Amerika wurde einmal ganz gross. Aber dies geschah völlig anders, als ein Donald Trump es sich je vorstellen könnte. Die Geschichte davon, wie Amerika sich aus eigener Kraft heraus gross machte, hat mit einem seiner Vorgänger zu tun: Franklin Delano Roosevelt.
New Deal
In den 1930er Jahren gab es in den USA noch nicht den „Rust Belt“, von dem heute so viel die Rede ist. Aber es gab Massenelend, speziell auf dem Lande, aber auch in zahlreichen Städten. Aus vielerlei Gründen ging es zahllosen Landarbeitern, Kleinbauern, Wanderarbeitern, Handwerkern und Gewerbetreibenden sehr schlecht. Klima, Wirtschaftskrise, nicht zuletzt der Börsencrash von 1929, und andere Umstände sorgten dafür, dass es diesen Menschen an fast allem mangelte.
In dieser Situation entschloss sich Roosevelt zu einem umfassenden Wirtschafts- und Sozialprogramm, dem „New Deal“. Auch in seiner eigenen demokratischen Partei stiessen seine weitreichenden Reformen, gerade in der Sozialpolitik, nicht auf ungeteilte Zustimmung. Seine Kritiker befürchteten, der Staat mische sich zu sehr in Belange ein, die in der Verantwortung des Einzelnen liegen.
Deswegen begann Roosevelt, über das Radio in „Kamingesprächen“ seine Absichten und Massnahmen zu erklären. Dazu kam ein Fotoprojekt, das in der Geschichte der Fotografie einzigartig ist: Die Resettlement Administration von 1935, die 1937 in die Farm Security Administration umgewandelt wurde, beauftragte die besten Fotografen Amerikas, das Leben der Hilfsbedürftigen zu dokumentieren.
Positive Kraft
Auch wenn diese Bilder damals ungeschminkt die Trostlosigkeit in einzelnen Regionen darstellten und Teile der Öffentlichkeit in der Arbeit der Fotografen lediglich eine Verschwendung von Steuergeldern sahen, ging von ihnen eine enorme positive Kraft aus. Denn sie enthielten den Appell, das Schicksal ins Positive zu wenden. Die Fotografen, die ihr Können dafür zur Verfügung stellten, waren von ihrer Aufgabe zutiefst erfüllt.
Im Laufe von neun Jahren, von 1935 bis 1943, entstanden Hunderttausende von Bildern. Einige wurden sofort zu Ikonen wie Dorothea Langes Bild von einer Wanderarbeiterin mit ihren Kindern. Zahlreiche Fotos wurden in diversen Zeitschriften veröffentlicht. Inzwischen hat auch die Library of Congress an die 200`000 Fotos öffentlich zugänglich gemacht. Aber zunächst gab es keinen Band, der einmal repräsentativ die wichtigsten Bilder der insgesamt elf Fotografen versammelt hätte.
Dokumentation und Kunst
Anfang der 1970er Jahre machte sich der amerikanische Jazzmusiker und Fotoenthusiast Hank O’Neal daran, die damaligen Bilder systematisch zu sammeln und den Kontakt zu den Fotografen zu suchen. Denn er wollte einen Band herausbringen, in dem diese Fotografen die Auswahl ihrer Bilder selbst bestimmten. Zudem wollte er jeweils kurze Biographien erarbeiten, aus denen auch die jeweilige Motivation hervorging. Der Band erschien 1976.
Die Edition, die jetzt bei Steidl erschienen ist, beruht auf diesen Arbeiten. Die Fotos sind hervorragend reproduziert und gedruckt. Der Verlag hat das technisch Mögliche realisiert und ein schönes Buch gestaltet. Die Übergänge zwischen dokumentarisch orientierter Fotografie zur Kunst sind fliessend. Das verwundert nicht, waren doch Fotografen wie Walker Evans stilbildend. Zu ihm muss man allerdings sagen, dass er der erste Fotograf war, der im Zuge von Sparmassnahmen wieder entlassen wurde. Sein Arbeitsstil war dem Projektleiter, Roy Striker, zu aufwendig.
Überhaupt dieser Projektleiter: Es hat einige Kräche zwischen ihm und den Fotografen gegeben, weil sie der Meinung waren, dass er zu wenig Sinn für ihren künstlerischen Impetus habe. Also eine Story wie aus dem richtigen Leben – und aus dem Rückblick egal. Denn diese Fotos, ihr dokumentarischer und künstlerischer Wert, sind ein Glücksfall.
Dazu kommen die vorzüglichen begleitenden Texte von Hank O’Neal und den beteiligten Fotografen. Es ist seltsam: Dieser Band hätte laut Verlagsankündigung schon vor mehr als einem Jahr erscheinen sollen. Er ist jetzt gerade herausgekommen. Das ist gut so. Denn jetzt ist er aktueller denn je.
Und er nötigt einem einen tiefen Respekt vor jenem Amerika ab, das elend und verloren ist. Das glitzernde Amerika, mit dem sich auch Trump gern zeigt, ist nur das Sahnehäubchen auf einer dunklen und gern übersehenen Realität. Die Bilder von damals sind nicht einfach nur „Vergangenheit“. Sie zeigen den Boden.
Und dieses Amerika, so dunkel, trübe und abstossend es in Teilen auch sein kann, hat immer wieder grosse Kunst hervorgebracht. Dazu gehört diese Dokumentation. Sie ist unverzichtbar.
Hank O’Neal: A Vision Shared. A Portrait of America. Steidl, Göttingen 2018. English. Book design: Duncan Whyte. 384 pages, 396 black-and-white photographs.