Was geschieht im Moment des Blicks? Ausser im Medium der Liebe oder wenn es um die Ausübung mehr oder weniger subtiler Macht geht, schaut man Menschen nicht allzu lange direkt an. Irgendetwas, man weiss nicht genau was, lässt nach kurzer Zeit eine Peinlichkeit aufkommen. Denn im Blick zwischen Menschen entsteht ein Beziehungsraum. Es offenbart sich etwas, das unkalkulierbar ist. Schnell geht man auf sichere Distanz, indem man eine andere Blickrichtung wählt.
Es sind diese Gedanken, die sich beim Betrachten der Porträts von Robert Lebeck aufdrängen. Denn in den Bildern, die Cordula Lebeck, die Ehefrau des 2014 verstorbenen Fotografen, ausgewählt hat, entsteht eine ganz eigene Dichte der Beziehung. Irgendwie ist es Robert Lebeck gelungen, mit seinem Blick in den Menschen etwas aufzuschliessen, das diese dann auf ihre Weise zur Geltung bringen. Für einen Moment, für dieses Foto, schauen sie den Fotografen direkt an und manche von ihnen machen etwas, was sie sonst kaum machen würdern: eine verquere Geste, einen Ulk, ein Lachen aus unergründlicher Tiefe heraus. Oder es kommt unheilbare Traurigkeit zum Ausdruck. Oder unmittelbare Erotik.
Rätselhafter Mensch
Je länger man diese Porträts betrachtet, desto rätselhafter erscheinen alle diese Menschen. Die Formulierung, dass diese Porträts etwas Anrührendes haben, wäre zu schwach. Vielmehr ergreifen sie den Betrachter, und nach und nach spürt er, wie stark sein Inneres bewegt wird. Selbst Menschen aus fernen Kulturen, arm, zum Teil verlumpt, fast ohne Zähne, gehen ihn nach und nach ganz direkt etwas an. Das ist auch beunruhigend.
Vielleicht ist es so, dass uns die Porträts von Robert Lebeck Demut lehren. Da treten uns ständig Menschen entgegen, die fremder nicht sein könnten, oder die bekannt und berühmt sind, aber Seiten zeigen, die absolut bizarr, fremd, befremdlich und zugleich auf verstörende Weise nah sind. Wer sind wir, die wir in diese fremden Leben über die Porträts von Lebeck eintauchen? Die Stolpersteine des Lebens sind auch unsere. Und der Fotograf Robert Lebeck hat die grosse Gabe, in Sekundenbruchteilen Lebensgeschichten zu erzählen und uns damit unmittelbar zu berühren.
Menschen ohne Labels
Man wird diesen Band wieder und wieder zur Hand nehmen, jedenfalls in den Momenten, in denen man stark genug, offen und aufnahmebereit ist für Bilder, die nicht erbaulich sind, sondern den Menschen in seinen vielfältigen Möglichkeiten der Entfaltung und des Scheiterns zeigen.
Cordula Lebeck hat darauf verzichtet, die Fotos mit erklärenden Legenden zu versehen. Wir finden stets nur eine Orts- und eine Zeitangabe. Übrigens stammen die bislang weitgehend unveröffentlichten Bilder aus den späten fünfziger bis frühen siebziger Jahren. In dem einleitenden Essay von Kerstin Stremmel werden einige Fotos näher bezeichnet, wobei es sich meistens um Schnappschüsse von Prominenten handelt. Aber die meisten anderen Bilder, und vielleicht die anrührendsten, müssen buchstäblich für sich „sprechen“.
Das irritiert, aber nach und nach begreift der Betrachter, dass darin ein ganz eigener Sinn liegt. Denn er muss Vermutungen anstellen, sich seinen eigenen Reim machen und gerät dadurch in eine viel grössere Nähe zu denjenigen, die sich durch die Bilder hindurch an ihn wenden, als wenn sie immer gleich mit einem Label versehen worden wären: Zigeuner, Waisenkind, Artist, Flaneur und so weiter.
Ganz anders ist ein Band konzipiert, der Robert Lebeck in erster Linie als Fotoreporter zeigt. Der Band trägt den schlichten Titel „Welt“ und ist 2014 in der Edition stern erschienen. Alle Bilder dort sind farbig, während „Face the Camera“ rein schwarzweiss gehalten ist. Der grösste Unterschied aber besteht darin, dass hier die andere Seite von Robert Lebeck zum Ausdruck kommt. Denn seine Fähigkeit, zum richtigen Zeit haargenau an der richtigen Stelle zu stehen, dabei manchmal nahezu unsichtbar zu sein und entsprechend unbemerkt Fotos zu machen, war legendär. Und immer entstanden Bilder von grösster formaler Stimmigkeit. Der STERN wusste schon, warum er den 1929 geborenen studierten Völkerkundler dreissig Jahre lang um die Welt schickte.
Der Band „Welt“ hat ausführlichere Bildlegenden. Und gegen Ende findet sich eine Äusserung Lebecks, die man nur als lakonisch-ironisch bezeichnen kann: „Ein Fotograf ist Auge plus Gedächtnis. Mehr nicht. Man überfordert ihn, will man ihn auch noch als Schiedsrichter, Katastrophenhelfer, Moralprediger oder Propagandaberichterstatter einspannen. Falls ein Foto irgendjemanden bewegt: gut. Wenn nicht: auch gut. Ich habe nie fotografiert, damit andere beim Anblick meiner Bilder das Taschentuch rausholen.“
Robert Lebeck, Face the Camera, 208 Seiten, 129 Fotos, Steidl 2016