Kürzlich erhielt ich per E-mail eine ellenlange Story über das Schweden-Mädchen Greta Thunberg. „Rein zufällig“, hiess der Titel und die Geschichte gipfelte in der Aussage, die ganze Klimadebatte sei erstunken und erlogen. Alles sei erfunden, alles aus dem Hintergrund gesteuert, überall verdienten private Firmen im Eigentum des Vaters des Mädchens jetzt Unsummen Geldes. „Unbedingt lesen und weiterleiten“ hiess es noch, fett formatiert. Ein haarsträubendes Elaborat aus Kreisen der Klimaleugner.
Eine neue Kampfzone
Innerhalb von wenigen Jahren haben sich Internet und soziale Medien zu eigentlichen Kampfzonen zwischen „wahr“ und „erfunden“ entwickelt. Mit den von Selbstüberschätzung strotzenden Auftritten des US-Präsidenten ist die weltweite Verunsicherung noch gestiegen. Hat doch erst kürzlich die „Washington Post“ publik gemacht, dass dieser fleissigste „Pinocchio“ von allen, die Schallmauer von 10’000 falschen Aussagen oder Behauptungen auf Twitter seit seinem Amtsantritt durchbrochen hätte“ (UZHmagazin). (Wir erinnern uns alle an „Pinocchio“, die populäre Kinderbuchfigur. Seine Nase wuchs bei jeder Lüge in die Länge …)
Zweifellos haben Leserinnen und Leser des Journal21.ch auch schon auf Facebook, Twitter oder oder in E-Mails Beiträge entdeckt, bei denen sie sich fragten, ob dies jetzt eine seriöse oder frei erfundene Story wäre. Und wenn Letzteres, wer könnte ein Interesse daran haben, ausgerechnet mich zu desinformieren, zu manipulieren? Schon stehen wir dort, wo wir überfordert sind. Wer steckt hinter dem Absender? Zwar haben wir davon gehört, dass das WWW längst zu einem Tummelplatz für Desinformationen und Weltverschwörungstheorien „avanciert“ ist. Doch – Hand aufs Herz – anders als beim eingangs erwähnten Fake – oft ist es gar nicht einfach, zwischen wahr/seriös und frei erfunden/manipuliert zu unterscheiden.
Achtung: Falschnachrichten aus prominenter Quelle
Die Wissenschaftszeitschrift der Universität Zürich hat in Ihrem „UZHmagazin“ Nr. 2/2019 in verdienstvoller Weise für Klarheit gesorgt. Am Institut für Kommunikationswissenschaften und Medienforschung (IKMZ) der Uni gehen die Wissenschaftler diesen Fragen nach und warnen: „Mythen und Falschnachrichten verbreiten sich mitunter schneller als Fakten; sie werden angeklickt, weil sie oft simpel und reisserisch sind und die Neugierde wecken.“
Bezogen auf die Schweiz weisen Mitarbeitende des IKMZ darauf hin, dass vor allem rechte Parteien bemängelten, die Medien würden einseitig berichten. „Hierzulande beklagt sich die SVP regelmässig über die SRG. Jüngstes Beispiel ist der Vorwurf von SVP-Parteipräsiden Alber Rösti, die SRG betreibe ’Klima-Propaganda‘.“
„Bots“ als Absender
„10 bis 15 Prozent der Twitter-Accounts sind Bots“, erklärt ein Assistent am IKMZ. „Bots sind Computerprogramme, die im Internet eingesetzt werden und bestimmte Aufgaben übernehmen. Sie wirken dabei wie Lautsprecher, die diese Botschaften verstärken, oft auch verzerren.“
Prominentes Beispiel für den Einsatz von Bots ist bekanntlich jenes der Russen anlässlich der letzten Präsidentschaftswahlen in den USA. Die Wirkung jener Bots: die Meinungsverschiedenheiten zwischen politischen Lagern anzuheizen. Hinter jedem Bot steht natürlich ein Mensch, dieser kann Hunderte von Bots steuern.
Lügen am Laufmeter
Ist es für uns schon einigermassen bizarr, wenn ein Präsident der USA Weltpolitik via Twitter betreibt, gilt es zur Kenntnis zu nehmen, dass er auf diese Weise eben direkt zu den Leuten, seinen Wählern, sprechen und dabei authentisch wirken kann. Trumps System: den Medien (seinen Gegnern) zu unterstellen, Fake News zu verbreiten. Doch das ist natürlich genau, was er selbst macht. Prominentes Beispiel: „Trump war auch Promotor einer der perfidesten politischen Verschwörungstheorien, der so genannten ’birther conspiracy‘, die behauptet, Barack Obama sei ausserhalb der USA geboren und könne deshalb nicht Präsident des Landes sein.“
Die Macht der Suchmaschinen
Die Macht von Google oder Facebook ist bekanntlich immens. Zwar argumentieren diese immer noch, sie seien nicht verantwortlich für die Inhalte, da sie sie nicht selber herstellten. Wissenschaftler kritisieren diese Haltung. Tatsächlich geht – zumindest in Europa – die Entwicklung in Richtung mehr Verantwortung; bekanntlich steht Facebook unter Druck, falsche oder verletzende Informationen zu löschen. Bereits gibt es in Frankreich ein „Anti-Fake-News-Gesetz“.
Einige wertvolle Tipps
Das IKMZ fordert Leserinnen und Leser auf, besonders kritisch zu sein. Auch wenn Informationen auf den ersten Blick professionell und glaubwürdig wirken – nicht alles ist wahr! Fragen sollten wir uns also zum Beispiel.:
Vertrauenswürdig?
Von wem stammen die Informationen – ist die Quelle transparent?
Wer ist der Absender?
Wofür steht der Absender, welche Interessen verfolgt er?
Real?
Bei Facebook und Twitter: Ist der Account zertifiziert?
Vergleichen!
Berichten auch andere bekannte, glaubwürdige Medien Ähnliches?
Zweifel?
Zweifeln andere, seriöse Quellen am Inhalt der Nachricht?
Manipulation?
Wurden Bilder oder Videos offensichtlich manipuliert?
Details?
Lassen sich Details der Nachricht überprüfen?
Fakten checken!
Fact-Checking-Websites nutzen – wie snopers.com oder correctiv.org.
„Radikale Authentizität“
Hoffnung auf bessere Zeiten gibt der Trend, wonach sich Millennials und Menschen der Generation Z (geboren 1980–2010) vermehrt am neuen Wertesystem „radikale Authentizität“ orientieren, ihr Rollenverständnis für „dieses soziale Korrektiv dürfte Fake-News über kurz oder lang obsolet machen“ (NZZ). Nach dieser Argumentation sind Verschleierungstaktik und Propaganda historische Altlasten, zugeschnitten auf die abtretende Generation. „Studien belegen, dass Personen über 65 Jahre für Verschwörungstheorien am empfänglichsten sind und mit Abstand am meisten Fake-News auf Social Media verbreiten.“ (NZZ) Dies dürfte den internationalen Trend in westlichen Nationen nach mehr Transparenz und ungefilterter Realität Auftrieb geben.
Zugegeben: das alles ist nicht immer einfach. Wird die Botschaft jedoch reisserisch aufgemacht und werden Leserinnen und Leser – schon bevor sie alles gelesen haben – gedrängt, die Botschaft sofort weiterzuleiten, sollten die Warnlampen aufleuchten.