Die Auseinandersetzung ist grundsätzlich dieselbe, ob global, europaweit oder in der Schweiz: Populisten predigen nationale Allmacht, obschon diese angesichts weltweiter Herausforderungen wie Klimawandel, Ungleichheiten und Migrationsströme illusorisch ist. Einmal am Ruder, regieren sie autoritär, oft diktatorisch, bereichern sich und ihren Klan, bevormunden die eigene Bevölkerung und versuchen sich bei demokratisch regierten Staaten einzumischen. Demgegenüber setzen die traditionellen Volksparteien Westeuropas angesichts eines instabilen globalen Umfelds auf Europa als einigende, regelnde und beschützende Macht.
National-Populisten in Russland, China und Europa
Putin hat für sich und seine Freunde gigantische Summen von Ölgeldern via die estnische Filiale der Danske Bank und deren Korrespondenzinstitut Deutsche Bank gewaschen. Er macht in Russland die interne Opposition mundtot und hat via Internet zum Sieg national-populistischer Gesinnungsgenossen in Grossbritannien (Brexit) und in den USA (Trump) beigetragen. In Europa unterstützt Putin die National-Populisten direkt, wie etwa ein nun von den französischen Behörden untersuchter russischer Bankkredit an die Le Pen-Partei zeigt.
Xi Jinping hat sich von der kollektiven und abwägenden Politik Chinas nach Mao abgewandt und versucht, als Alleinherrscher sein Land mit flächendeckender Überwachung („social credit“ jedes Einzelnen) sowie brutaler Macht (Konzentrationslager für Minderheiten im Westen des Landes) völlig zu beherrschen. Und gleichzeitig will er mit Geld (neue Seidenstrassen, Firmenübernahmen im Westen), Aneignung westlicher Technologie und importierter Innovation China als globales „Imperium der Mitte“ wieder auferstehen lassen. Die Führer dieser beiden Grossmächte finden Gleichgesinnte in allen Weltgegenden (USA, Brasilien, Philippinen, Venezuela, Nordkorea) und bei Autokraten (arabische Welt, weite Teile Afrikas).
In Europa sind der Osten (Ungarn, Polen, Slowakische Republik) und teilweise der Südosten (Balkan, das Italien der Koalition Cinque Stelle/Lega) in der Hand autoritärer National-Populisten. In weiteren EU-Mitgliedsländern verschärft sich der Gegensatz zwischen europafeindlichen National-Populisten – ob in der Opposition (AfD in Deutschland, Le Pen und Mélenchon in Frankreich, in den skandinavischen Ländern) oder mitregierend wie die FPÖ in Österreich – und den traditionellen, ausgleichender Demokratie verpflichteten Parteien.
Antieuropäische Stimmungsmache
Die Wahlen zum europäischen Parlament sind das wichtigste Mittel, die EU zu demokratisieren. Idealerweise würden hier die in allen Mitgliedsländern nach Proporzsystem gewählten Vertreter legiferieren. Im positiven Ausgleich mit den von den einzelnen Regierungen entsandten Vertretern in der EU-Kommission würden sie dazu beitragen, Europa weiterzubringen auf seinem Weg zu mehr Wohlstand und Einigkeit und damit auch zu Einfluss auf der Weltbühne.
Dies ist aber nur teilweise der Fall. Seit sie bestehen, sind die Europawahlen von europafeindlichen National-Populisten zur Fundamentalopposition missbraucht worden. Allerdings haben sich diese meist gehütet, in letzter Konsequenz den Austritt ihres Landes zu fordern. Denn sie wissen, dass gerade ihre Länder und ihre Wähler vom europäischen Ausgleich in Form von Kohäsionszahlungen, von Einheitsmarkt und Euro profitiert haben.
Das hindert die Populisten nicht, gesamteuropäische Institutionen mit aller Macht zu bekämpfen. Als Koordinations- und Überwachungsorgane machen ihnen diese Einrichtungen das Leben schwer bei ihrer auf persönliche Bereicherung, willfährige Staats- und Rechtsinstitutionen und gegängelte Medien ausgerichteten Regierungsführung. Daher die Versuche, mit einer multilateralen, national-populistischen Achse in Brüssel mehr Macht zu erlangen. So wie Cinque-Stelle-Chef Di Maio, welcher an einem Treffen in Südfrankreich eine Gruppe von Gilets jaunes zum Widerstand gegen Präsident Macron aufforderte. Gelbwesten, wohl aus dem Le Pen-Lager, welche im Tandem mit linksextremistischen Gruppen, Antisemiten und anarchistischen Casseurs diese im Ursprung durchaus soziale Bewegung infiltriert und korrumpiert haben.
Öffnung der Reichtumsschere stoppen
Umso wichtiger wird es sein, dass die demokratischen Kräfte in Europa mit den richtigen Gegenargumenten aufwarten. Es braucht, auf nationaler und internationaler Ebene, überzeugende Antworten auf die erwähnten globalen Herausforderungen. Ausserdem ist ein neuer Contrat social nötig, welcher die von Globalisierung und Digitalisierung überrollten und zurückgelassenen Bürger einschliesst. Insbesondere wichtig sind neue Besteuerungsformen und -sätze von Einzelpersonen und Unternehmen, um die schnelle Spreizung der Reichtumsschere zwischen den berühmten „ein Prozent“ und dem Rest zu stoppen.
Radikal und revolutionär ist das nicht, jedenfalls nicht mehr. Seit Panama-Papers und Bermuda-Papers versuchen Regierungen und internationale Organisationen, insbesondere die OECD und die EU, Unternehmen dort zu besteuern, wo sie Gewinne erzielen und superreiche Einzelpersonen nicht offshore steuerfrei wegkommen zu lassen. Noch fehlt der grosse Erfolg, aber der dürfte angesichts leerer Staatskassen und zunehmender Aufgabenlast im öffentlichen Sektor unausweichlich sein.
Die Besteuerung im Aufenthaltsland muss durchgesetzt und die Progression von Steuersätzen beibehalten werden. Entsprechende Forderungen hat kürzlich ein Harvardprofessor in Davos mit dem historischen Beispiel der USA der Nachkriegszeit unterstützt. Ernsthafte amerikanische Präsidentschaftskandidaten stellen die gleichen Postulate für die unmittelbare Zukunft auf. Sie sind auch bereits in nationalen Wahlen in Europa (BRD) thematisiert worden.
Progressive Besteuerung ist ein absolut zentraler Bestandteil einer von allen als gerecht empfundenen Gesellschaftsordnung. Emmanuel Macron hat das bei seinem einzigen, aber massiven Fehltritt in der Innenpolitik schmerzlich erfahren, als er die bestehende Reichtumssteuer auf eine Flat tax (ausser Grundbesitz) reduzierte und damit den Gelbwesten einen Steilpass servierte.
Schweiz in der Aussenseiterrolle
Die Schweiz allerdings senkt im Moment die Unternehmenssteuern und behandelt den Rahmenvertrag mit der EU, als wäre das ein internationales Abkommen wie irgendein anderes zwischen zwei gleichen Parteien. Ist es aber nicht. Sondern eine vorläufige gesetzliche Regelung des weitaus wichtigsten Aussenverhältnisses der Schweiz.
Längerfristig, im 21. und asiatischen Jahrhundert, ist die Schweiz als Kleinstaat auf globaler Ebene chancenlos ohne gemeinsames Podium mit einer wehrhaften, wirtschaftlich prosperierenden EU. Ohne Teil zu sein eines demokratischen Europas mit seiner gemeinsamen Geschichte und Kultur, das Autokraten in anderen Weltgegenden die Stirne bieten kann, steht das Land auf verlorenem Posten.
Wenn sie nun Einzelheiten des vorliegenden Rahmenvertrages bekritteln, sollten sich beide Seiten des politischen Spektrums in der Schweiz der Tragweite ihres Verhaltens bewusst sein. Es geht um viel mehr als die Weiterführung des mühsamen, im Moment anscheinend einzig gangbaren bilateralen Weges. Nicht weniger als das aussen- und innenpolitische Selbstverständnis der Schweiz steht auf dem Spiel.
Entweder sind wir Teil jenes Europas, in welchem wir traditionell unseren wichtigsten Partner sehen – politisch, wirtschaftlich und kulturell. Oder wir werden zum Aussenseiter, politisch isoliert und wirtschaftlich immer härter diszipliniert. Ohne das Erasmus-Programm, ohne EU-Beiträge an schweizerische NGOs, ohne Beteiligung an europäischer Kulturförderung und ohne selbstverständliches Zusammenwachsen historischer Regionen entlang der vier am Gotthardmassiv entspringenden grossen Flüsse Europas droht die Schweiz kulturell zu veröden.
In Anlehnung an ein geflügeltes Wort des EU-Ratspräsidenten Donald Tusk fragt man sich insbesondere nach dem speziellen Ort in der Hölle für schweizerische Experten, welche gegen besseres Fachwissen und europäische Erfahrung den Rahmenvertrag in Bausch und Bogen verdammen.