Noch bevor die Wahlbüros in den USA öffnen, kennt Indien bereits das Resultat. Astrologen haben aufgrund der Konstellation der Planeten festgestellt, dass Donald Trump als Sieger hervorgehen wird, und zwar mit einem Vorsprung von mindestens 400’000 Stimmen.
In einer WhatsApp-Mitteilung hat ein Planetengucker namens S. C. Tripathi errechnet, dass Trumps Horoskop, „mit dem Löwen im Aszendenten und der Sonne im Zehnten Haus“ die Oberhand behalten wird über „Joseph Robinette Biden“. Dessen „angeschlagener Mars“ gebe ihm „zwar Siege in acht Staaten, aber zu wenig Stimmen“ – ein Urteil, das nicht allzu tiefe Kenntnisse des amerikanischen Wahlsystems vermuten lässt.
Indiens Astrologen haben den Ruf, mehr vielleicht als in anderen Ländern, nicht nur die Planetenbahnen zu verfolgen, sondern auch auf die Präferenzen ihrer Klienten zu schielen, wenn sie ihr Verdikt abliefern. Gut möglich also, dass auch Tripathis Vorhersage nicht mehr ist als Indiens Vox Populi.
Und diese zieht laut Meinungsumfragen den gegenwärtigen Bewohner des Weissen Hauses seinem demokratischen Rivalen vor. Kürzlich erhielt ein in der Pandemie verstorbener Inder als einer der wenigen unter den 200’000 namenlosen Covid-Toten die Ehre eines nationalen medialen Nachrufs. Der Grund für die Aufmerksamkeit: Er hatte einen Tempel errichtet, in dem Donald Trump die residierende Gottheit war. Selbst Bidens Entscheid für Kamala Harris als Kandidatin für das Amt der Vizepräsidentin hat diese Präferenz für den Polterer nicht ins Wanken gebracht (Harris’ Mutter stammt aus Tamil Nadu).
Demonstrative Umarmungen
Das ist nicht weiter erstaunlich in einem Land, das letztes Jahr zum zweiten Mal einen Mann zum Regierungschef erkor, der bereits fünf Jahre lang ebenso dröhnend wie Trump auf die nationalistische Pauke gehauen hat. Und wie Trump hat auch Narendra Modi Minderheiten verhöhnt und Menschenrechte zur Disposition gestellt. Dass Trumps Haltung diesbezüglich nicht ganz so verheerend ist wie jene Modis, haben die Amerikaner lediglich ihren demokratischen Institutionen zu verdanken, die sich als resistenter erwiesen haben als jene Indiens.
Kein Wunder also, dass die beiden Männer aneinander Gefallen fanden und sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit umarmten. Bei einem Grossanlass in einem Baseball-Stadion in Houston liefen sie Hand in Hand eine Ehrenrunde, unter tosendem Beifall. Im Jahr darauf bedankte sich Modi mit einem Parallel-Auftritt im Cricket-Oval von Ahmedabad. Trump habe ihn in Houston seiner Familie vorgestellt, rief er in die Menge. Nun führe er Trump in seine indische Familie ein – als wären die beiden ein frischvermähltes Paar beim ersten Familienbesuch.
Auch im letzten Februar war Trump wieder in Delhi. Er weigerte sich, ein Wort über die Krawalle zu verlieren, die gleichzeitig in mehreren muslimischen Quartieren der Stadt von Hindutva-Banden losgetreten wurden. Auch zu einer Stellungnahme über den politischen Lockdown von Kaschmir liess er sich nicht bewegen.
Trotz Abneigung der Autokraten enge Beziehungen
Es ist allerdings eine alte Erkenntnis, dass sich Diktatoren mit ihrem angeborenen Narzissmus oft gegenseitig nicht ausstehen können. Die Busenfreundschaft mit Modi hielt Trump nicht davon ab, vor Mitarbeitern dessen Hinglish zu veralbern, Indien als Dreckloch zu bezeichnen und die Schraube von Handels- und Personenrestriktionen anzuziehen.
Trotz des bitteren Handelsdisputs, der im Schatten des US-chinesischen Konflikts kaum mediale Aufmerksamkeit erhielt, hat sich die strategische Beziehung auch unter Trump vertieft. Die beiden Staaten sind sich besonders in sicherheitspolitischen Fragen noch nähergekommen. Es liegt aber nicht am Händchenhalten zweier alter Männer, sondern an den geopolitischen Verwerfungen, dass Indien und die USA heute enge Verbündeten sind.
Nichts zeigt dies so deutlich wie der gemeinsame Besuch von Aussenminister Mike Pompeo und Verteidigungsminister Mark Esper in Delhi vor einer Woche. Indische Kommentatoren bemerkten, dass ein solcher Besuch, so kurz vor einer hart umkämpften Präsidentenwahl, in jedem anderen Land als illegales Wahlkampfmanöver kritisiert worden wäre.
Einigender gemeinsamer Feind
Doch weder die liberalen US-Medien noch das Biden-Lager stiessen sich daran. Es war ein Zeichen, dass die Politik der USA gegenüber Indien – und ganz Asien – breiten „bipartisan support“ geniesst. Der Grund ist leicht zu erraten. Er heisst China. Sowohl in Delhi wie in Washington wird Beijings Anspruch und Auftritt als führende Weltmacht als Aggression verstanden, der sich beide gemeinsam entgegensetzen wollen.
Seit der chinesischen Besetzung von Geländeabschnitten in indischer Kontrolle in Ladakh im Juni fällt es Indien immer schwerer, sich nicht vollends und explizit ins antichinesische Lager einzureihen. Zwar vermieden die indischen Amtskollegen Rajnath Singh (Verteidigung) und S. Jayshankar (Äusseres) jede Erwähnung des C-Worts. Aber sowohl Pompeo wie Esper erwähnten diese „chinesiche Aggression“, wohlwissend, dass sie dies – ungestraft – in der indischen Hauptstadt taten.
Der Anlass des Besuchs war die Unterzeichnung eines „Basic Exchange and Cooperation Agreement“ (BECA). Es ist der vierte und letzte Stein in einer umfassenden Vertragsarchitektur, welche die Beziehungen der beiden Streitkräfte im Bereich der geospatialen militärischen Zusammenarbeit regelt.
Konkret heisst dies, dass Indien nun Zugang erhält zu Daten der amerikanischen Militärsatelliten. Dies geht von den Koordinaten über die Stationierung von Raketenbasen, Truppenverschiebungen eines Gegners bis zum Funkverkehr zwischen feindlichen Kommandoposten, etwa entlang der indisch-tibetischen Grenze.
Langfristige Sicherheitspolitik
Die beiden amerikanischen Minister konnten umso ungenierter nach Delhi reisen, als diese Verträge nicht das Resultat der Annäherung von Trump und Modi sind. Indische Medien wiesen darauf hin, dass die Verhandlungen darüber bereits vor zwanzig Jahren begannen. Deshalb dürfte sich diese engere militärische Zusammenarbeit auch unter einer Biden-Administration weiter vertiefen.
Dies ist wohl auch der Grund, weshalb die indischen Minister in ihren Stellungnahmen vor den Medien nicht nur das C-Wort vermieden, sondern auch das T-Wort. Präsident Trump hätte es sicher gern gesehen, wenn Premierminister Modi ihm gedankt hätte für diese weitere welthistorische Leistung des Grossen Steuermanns – aber nichts dergleichen ertönte.
Die sicherheitspolitische Klammer der bilateralen Beziehungen wird dem Verhältnis auch unter Joe Biden weiterhin Stabilität geben. Indien hat sich der strategischen Umarmung durch Washington immer schon entzogen, und tat es selbst während des Duetts Modi-Trump. Es wird diese Unabhängigkeit auch weiterhin wahren, wie sehr auch China seine Hegemonialpolitik weitertreibt – und die USA die ihre beibehalten.
Das populistische Fahrwasser, in dem die Beziehungen bisher segelten, wird mit einem erfolgreichen Ticket Biden-Harris allerdings austrocknen. Biden hat in den vergangenen Jahren deutliche Kritik geübt sowohl an der Politik der BJP in Sachen Menschenrechte wie der Verletzung demokratischer Grundregeln und des säkularen Verfassungsprinzips.
Es ist zu erwarten, dass er als Präsident diese Haltung, mit einer Vizepräsidentin indischer Abstammung an seiner Seite, auch weiterhin beibehalten wird. Einen persönlichen Indien-Bezug hatte Biden bereits erwähnt, als er 2013 als Obamas Vizepräsident im Land war: Ein fünf Generationen zurück lebender Ahne habe als Captain der „East India Company“ in Indien gelebt – und eine Inderin geheiratet.