Nach der Nervengift-Attacke auf den russischen Ex-Agenten Sergej Skripal und seine Tochter Julija im britischen Salisbury hat das wechselseitige Spiel des Diplomatenausweisens zwischen dem Westen und Russland eingesetzt. Die Briten haben die meisten ihrer Noch-EU-Partner sowie die USA und weitere Staaten mit ins Boot geholt. Sie argumentieren mit einer Indizienkette zum eingesetzten Kampfstoff Nowitschok sowie mit nicht veröffentlichten Geheimdienst-Erkenntnissen. Das hoch wirksame Nervengift soll in den siebziger Jahren in der Sowjetunion produziert worden sein. Dies und die Schwierigkeit, einen anderen Urheber als den russischen Staat plausibel zu machen, hat offenbar gereicht, um 25 weitere Staaten für eine breite diplomatische Koalition gegen die Russen zu gewinnen.
Erleben wir gerade einen Schritt zur Neuauflage des Kalten Kriegs? Politiker und Kommentatoren reden schon eine Weile davon. In der Tat sind die Parallelen seit der russischen Krim-Annexion kaum zu übersehen: ausgreifende Macht- und Gebietsansprüche, zunehmend aggressive Rhetorik, militärische Aufrüstung, Blockdenken.
Es gilt aber auch die Unterschiede zu den sechziger bis achtziger Jahren festzuhalten: kein Eiserner Vorhang, keine Systemkonkurrenz zwischen Kommunismus und Kapitalismus, keine ideologischen Weltherrschaftsansprüche und keine permanente Kriegsbereitschaft zweier waffenstarrender Blöcke.
Das Reden vom wiedererwachten Kalten Krieg ist in der heutigen Lage unangemessen – und darüber hinaus auch gefährlich. Es kann leicht zur self-fulfilling prophecy werden. Gerade in einer Phase der sich verschlechternden Ost-West-Beziehungen und des fast völlig zerschlissenen Vertrauens zwischen ihren Exponenten verträgt es Vorfälle wie das (sehr wahrscheinliche) Nervengift-Attentat nicht.
Genauso wenig aber geht es an, Russland ohne schlüssige und öffentlich überprüfbare Beweise in grossem Stil an den Pranger zu stellen. Warum eigentlich die Eile? In zwei bis drei Wochen sollen die Ergebnisse einer unabhängigen Untersuchung durch Experten der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) vorliegen. Es wäre klug gewesen, diese Expertise abzuwarten. Sollte sie eine russische Verwicklung bestätigen, so bräuchte es allerdings eine westliche Reaktion, die dem Ex-Geheimdienstler Putin klar macht, wo die Grenzen ziviler Politik liegen. Aber eben nur dann.