Eben ist ein älteres deutsches Ehepaar angekommen, er vielleicht Professor, sympathische Menschen, sie freuen sich. Sie legen einen Reiseführer auf den Tisch. Und ein Buch über die römische Architektur und ein Langenscheidt-Wörterbuch und einen Schlapphut.
Die Kellnerin ist jung, schlank, sehr attraktiv, schöne Haare, grosse Augen. Sie weiss, dass sie die Blicke der Männer auf sich zieht. Der deutsche Herr Professor bestellt „Spaghetti bolognese“. Das ist schon mal falsch.
In Italien heissen „Spaghetti bolognese“ „Spaghetti al ragù“. Selbst in Bologna spricht kein Italiener von „Spaghetti bolognese“. Die Kellnerin wirft einen verachtenden Blick auf die Nordländer und notiert die Bestellung. Anschliessend essen die beiden Deutschen Fisch, dann das Dessert.
Und jetzt beginnt die Geschichte.
Der Herr Professor will bezahlen. Normalerweise geht man in Italien an die Kasse, um die Rechnung zu begleichen. Aber da drücken die Italiener ein Auge zu. Sie wissen, dass die Nordländer die Rechnung am Tisch haben möchten.
Der Professor ruft die Kellnerin: „Signora, pagare per favore“. Die Kellnerin reagiert nicht. Zwei Minuten später ruft er erneut: „Signora, pagare per favore“. Keine Antwort, die Kellnerin beachtet ihn nicht. Nach fünf Minuten dritter Versuch: „Signora...“.
Jetzt kommt es zum Eklat. Die schöne Kellnerin dreht sich um schreit den Professor an. Im Lokal zucken alle zusammen: „Ich bin keine Signora (Frau), ich bin eine Signorina (Fräulein)“. Der Professor erschrickt. Seine Frau kriegt rote Ohren.
Langsam versuchen sich die beiden zu sammeln. Am Nebentisch sitzt ein etwa vierzigjähriger, gut gekleideter Italiener. Er amüsiert sich, legt den „Messaggero“, die Römer Zeitung, weg und richtet das Wort an die Deutschen. Mit holperigem, aber recht gutem Deutsch sagt er: „Wissen Sie, junge Frauen, vor allem wenn sie nicht verheiratet sind, lassen sich in Italien mit ‚Signorina’ ansprechen, mit Fräulein. ‚Signora’ macht sie alt und gefällt ihnen gar nicht“.
Der Deutsche schnappt nach Luft und versucht sich zu erklären: „Bei uns ist es anders. ‚Fräulein’ ist heute ein absolutes No-Go. Das ist diskriminierend. Da würden mir die Frauen auf die Kappe hauen.“
Der Vierzigjährige lächelt: „Bei Ihnen mag das so sein, bei uns ist es eben anders. Und Sie sind jetzt bei uns. Wir Italiener sind stolz auf unsere Fräuleins, auf unsere schönen Signorine“.
Die Kellnerin will nichts mehr zu tun haben mit den Deutschen. Deshalb bringt der Oberkellner die Rechnung.
Der Herr Professor, wenn er denn einer ist, blättert das Geld auf den Tisch. Fünf Euro legt er dazu – als Trinkgeld. Schüchtern sagt er: „Per la Signorina“.
Etwas verdattert verlassen die beiden das Lokal. Man lernt eben nie aus.