In unserem Land gibt es Hunderttausende von Mehrfamilienhäusern. Der weitaus grösste Teil von ihnen steht in abgegrasten, langweiligen Grünflächen, genannt Rasen. Das Ergebnis: Statt inmitten multifunktionaler Lebensräume für einheimische Pflanzen- und Tierwelt zu leben, begnügen wir uns mit artenarmer, grossflächiger Eintönigkeit.
Das Bild ist fast überall im Land das gleiche: Zuverlässig und regelmässig sorgen Abwarte von Mehrfamilienhäusern oder professionelle Hauswartungen dafür, dass die Rasenflächen ums Haus maschinell gemäht werden – bei grösseren Anlagen sitzen die Beauftragten dazu auf fahrbaren, luftverpestenden Kleintraktoren. Ihnen ist jedoch nichts vorzuwerfen: Sie erfüllen ihre Aufgabe wie von der Verwaltung vorgeschrieben. Diesen (oder den Besitzern der Liegenschaften) sollte es eigentlich längst klar sein, dass diese Art von «Instandhaltung» überlebt und desolat ist.
In einer Zeit, in der in der Schweiz jährlich 5300 bis 6800 Hektar Land überbaut werden, somit wasserdurchlässige Fläche und Lebensraum für unzählige Kleintiere für immer verschwinden, steigt die Zahl der Menschen, die sich über diese Entwicklung Gedanken machen. Insbesondere ist es SVS/BirdLife Schweiz (www.birdlife.ch) zu verdanken, uns daran zu erinnern, dass verschiedene Lebensräume in Siedlungen nicht nur für die Biodiversität, sondern auch für die Lebensqualität des Menschen wichtig sind.
Gedankenanstösse für eine natur- und vogelfreundliche Umwelt
In verschiedenen Broschüren und Merkblättern, die gratis heruntergeladen werden können, geben die Herausgeber Tipps, wie und was wichtig ist, um eine nachhaltige Umgestaltung solcher eintöniger Rasenflächen zu realisieren. Eine Kombination aus Kleinstrukturen (Ast- und Steinhaufen, offene Bodenstellen, unverputzte Mauern, abgestorbene Pflanzenstängel und Totholz) bietet den Tieren Verstecke und Schlaf- oder Überwinterungsplätze. Blütenreiche Wiesen und Ruderalflächen (Baustellen, Wegränder und Schuttflächen) zeichnen sich durch einen grossen Reichtum an Pflanzenarten aus und sind eine wichtige Nahrungs- und Lebensgrundlage für Kleintiere wie Schmetterlinge, Schwebefliegen und Wildbienen.
Natürlich heisst Biodiversität nicht, dass die Leute ausgeschlossen sind. Naturnahe Flächen in Dorf, Stadt und Agglomeration können auch vom Menschen genutzt werden zur Erholung, für Naturbeobachtungen oder für Spiele.
Einige konkrete Tipps
Blumenwiesen gehören zu den attraktivsten Teilen einer natur- und vogelfreundlichen Anlage. Sie sollten auf einem möglichst nährstoffarmen, mageren Boden angelegt werden. Besonders gut gedeihen sie an sonnigen, trockenen Standorten. Die meisten dieser Wiesen müssen nur ein- bis zweimal pro Jahr gemäht werden. Je magerer der Boden, desto artenreicher die Lebensgemeinschaft.
Asthaufen sind wichtig. In ihnen leben Blindschleichen, überwintern Igel und pflanzen sich Insekten fort. Diese Asthaufen sollten von Oktober bis April unverändert bleiben, um darin lebende Tiere nicht zu stören.
Auch Altgras ist wichtig für Insekten, ein Teil einer Blumenwiese soll deshalb als Saum über den Winter stehen gelassen werden.
Hecken aus einheimischen Sträuchern sind eines der besten Gestaltungselemente im Siedlungsraum. Mit ihnen lassen sich sicht- und windgeschützte Räume gliedern.
Holzbeigen sind ein weiteres sehr gutes Gestaltungselement, das Mauern bestens ersetzen kann (brauchen keine Bewilligung!). Unzählige Organismen leben darin, Vögel brüten mittendrin und Fledermäuse finden hier Unterschlupf.
Vom konventionellen zum vogelfreundlichen Garten
Vielleicht müssen Mieterinnen und Mieter in Mehrfamilienhäusern mal mit dem Abwart oder der Hausverwaltung reden, um sie für die Problematik zu sensibilisieren. Besitzerinnen und Besitzer von Eigentumswohnungen traktandieren das Anliegen für die nächste Eigentümerversammlung. Manchmal braucht es nur einen externen Anstoss, um einer ökologischen Idee zum Durchbruch zu verhelfen.
Für die Umwandlung vom konventionellen zum naturnahen Garten braucht man nicht gleich den Bagger zu bestellen. Eine Änderung der Pflege bringt den ersten Schritt. Wachsen lassen, was von selbst gedeiht. Teilbereiche werden nur noch einmal im Jahr gepflegt. Erhaltenswert sind ältere, grosse Bäume mit Höhlen oder abgestorbenen Ästen, Brennnesseln, Gartenmäuerchen, Kletterpflanzen, vernässende Stellen, bereits bestehende Teiche oder Kleinbassins.
Auch Straucharten sind wichtig: Schwarzer Holunder (Wildform), wolliger Schneeball, Kornelkirsche, Pfaffenhütchen, Hagenbuche – sie alle bieten Amseln, Rotkehlchen, Buchfinken, Kernbeissern, Eichelhähern, Staren, Gimpeln, Mönchsgrasmücken usw. willkommene Standorte.
Und natürlich: Autoparkplätze, Gartenplätze und -wege sollten nicht asphaltiert sein, sie lassen sich sehr schön mit Kies gestalten. Dann kann das Regenwasser an Ort und Stelle im Boden versickern und wird nicht in die Kanalisation geführt.
Das britische Rezept
Kürzlich gab die britische Naturschützerin Isabella Tree bei einem Interview in der NZZ am Sonntag noch einen drauf. «Hört doch endlich auf zu jäten!», rät sie uns. Hecken «pützeln» und Schnecken vergiften, bloss das nicht! Rewilding nennt sich das von ihr angewandte Prinzip gegen das Artensterben. Sie plädiert für eine britische Gartenrevolution – und das bei perfekt gehätschelten, kurzgeschnittenen Rasen vor englischen Einfamilienhäusern. Zugegeben: Ihr Garten ist mit 5000 Quadratmetern etwas grösser, als wir es gewohnt sind …
Isabella Tree rät, die Umstellung des Gärtnerns mit Loslassen zu beginnen: Zuallererst sollte man mit Dünger und Pestiziden aufhören! Das hat bereits einen positiven Effekt auf Insekten und Vögel. Als Nächstes kann man Teile des Gartens einfach wachsen lassen. Dort, wo das Gras höher ist, finden kleine Säugetiere Schutz. Warum nicht mutig sein? Nur noch einmal im Monat mähen! Oder sogar nur einmal in der Saison, im September? Am wichtigsten ist für sie: sich vom Ideal einer geordneten Natur zu verabschieden und Chaos zumindest an ihren Rändern zu akzeptieren. Dort gedeiht das Leben!
Es braucht Mut, über den Gartenzaun hinaus zu denken!