«Er war ein Weltenbürger, ein zugewandter und manchmal schwieriger Freund, als Journalist mit reichem Erfahrungsschatz immer unterwegs von Hamburg nach Lateinamerika, nach Afrika, nach Israel und Palästina, nach Indonesien, in den Wirren des Syrien-Krieges ins Gefängnis geworfen und noch einmal mit dem Leben davongekommen und jetzt plötzlich in Frankreich gestorben.»
So lautet ein Satz in der Todesanzeige im Berliner «Tagesspiegel» vom 3. März 2020. Darunter steht ein Beileids-Kommentar von Gert Kuiper, Niederlande: «Seit dem Mord an meinem Bruder Jan in El Salvador (17. März 1982) hatten wir regelmässig Kontakt. Ich hatte sein Engagement immer sehr geschätzt. Vaya con Diós, Armin!»
An jenem Tag, dem 17. März 1982, gerieten vier niederländische Journalisten, die mit einer salvadorianischen Guerrillagruppe unterwegs waren, in einen Hinterhalt der Armee und wurden erschossen. Koos Koster, Jan Kuiper, Hans ter Laag und Joop Willemsen. Sie waren dabei, einen Dokumentarfilm über den Aufstand in El Salvador zu drehen. Zuvor hatten sie im Hotel in San Salvador einen deutschen Journalisten ins Vertrauen gezogen. Sie suchten jemanden, der sie an einen Ort namens Santa Rita im Departement Chalatenango fahren könnte. Dort hatten sie einen Kontakt mit der Guerrilla vereinbart. Der Deutsche war einverstanden. Sein Name war Armin Wertz.
Armin sagte mir später, schon auf der Fahrt nach Santa Rita habe er Koos Koster darauf aufmerksam gemacht, dass sie von einem Geländewagen mit verdunkelten Scheiben verfolgt würden, wie sie im salvadorianischen Sicherheitsapparat benutzt wurden. Koos habe sich aber dadurch nicht von seinem Plan abbringen lassen. Armin setzte die vier an der vereinbarten Stelle ab und machte kehrt. Als er ins Hotel zurückkam, erfuhr er, dass vier Ausländer in einem Gefecht mit der Guerrilla erschossen worden seien.
Koos war ein hervorragender Journalist und ein Draufgänger. Ich arbeitete damals im Pressebüro der FMLN-Guerrilla in der Avenida Insurgentes in Mexico D. F. Eines Tages stand ein hochgewachsener Mann mit einer langen grauen Mähne an der Tür und sagte: «Buenas, cómo está? Soy Koos Koster.» Er wurde einer meiner besten Freunde in Mexico. Ich besuchte ihn und seine Frau ein paar Mal in Cuernavaca. Wir machten lange Fussmärsche, weil er sich konditionell auf die Dreharbeiten in El Salvador vorbereiteten wollte.
Ich weiss nicht genau, wann ich Armin Wertz zum ersten Mal traf. Es muss wohl in Mexiko einige Monaten nach dem Tod von Koos Koster gewesen sein. Erst dann erfuhr ich, dass Armin der Fahrer war, der das holländische Kamerateam nach Santa Rita gebracht hatte. Er berichtete unter anderem für das deutsche Magazin «Der Spiegel» aus Mexico. Wir haben in den folgenden Jahren oft über den Aufstand in El Salvador gesprochen. Über unser Engagement für die linke Guerrilla, aber auch über unsere Desillusionen, die politischen Enttäuschungen, als wir die stalinistischen Tendenzen innerhalb der bewaffneten Organisationen wahrnahmen. Diese Jahre waren wohl unausweichlich prägend fürs ganze Leben: Die Erkenntnis der Naivität, mit der wir am Anfang den bewaffneten Kampf romantisierten, und wie wir dann hart auf die Welt kamen, als wir merkten, dass die meisten Menschen für den Krieg nicht gemacht sind. Sie gehen zu schnell kaputt.
Armin arbeitete später in Israel, wo ich ihn einmal besuchte. Danach lebte er längere Zeit in Indonesien, aber wir hielten Kontakt per Mail. Er schickte mir seine Artikel, die immer spannend waren und Aspekte beleuchteten, die in den grossen Medien kaum beachtet wurden. In den letzten Jahren hat er mich ein paar Mal in der Schweiz besucht. Noch im letzten Jahr schickte er mir ein Foto, das er 1982 in der salavadorianischen Guerrillazone in Usulután gemacht hatte. Man lese seinen Artikel «Dann hat er ein Foto gemacht» in Journal21 vom 22. Juni 2019, wo er gnadenlos abrechnet mit dem Business der Kriegsfotografie.
Armin Wertz war ein ausserordentlich belesener Mann. Das etwas akademisch hochtrabende Wort Kosmopolit trifft auf ihn als Wortspiel zu: Er kannte den ganzen politischen Kosmos. Er hatte von Mexiko über Tel Aviv bis Jakarta in verschiedenen Weltregionen gelebt und gearbeitet. Das Ergebnis dieses intellektuellen Nomadenlebens waren umfassende Geschichtskenntnisse, wie ich sie bei wenigen der mir bekannten Journalisten gefunden habe. 2016 schrieb er im Journal21 einen Artikel über die Verträge für Dreharbeiten zwischen Hollywood und dem mexikanischen Revolutionär Pancho Villa. Der Artikel ist eine Geschichtsstunde über die pathologischen Beziehungen zwischen den USA und Mexiko, so ziemlich das Lustigste, was ich zu dem Thema gelesen habe. Armin lachte gern. Er wusste, dass die Arroganz der Macht oft skurrile Züge annehmen konnte, folglich schaute bei ihm nicht selten Ironie zwischen den Zeilen hervor.
Sein grosses Thema waren die Folgen des europäischen Kolonialismus des 19. Jahrhunderts: die nationalen Unabhängigkeitsbewegungen, die nach dem Zweiten Weltkrieg von China bis Indien und Afrika das Joch der Kolonialherrschaft abwarfen, aber erleben mussten, dass ihre neue Unabhängigkeit eine Illusion war. Sie gerieten übergangslos in den Sog des Kalten Krieges. Die Imperialmächte kämpften weltweit um geostrategische Brückenköpfe und Zugriff auf Erdöl und andere Ressourcen in den «Entwicklungsländern». Man lese Armins Artikel zum 50. Todestag von Ho Chi Minh vom August 2019 im Journal21. Ein typischer Armin-Wertz-Text. Eine Geschichtslektion über Vietnam.
Armin Wertz hatte in den siebziger Jahren Ökonomie an der Freien Universität Berlin studiert. Er kam also politisch aus einem Umfeld der linken Studentenbewegung, war zeitlebens ein scharfer Kritiker der Rüstungsindustrie und der Politik der militärischen Intervention des Westens. Sein 2015 erschienenes Buch «Die Weltbeherrscher. Militärische und geheimdienstliche Operationen der USA» ist eine wahre Enzyklopädie der US-Aussenpolitik von 1794 bis 2011.
Aber Armin Wertz war nie dogmatisch. Alles Doktrinäre, jede anti-imperialistische Scholastik lag ihm fern. Wir haben uns oft über das Problem unterhalten, dass die fossilen Sprachregelungen und revolutionären Parolen der lateinamerikanischen Linken in den achtziger Jahren den Bezug zur Wirklichkeit verloren hatten. Die Arteriosklerose der Sprache behinderte das Verstehen und Analysieren politischer Entwicklungen.
Armin war in seinem Lebensstil für mich ein einziges Erstaunen. Mir schien es, als ginge er völlig auf im Intellektuellen. Lesen und Schreiben, das war offenbar der Sauerstoff für sein Leben. Man konnte stundenlang mit ihm über Politik diskutieren. Er ging wohl gern zu Fuss, aber Sport mochte er nicht besonders, ausser Fussball im Fernsehen. Als er das letzte Mal bei mir in Zürich war, im Sommer 2019 war es wohl, wollte ich ihn zu einer kleinen Velotour mitnehmen, aber wir mussten abbrechen. Er beklagte sich über die Anstrengung. Sein Kreislauf machte nicht mit. Er lebte spartanisch. Gegen ein bescheidenes, hausgemachtes Nachtessen und ein Glas Rotwein hatte er nie etwas einzuwenden, aber ich hatte den Eindruck, oft tat es für ihn auch ein Stück Brot mit Cervelat. Er liebte den geselligen Schwatz, aber dann wandte er sich auch bald wieder seiner Lektüre zu.
Anfangs Januar 2019 schrieb er mir aus Frankreich: «In meinem kleinen gallischen Dorf liegt derzeit auch der Schnee, er taut aber schon wieder und wird zu Matsch. Immerhin konnte ich auch ein paarmal durch Schnee stapfen. Zudem ist’s trübe und neblig. Da bleibt wenig zu tun als zu lesen, besonders die Artikel in der NY Review of Books, von denen ich dir im Anhang ein paar schicke. Ich schreibe immer weniger. Irgendwie habe ich den Eindruck, dass ich langsamer schreibe als früher. Das ist wohl dem Alter zuschulden – oder bilde ich mir das nur ein?»
Wenn man mich fragen würde, was mir als erstes einfällt beim Namen Armin Wertz, ist es wohl das: Er war einer der Journalisten der alten Schule. Einer mit einem grossen Wissen, der mit Sorgfalt und Genauigkeit arbeitete. Er war ein feiner Kerl.