Das Schweizer Parlament hat eine Aufstockung der Armee-Ausgaben um eine Milliarde Franken pro Jahr beschlossen. Umstritten ist nur noch die Finanzierung. Aber die viel dringlichere Aufgabe einer Lockerung der Waffenausfuhr-Bedingungen zugunsten der Ukraine bleibt weiterhin unerledigt auf der langen Bank. Eine beschämende Verschleppung.
Mit einigem medialen Getöse hat in der vergangenen Woche nun auch der Nationalrat beschlossen, das Armeebudget in den nächsten vier Jahren um je eine Milliarde aufzustocken. Den entscheidenden Anstoss zu dieser militärischen Ausgabenerhöhung hat Putin persönlich gegeben – nämlich durch den von ihm befohlenen Überfall auf die Ukraine. Ohne den Schock über diesen mörderischen Krieg wären parlamentarische Mehrheiten in der Schweiz und anderen Ländern des Kontinents für erhöhte Militärausgaben kaum zustande gekommen.
Zwar gibt es in Bern noch keine Einigung darüber, wie die beschlossene Finanzspritze für die Armee finanziert werden soll, worüber einige Kommentatoren verzweifelt die Hände verwerfen. Als ob ein solches Problem nicht durch ein paar erprobte parlamentarische Kuhhändel in nützlicher Frist zu lösen wäre.
Viel dringlicher wäre es dagegen, die Lockerung des Waffenexportes zugunsten der Ukraine endlich durchzusetzen. Denn bei dieser Aufgabe geht es um unmittelbare existenzielle Interessen eines schwer bedrängten europäischen Landes. Seit mehr als zweieinhalb Jahren wird dieses Land von seinem grossen östlichen Nachbarn gnadenlos und entgegen allen völkerrechtlichen Normen mit Krieg, Zerstörung und Tod überzogen. Zehntausende von Soldaten und Zivilisten sind durch Putins Kriegsmaschinerie getötet worden, Millionen von ukrainischen Bürgern ins Ausland oder im Inneren des Landes geflüchtet.
Zwar hat die Schweiz sich nach kurzem Zögern den vom Westen beschlossenen Wirtschaftssanktionen gegenüber dem russischen Aggressor angeschlossen. Doch über eine mögliche Lockerung des Waffenausfuhr-Gesetzes zugunsten der Ukraine, über das seit Beginn des russischen Angriffskriegs diskutiert und zwischen den Parteien verhandelt wird, sind bis heute keine Nägel mit Köpfen zustande gekommen. Noch immer schiebt man in Bern die notwendigen Entscheidungen vor sich her.
Dabei geht es gar nicht um direkte Waffenlieferungen an die Ukraine, sondern lediglich um eine angemessene Lockerung der rigiden Bestimmung, dass Waffen und militärisches Material, das andere Länder in der Schweiz gekauft haben, von diesen Käuferländern nicht weiter an Drittstaaten wie die Ukraine exportiert werden dürfen. Konkret geht es um Munition und leichte Panzerfahrzeuge, die Deutschland, Dänemark und Spanien von Schweizer Rüstungsfirmen erworben haben und die sie an die Ukraine zur Verteidigung gegen die russische Aggression weitergeben wollten. Die Schweiz hat entsprechende Gesuche bisher immer zurückgewiesen und begründete dies mit ihren Neutralitäts-Verpflichtungen. Diese Haltung wird zwar von den nationalistischen Ideologen im Umkreis der Blocher-SVP und der Putin-Weisswäscher à la Köppel unterstützt. Doch bei einer differenzierten, unideologischen Betrachtung ist sie weder völkerrechtlich noch moralisch überzeugend.
Moralisch bleibt schwer erträglich, wenn die Schweiz bei der Frage von indirekten Waffenlieferungen die um ihre Existenz kämpfende Ukraine gleichbehandelt wie den Angreifer Russland. Und was die Berufung auf neutralitätsrechtliche Verpflichtungen betrifft, so ist es wenig glaubhaft, wenn Bern sich auf überholte Bestimmungen im sogenannten Haager Landrechtsvertrag von 1907 beruft, der heute laut NZZ von keinem anderen Land mehr anerkannt wird. Ungleich grösseres Gewicht kommt in Sachen Waffenhilfe der von der Schweiz mitunterzeichneten Uno-Charta von 1947 zu. Diese schreibt in Artikel 51 für alle Staaten ein Recht auf Verteidigung fest und dieses Recht wird ausdrücklich mit der Möglichkeit kollektiver Hilfe durch andere Länder verknüpft.
Immerhin scheint eine eventuelle Aufweichung des starren Verbots zur Weitergabe von Waffen, die in der Schweiz eingekauft wurden, an Drittstaaten wie die Ukraine nicht mehr völlig blockiert. Im Juni hat die zuständige Sicherheitskommission des Nationalrates mit knapper Mehrheit einen Lösungsvorschlag verabschiedet. Dieser sieht vor, dass bestimmten Ländern mit zuverlässigem demokratischem Leumund die Bewilligung erteilt wird, fünf Jahre nach dem Erwerb von Waffen schweizerischer Produktion diese an Drittstaaten zur Verteidigung wieder ausgeführt werden können. Mit dieser Regelung wäre die Lieferung von Munition für Gepard-Flugabwehrpanzer aus deutschen oder dänischen Arsenalen an die Ukraine wohl gesichert.
Die Krux bei dieser Lösungsperspektive liegt jedoch im Schneckentempo und der Unberechenbarkeit der helvetischen Entscheidungsmaschinerie. Bisher ist anscheinend noch unklar, wann der Vorschlag der nationalrätlichen Kommission in beiden Kammern des Parlaments beraten wird. Und selbst wenn dieser alles andere als revolutionäre Vorschlag eine Mehrheit finden sollte, so werden die Neutralitätsfetischisten im SVP-Lager dagegen mit grösster Wahrscheinlichkeit ein Referendum lancieren. Mit einer Volksabstimmung könnte dann erst gegen Ende 2025 gerechnet werden.
Zu diesem Zeitpunkt aber ist möglicherweise der Ukraine-Krieg endlich vorüber – mit welchem Ergebnis auch immer. Gelingt es der Ukraine, die russischen Invasoren erfolgreich zu vertreiben, so könnte die Schweiz zu ihrer Entlastung zumindest geltend machen, dass dieser glimpfliche Ausgang auch ohne Waffen schweizerischer Herkunft möglich wurde. Kommt es aber zu einem militärischen Kollaps der Ukraine oder zu einem Diktatfrieden von Putins Gnaden, so wird sich unser Land dem denkbaren Vorwurf nicht ohne weiteres entziehen können, dass wir zumindest in Sachen Waffenhilfe nichts unternommen haben, damit sich die Ukraine gegen den Angreifer Russland mit allen Mitteln wehren kann. Dies obwohl eine solche Unterstützung durch die Uno-Charta völkerrechtlich klar gerechtfertigt wäre.
Der Schweizer Politik hätte es gut angestanden, das Geschäft möglicher indirekter Waffenlieferungen an die Ukraine dem Entscheidungsprozess um die Aufstockung des Armee-Budgets zeitlich vorzuziehen. Die Erhöhung der helvetischen Militärausgaben um eine Milliarde jährlich mag grundsätzlich gut vertretbar sein. Aber sie wird Putins kriegerische Pläne oder Absichten kaum beeinflussen, ob sie nun ein paar Wochen früher oder später beschlossen wurde. Bei der Verschleppung indirekter Waffenhilfe an die schwer bedrängte Ukraine aber spielt der Zeitfaktor eine potentiell fatale Rolle.
Kommt hinzu, dass eine verpasste Lockerung der unflexiblen Waffenausfuhrbedingungen auch der Schweizer Rüstungsindustrie schweren Schaden zufügt. Denn jetzt schon zeichnet sich ab, dass befreundete Länder wie Deutschland oder Dänemark keine Waffen mehr in der Schweiz bestellen werden, wenn sie diese nicht mehr an gefährdete Bündnispartner weitergeben können. Putin könnte sich darüber die Hände reiben.