogar noch schlimmer kommen. Dafür gibt es aus Teheran genug Hinweise, Andeutungen und Fingerzeige. Entpuppt sich am Ende auch dieser spektakuläre Enthüllungsjournalismus über die «Mullah-Agenten» als ein gut orchestriertes Szenario, geschrieben von den Revolutionsgarden?
Die heiss diskutierte Affäre, mit der sich derzeit auch der US-Senat beschäftigt, trägt den Titel «Iran Experts Initiative» und stützt sich auf Tausende geheimer E-Mails, die zwischen dem iranischen Aussenministerium und dem sogenannten «Expertenteam» ausgetauscht wurden. Die Mails seien auf ihre Echtheit hin forensisch überprüft worden, versichern der persischsprachige TV-Sender Iran International und das US-Portal Semafor, die am vergangenen Dienstag gemeinsam ausführlich und spektakulär darüber berichtet haben.
Diesen E-Mails zufolge gehören der «Initiative» unter anderem die Pentagon-Mitarbeiterin Arian Tabatabai an, ausserdem der Analyst des einflussreichen US-Thinktanks «International Crisis Group», Ali Vaez, sowie der Deutsch-Iraner Adnan Tabatabai, der nach Zeitungsberichten jahrelang dem deutschen Aussenministerium als Berater gedient haben soll. Nicht nur der Inhalt, sondern auch der Tenor dieser Mails belegen, dass diese «Experten» zumindest zur Zeit ihrer Beratertätigkeit keineswegs unabhängig gewesen sein können.
Geburtsort Berlin
Diesen geheimen E-Mails zufolge wird die Bezeichnung «Initiative» für die Expertengruppe im Frühjahr 2014 in der iranischen Botschaft in Berlin erfunden. Hier diente damals Said Khatibzadeh als hochrangiger Diplomat, später wird er Sprecher des iranischen Aussenministeriums. Als Khatibzadeh in einem Schreiben an Mostafa Zahrani, den Chef der «Thinktank-Rooms» in Teheran, die Bildung der «Initiative» bekannt gibt, haben wir noch ein Jahr Zeit bis zur Unterzeichnung des weltweit gefeierten Atomabkommens zwischen dem Iran und den Grossmächten der Welt einschliesslich Deutschland.
Berlin ist kein zufälliger Ort. Deutschland spielte oft eine Hauptrolle beim Zustandekommen dieses Abkommen. Die Mitglieder des «Expertenteams» kommen laut den Dokumenten der beiden Medien einzeln und gemeinsam in Prag, Wien, Luzern, Teheran und natürlich in Berlin mit iranischen Grössen wie etwa dem Aussenminister Javad Zarif zusammen. Die «Initiative» hilft, nützliche Statements und Erklärungen für die Islamische Republik zu koordinieren und zu verbreiten.
«Iran International» und «Semafor» sind in ihren Recherchen darauf gestossen, dass die E-Mails aus dieser Zeit zeigen, wie das «Expertenteam» oft auf Anregung aus Teheran agiert. Einmal will Arian Tabatabai von ihrem Verbindungsmann in Teheran wissen, ob sie an einer bestimmten Konferenz teilnehmen oder nach Israel reisen sollte. Konferenz ja, aber Reise nach Israel nein, soll die Antwort aus Teheran gelautet haben. Die iranische Regierung bezahlte die Kosten im Zusammenhang mit den internen Treffen dieser Gruppe; sie gewährte der «Initiative» Zugang zu hochrangigen Beamten und ermöglichte Einladungen zu Besuchen in Teheran. Ein anderes Mitglied der «Initiative» schickt dem Chef der «Thinktanks» in Teheran seinen Text vor der Veröffentlichung und bittet um seine Meinung. In einer Mail freut sich Khatibzadeh aus Berlin darüber, wie effektiv «seine» Experten arbeiten und wie sie die Politik der USA und der EU gegenüber Iran entscheidend prägten. Unrecht hat er keineswegs.
Das deutsche Mitglied der «Initiative», Adnan Tabatabai, prägt mit seiner Firma Carpo in der Tat seit Jahren die deutsch-iranische Beziehung nicht nur mit, sondern berät laut der Carpo-Website europäische Politik und Wirtschaft zu Iran-Angelegenheiten. Adnan Tabatabai hat also Zugang zu den Machtzentren in Teheran ebenso wie in Berlin.
In seinem Buch «Morgen in Iran – Die Islamische Republik im Aufbruch», erschienen 2016, schreibt er über seine regelmässigen Reisen zwischen Deutschland und Iran und darüber, dass er seit jeher versuche, die unterschiedlichen Welten «in Einklang» zu bringen. Bei Themen wie Hijab, Meinungsfreiheit oder Hinrichtungszahlen fordert er den Perspektivwechsel: «In westlichen Ländern wie Deutschland werden Grundrechte wie Presse- und Meinungsfreiheit, politische Mitspracherechte und faire Wahlen als prioritär angesehen. In Iran und der Region des Mittleren Ostens hingegen zählen viel grundsätzlichere Dinge, um die sich westliche Gesellschaften nicht mehr zu sorgen brauchen.»
Diejenigen, die ihm vorwerfen, er betreibe eine Imagepolitur der Teheraner Despotie, bezichtigt er in einem Interview mit der «Welt» der «Sippenhaft». Denn sein Vater Sadegh Tabatabai war iranischer Sonderbotschafter in Deutschland. Aufgrund seiner familiären Beziehung zum Revolutionsführer Ayatollah Chomeini – Sadegh Tabatabais Schwester war mit Chomeinis Sohn Ahmad verheiratet – hatte der in Deutschland studierte Pharmakologe Zugang zum Kern der Macht. Manche Beobachter sind der Meinung, Adnan pflege eine Familientradition.
Daran, dass die «Iran Experts Initiative» ein Kind aus Teheran sei, bestehe kein Zweifel, sagt ein anerkannter Wissenschaftler und Buchautor dem Iran Journal. Er beharrt auf seiner Anonymität. Als er noch antiimperialistisch angehaucht gewesen sei, habe er als Berater mit dem «Expertenteam» gewisse Verbindungen gepflegt und sei bei verschiedenen Treffen in unterschiedlichen Hauptstädten dabei gewesen. Die Genese der «Initiative», bei der Teheraner Diplomaten als «Geburtshelfer» eine herausragende Rolle spielten, könne er bestätigen. In den USA arbeiteten diese «Experten» sehr eng mit Robert Malley, dem Iran-Sondergesandten der US-Administration, zusammen.
Warum jetzt?
Und nun zum zweiten Teil der Story: Warum erfahren wir gerade jetzt von diesen «Mullah-Agenten», den «Ghostwritern», den zwielichtigen Beratern oder wie man sie auch nennen mag? Sie seien verbrannt, taugen nicht mehr, der Westen solle sich nach anderen «Beratern» umschauen, lautet die Botschaft aus Teheran. Am 12. September spricht Ali Khamenei zum ersten Mal von der «International Crisis Group». «Der Feind» habe diese Gruppe für den Kampf gegen die Islamische Republik gegründet, so sagte da der mächtigste Mann Irans.
Das bekannteste Gesicht dieser Gruppe im Iran ist der redegewandte Ali Vaez, ein gefragter Interviewpartner im Ausland ansässiger persischsprachiger TV-Sender, wenn es um das Atomabkommen geht. Zwei Tage nach Khameneis Äusserung nahm sich die Teheraner Tageszeitung «Keyhan» Ali Vaez vor und schrieb, die Zeiten der Reformer, der Gemässigten und der sonstigen «Weltversteher» sei im Iran längst vorbei. In der Tat ist die Macht fast vereinheitlicht, ist in den Händen der Hardliner. Und wenn keine unterschiedlichen Machtfraktionen mehr existieren, braucht man keinen Navigator, der irgend jemanden durch dunkle Kanäle des Teheraner Machtapparats führen muss.
Wieder die Garden am Werk?
Kümmert Euch um neue Berater! Das scheint das unmissverständliche Signal aus Teheran zu sein. Am 21. Juli erschien in der Teheran Times eine lange Enthüllungsstory unter dem Titel «Exclusive: The secret talks that doomed Rob Malley». Malley habe Schwierigkeiten, geheime Dokumente aufzubewahren, schreibt da die Teheran Times. Und die Webseite «Fars» kommentiert in persischer Sprache, Malleys Problem sei seine Nähe zu den iranischen «Reformern».
«Fars» ist die persische und «Teheran Times» die englischsprachige Postille der Revolutionsgarden. Robert Malley gilt als Mentor der «Iran-Experten» in den USA. Zwei Tage später schrieb der Chefkommentator der Tageszeitung «Keyhan» einen bissigen Beitrag über Ali Vaez. Dieser ist im Iran das bekannteste Gesicht des «Expertenteams», das sich um Malley gesammelt hatten. Keyhan ist das Sprachrohr von Staatsoberhaupt Khamenei. Damit waren nicht nur Malleys Tage im Amt gezählt. Auch die Zeit dieser Doppelstaatler als Vermittler war abgelaufen.
Nur einen Monat später wurde Malley als Sondergesandter für den Iran in unbezahlten Urlaub versetzt, seine Sicherheitsfreigabe wurde aufgrund einer Untersuchung wegen möglichen Missbrauchs von Verschlusssachen ausgesetzt.
Hacker oder Bote?
Und wie fanden diese E-Mails über die «Iran Experts Initiative» den Weg zum TV-Sender «Iran International» beziehungsweise dem amerikanischen Portal «Semafor»? Waren Hacker im Spiel oder brachte jemand die Mails in der Redaktion vorbei? Bozorgmehr Sharafoldin, Autor dieser Enthüllungsgeschichte, schweigt dazu. Sharafoldin studierte englische Literatur, arbeitete für die BBC als Dokumentarist und berichtete später für die Nachrichtenagentur Reuters aus dem Nahen Osten. Er ist Übersetzer des japanischen Romanciers Haruki Murakami. Von Fakenews ist er meilenweit entfernt, auch wenn das «Expertenteam» nun von Lügen und Machenschaften sprechen muss.
In den Medien der Islamischen Republik herrscht dagegen ein bedeutungsvoll lautes, ja geradezu zufriedenes Schweigen. Als ob man am Ziel sei. Der Autor dieses Textes könnte die Schlagzeile wählen: In eigener Sache: Traue keinem Experten. Besonders dem nicht, der bei Diktatoren ein- und ausgeht, sich als Tyranneikenner ausgibt und dir zugleich sagt, wie du mit einer Despotie umzugehen hast. Vor allem dann nicht, wenn der Alleinherrscher vom eigenartigen schiitischen Messianismus beseelt ist.♦
Quellen: iranintl , Semafor 1 , Semafor 2 , Die Welt , Gooya 1 , Fars , Gooya 2 , Mena Watch
Übernahme mit freundlicher Genehmigung vom Iran Journal