Der rechtsradikalen deutschen AfD ist es kurz vor Konstituierung des neuen Europaparlaments doch noch gelungen, eine Fraktion zu bilden. Sie steht am äussersten rechten Rand und besteht aus mehreren unappetitlichen, rechtsextremen Mini-Parteien. Die Zusammensetzung der neuen Fraktion macht deutlich, wie isoliert die AfD zur Zeit in Europa ist.
Die AfD hatte früher im EU-Parlament der sehr rechtsstehenden Fraktion «Identität und Demokratie» angehört, zusammen unter anderem mit Marine Le Pens «Rassemblement national» und der italienischen «Lega» von Matteo Salvini.
Doch dann, vor den Europawahlen, gingen Marine Le Pen die teils rechtsextremen, dummen Sprüche von AfD-Abgeordneten auf die Nerven. Die Fraktion «Identität und Demokratie» schmiss daraufhin die deutsche Rechtsaussen-Partei kurzerhand aus der Fraktion. Marine Le Pen desavouierte die AfD-Chefin Alice Weidel öffentlich.
Da stand sie also, die deutsche AfD, ohne Fraktion, ziemlich einsam in der europäischen Politlandschaft – trotz Gewinnen bei den Europawahlen. Während sich die anderen rechtspopulistischen und rechtsradikalen Parteien neu formierten, blieb die AfD aussen vor: niemand wollte sie. Auch in Italien hat die AfD wenig Freunde. Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni soll in einem privaten Gespräch – laut einem Römer Journalisten – Alice Weidel als «beccaccino incompetente» bezeichnet haben. Kein schöner Ausdruck.
Was für eine Familie!
Fraktionen sind wichtig im Europaparlament. Parteien, die nicht einer Fraktion angehören, haben es schwer, sich Gehör zu verschaffen. Die Redezeiten ihrer Mitglieder sind beschränkt. Und vor allem: Nur Fraktionen erhalten von der EU Subventionen. Doch: Um eine Fraktion zu bilden, braucht es mindestens 23 Abgeordnete aus sieben EU-Staaten. Und die AfD gewann bei den Europawahlen nur 15 Sitze.
Sie musste also, um Fraktionsstärke zu erreichen, mindestens acht gewählte Abgeordnete aus mindestens sechs EU-Mitgliedländern gewinnen. Das ist ihr jetzt mit Ach und Krach gelungen. Die neue Fraktion will sich ESN nennen (Europa souveräner Nationen).
Doch was für eine Politfamilie wurde da gegründet! Ihr gehören Putin-freundliche Abgeordnete an, andere sind klar rassistisch und hetzen gegen Homosexuelle, «Zigeuner» und «LGBTQ+»-Menschen. Einige bezeichnen Migranten als «Abschaum» und «Lumpenpack». Die Fraktion ist klar «islamfeindlich». Die europäischen Aussengrenzen sollen für das «Gesindel» geschlossen werden, fordern fast alle. Die europäische Klimapolitik soll bekämpft werden. Einige der Abgeordneten der neuen Fraktion wünschen sich Trump als Präsidenten – «ein Mann, der endlich aufräumt mit dieser Brut».
Peinlichkeit erster Güte
Der ENS gehören neben der AfD die polnische «Konfederacja» an – ebenso die spanische «Se Acabó La Fiesta» («Das Fest ist vorbei»), die bulgarische «Wasraschdane» («Wiedergeburt»), die tschechische «SPD», die slowakische «Republika», die ungarische «Mi Hazánk Mozgalmo» («Bewegung unsere Heimat»), die litauische «People and Justice Union» und die französische «Reconquête» von Éric Zemmour und die tschechische ANO-Bewegung von Andrej Babiš.
Fraktionschef der ESN wird René Aust, der dem Scharfmacher Björn Höcke nahesteht. Der in Ungnade gefallene Maximilian Krah soll der Fraktion (vorerst) nicht angehören.
Natürlich ist es eine Peinlichkeit erster Güte, wenn sich die AfD, die nach ihren Sitzgewinnen bei den Europawahlen mit grossen Tönen aufwartete, einige völlig irrelevante Gruppierungen ins Bett holen muss, um in Strassburg und Brüssel überhaupt wahrgenommen zu werden. Eine erbärmliche, jämmerliche Familie entstand da: eine Fraktion, die selbst von Rechtsextremen gemieden wird.
Neu formierte Rechtsradikale
Stärkste Fraktionen im EU-Parlament ist die EVP, die «Fraktion der Europäischen Volkspartei». Ihr gehören unter anderem die CDU/CSU, die ÖVP, die italienische «Forza Italia» und die französischen «Les Républicains» an. Gefolgt wird die EVP von den Sozialdemokraten.
Das rechtspopulistische, rechtsradikale, ultrarechte, teil klar rechtsextreme Lager hat sich nach den Europawahlen neu sortiert – und aufgeteilt.
Neu ist das vom ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán aus der Taufe gehobene Rechtsaussen-Bündnis «Patrioten für Europa». Nachdem Orbán vor drei Jahren aus der EVP-Fraktion gedrängt worden war, gehörte seine «Fidesz»-Partei keiner Fraktion an und war im Europaparlament ohne Einfluss.
«Patrioten für Europa»
Mit der Gründung der «Patrioten für Europa» hat er nun wieder an Einfluss gewonnen. Ihm gelang es, mehrere wichtige rechtsradikale europäische Parteien auf seine Seite zu ziehen. Mitglieder der neuen Fraktion werden Marine Le Pens «Rassemblement national», die italienische «Lega» von Matteo Salvini und die österreichische FPÖ von Herbert Kickl. Auch die niederländische «Partij voor de Vrijheid» von Geert Wilders will den «Patrioten» beitreten. Der Orbán-Fraktion werden vermutlich 84 Abgeordnete aus zwölf Ländern angehören. Damit wird sie nach der EVP und den Sozialdemokraten drittstärkste Fraktion im Europaparlament.
Die «Fratelli d’Italia» von Giorgia Meloni gehören der rechtspopulistischen EKR-Fraktion («Europäische Konservative und Reformer») an. Diese war bisher die stärkste Rechtsaussen-Fraktion im Europaparlament. Jetzt wird sie von der Orbán-Fraktion überholt. Mitglieder der EKR sind unter anderem die polnische PiS, die spanische «Vox» und die Schwedendemokraten. Geführt wird die Fraktion von den Fratelli.
Giorgia Meloni ist eine enge Freundin von Orbán. Doch es ist nicht zu erwarten, dass die «Fratelli» der neuen Orbán-Fraktion beitreten. Denn: Meloni gibt sich betont pro-europäisch und Putin-feindlich. Das wäre unvereinbar mit der Orbán-Fraktion, in der Abgeordnete sitzen, die explizit EU-kritisch und teils Putin-freundlich sind. Doch das schliesst nicht aus, dass Meloni nach wie vor viel Sympathien für Orbán und seine illiberale Demokratie hat.
Melonis Doppelspiel
Punktuell ist deshalb eine Zusammenarbeit der Orbán-Fraktion und der Meloni-Fraktion zu erwarten. Meloni tut wieder einmal, was sie am besten kann: auf zwei Hochzeiten tanzen: auf der pro-europäischen, die ihr viel Geld und Achtung aus Brüssel bringt, und der rechtspopulistischen, zu der sie sich hingezogen fühlt.
Doch auch wenn die rechtsradikalen und rechtspopulistischen «Familien» neu geordnet werden: Insgesamt verfügen die rechten Parteien im Europaparlament nur über rund 180 Sitze. 180 von 720. Geschwächt werden die Rechtsradikalen dadurch, dass innerhalb ihrer Fraktionen teils diametral verschiedene Vorstellungen und Forderungen bestehen. Streitereien im rechtspopulistischen Haifischbecken zwischen profilsüchtigen Alphatieren sind programmiert.