Die „blaue Welle“, sagte US-Vizepräsident Mike Pence voraus, würde an der „roten Wand“ zerschellen, d. h. die Demokraten würden die Zwischenwahlen vom 6. November gegen die Republikaner verlieren. In einer ersten Reaktion nach Bekanntwerden des Wahlausgangs sprach Sarah Sanders, die Pressesprecherin im Weissen Haus, dann noch von einem „Plätschern“. Wie ihr Präsident selbst, der in der Wahlnacht einen „riesigen Erfolg“ diagnostizierte, verkennen Pence und Sanders die Realität – wie so oft.
Zwar ist die „blaue Welle“ in Amerika nicht so hoch geschwappt, wie sich das viele zuvor erhofften. Sie hat aber genügt, um den Demokraten einen Sieg im Abgeordnetenhaus und mehrere Gouverneursposten zu bescheren, zum Teil in Staaten, die Donald Trump 2016 noch klar gewann. Gleichzeitig haben die Republikaner ihre Mehrheit im Senat ausbauen können – ein Vorteil zum Beispiel im Fall von Richterernennungen. So bleibt Amerika am Ende des Tages gespalten, in eine Mehrheit eher ländlicher „roter“ und eine Minderheit eher städtischer und vorstädtischer „blauer“ Staaten.
Trotzdem zeigt der Wahlausgang, dass es sich für die Demokraten gelohnt hat, auf eine positive Botschaft zu setzen: die Stärkung des von Barack Obama reformierten Gesundheitswesens. Statt wie die Republikaner Furcht vor einer „Invasion“ von Asylsuchenden aus Mittelamerika oder Hass auf den politischen Gegner zu schüren, dem unterstellt wurde, die Nation in eine zügellose sozialistische Diktatur verwandeln zu wollen. Auch so aber ist es der Grand Old Party knapp gelungen, dank Donald Trumps Taktik des Polarisierens und Spaltens in Florida, Georgia und Texas wichtige Sitze und Ämter zu behaupten: Die Wüste lebt.
Vor allem Frauen haben sich, im Gegensatz zu weissen Männern, bei den Zwischenwahlen von der Angstmache des Präsidenten nicht anstecken lassen. Donald Trump selbst ist anzukreiden, dass er es, sprunghaft wie er ist, versäumt hat, die gute Wirtschaftslage herauszustreichen, wofür es bei einer rekordtiefen Arbeitslosigkeit und der Schaffung Hunderttausender neuer Stellen genügend Grund gegeben hätte. Auch dass er in den letzten Tagen vor der Wahl wiederholt schamlos gelogen hat, dürfte die republikanische Partei, die ihm nach wie vor sklavisch ergeben ist, in den Augen bestimmter Wählersegmente nicht populärer gemacht haben. Seit Amtsantritt hat der US-Präsident den Fakt-Checkern der „Washington Post“ zufolge 6’420 Unwahrheiten geäussert.
Noch aber ist Amerikas moralisches Fundament nicht zerstört, wie Pessimisten befürchtet haben. Und auch das traditionelle politische System der Checks and Balances dürfte dank einer gestärkten Legislative in Washington D. C. künftig wieder besser funktionieren. Da kaum anzunehmen ist, dass Donald Trump oder die republikanische Parteiführung sich bis zu den Präsidentenwahlen 2020 gross ändern werden, liegt es nun an den Demokraten, die gewonnene Macht im Kongress mit Bedacht zu nutzen und das Vertrauen der Wählerschaft nicht mit riskanten Manövern wie einem aussichtslosen Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten aufs Spiel zu setzen. Donald Trump wird nun die gegnerische Partei eh für alle Misserfolge bei der Umsetzung seiner populistischen Agenda verantwortlich machen.
Mit Blick auf 2020 muss es den Demokraten auch gelingen, ihre überalterte Führung zu erneuern und sich klar zu werden, welche Richtung die Partei künftig einschlagen will: die bisherige zentristische, wie Nancy Pelosi, wohl neue Mehrheitsführerin im Repräsentantenhaus, sie verkörpert, oder eine frische progressive. Für diese stehen neu gewählte Abgeordnete wie zum Beispiel die Sozialistin Alexandria Ocasio-Cortez aus New York, die Muslimin Ilhan Omar aus Minnesota oder Amerikas erster offen homosexueller Gouverneur, Jared Polis aus Colorado.
Sie alle stehen für ein diverses, humanes und multiethnisches Amerika, in welchem der viel beschworene Traum noch wach und nicht von Gruppenegoismen, Intoleranz oder Rassismus erstickt ist. Nachwahlbefragungen haben ergeben, dass 56 Prozent der Amerikanerinnen und Amerikaner glauben, ihre Nation befinde sich „auf dem falschen Weg“. Den Demokraten bietet sich nun die einmalige Chance, mitzuhelfen, das Land auf den richtigen Kurs zurückzubringen. Die Wählerschaft würde das bei der nächsten Präsidentenwahl mit Sicherheit honorieren. Und Donald Trump, dem „magic man“, wie er sich nach den Midterms über Twitter selbst genannt hat, dürften endlich die schmutzigen Tricks ausgehen.