64 Prozent Ja für «Ehe für alle». Das erwartete Ergebnis des Referendums gegen «die Änderung vom 18. Dezember 2020 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches», so das amtliche Abstimmungsthema, ist eingetroffen. Was man nicht unbedingt erwartet hatte: Alle Kantone haben zugestimmt.
EDU, SVP sowie Vereinzelte aus EVP und Mitte waren die treibenden Kräfte des Referendums, das mit 61’000 Unterschriften eher glanzlos zustande kam. Die Nein-Parole zur Abstimmung fassten EDU, SVP und EVP sowie die Katholische Kirche (Schweizer Bischofskonferenz). Für ein Ja votierten FDP, GLP, SP und Grüne sowie die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz, die Christkatholische Kirche – und interessanterweise der Katholische Frauenbund.
Der Grundsatz, das Rechtsinstitut der Ehe sei für alle Partnerschaften zu öffnen, hat heute ausser in gesellschaftlich oder religiös konservativen Milieus breite Zustimmung gefunden. Von einem vehementen Abstimmungskampf konnte denn auch kaum die Rede sein. Die vorherrschende Wahrnehmung bei dem Thema war ein entspanntes «Es ist an der Zeit». In der Tat ist die Schweiz eines der letzten Länder in Westeuropa, das nun allen die Ehe ermöglicht.
Das Resultat der Referendumsabstimmung ist erfreulich, vor allem, da es ohne Rösti- oder Stadt-Land-Gräben vom ganzen Land gemeinsam erzielt wurde. Doch mit den glücklicherweise überwiegenden Jas auf den Stimmzetteln ist es nicht getan. Der politische Entscheid muss nun im Alltag ankommen als entschiedene Zurückweisung jeglicher Diskriminierung und Aggression gegen Homosexuelle. Noch kommen Übergriffe gegen Schwule und Lesben allzu oft vor. Erst wenn deren rechtliche Anerkennung als Gleichwertige auch in den letzten Wirrköpfen angekommen ist und für Respekt gesorgt hat, ist das gesellschaftliche Problem der Homophobie bewältigt.
Einen nicht unwesentlichen Beitrag dazu können auch die Kirchen leisten, indem sie nun rasch die kirchliche Trauung für alle einführen. Zumindest in der reformierten und christkatholischen Konfession ergibt sich das aus dem grundsätzlichen Einverständnis mit der Ehe für alle. Die vollständige Öffnung der kirchlichen Trauung für homosexuelle Paare wird – unabhängig von der Zahl entsprechender Feiern – ein Schritt von grosser Symbolkraft sein. Er wird gesellschaftlich viel nachhaltiger wirken als das allmählich in Vergessenheit geratende Abstimmungsresultat vom 26. September 2021.