Halten wir mal kurz die Fakten fest. Nationalbankpräsident Hildebrand hat, wenn man gestohlenen Bankunterlagen glauben darf, Franken in Dollar gewechselt und umgekehrt, dazu Börsengeschäfte getätigt. Das ist weder strafbar noch scheint es, laut mehreren Untersuchungen, gegen Reglemente zu verstossen. Hildebrand ist Banker, die dealen und spekulieren gerne. Das ist ihr Naturell. Ob es in seiner Position unsensibel, anrüchig oder ungeschickt ist, das ist eine andere Frage. Er wird sich heute dazu erklären. Bis zu einer allfälligen Verurteilung gilt zudem die Unschuldsvermutung.
Scharfrichter-Journalismus
Das sieht das ehemalige pluralistische Weltblatt «Weltwoche» aber entschieden anders. «Philipp Hildebrand betreibt Insider-Geschäfte», weiss es schon auf dem Titel. Und falls da noch Zweifel bleiben sollten, geifert ein im roten Bereich drehender Journalist: «Der vielgerühmte und auffällig geschniegelte Herr Hildebrand selbst entpuppt sich als Gauner, der sich illegal Vorteile erschleicht.» Der Vorwurf des Betreibens von Insider-Geschäften ist ein Straftatbestand, den bislang unbescholtenen Nationalbankpräsidenten als Gauner zu bezeichnen, ebenfalls.
Mal krachen lassen
Blättern wir die mageren 66 Seiten der aktuellen Ausgabe der «Weltwoche» mal im Schnelldurchlauf durch. Auf S. 3 vermeldet sie bereits eine «Staatsaffäre», auf S. 5 erklärt Roger Köppel persönlich den Notenbankchef zum «Sicherheitsrisiko», ja überhaupt, es ist «ein Riesenskandal», natürlich «haben die Medien versagt», es «wird mit Vorsatz vertuscht und gelogen», selbst eine Verletzung des von ihm ansonsten todesmutig verteidigten Bankgeheimnis durch den Kontodatendieb ist zwar «strafbar», jedoch entschuldbar, denn das «Motiv aber stimmt». Im Sinne des Meinungspluralismus fordert Köppels Stellvertreter auf S. 9: «Hildebrand muss gehen», denn «die grösste Gefahr für die Schweizerische Nationalbank ist deren Präsident». Auf S. 11 wird der «Eco»-Moderator Reto Lipp im Vorbeigehen als «Pressesprecher» von Philipp Hildebrand abgewatscht, auf S. 15 wird «das lügenhafte Communiqué des Bankrats der SNB» immerhin abgedruckt. Auf S. 18 unterscheidet Christoph Mörgeli zwischen der «Ära vor Hildebrand» und der danach, daneben darf sich der grosse Recherchierjournalist Kurt W. Zimmermann über den «traurigen Zustand des Recherchierjournalismus» im «Fall Hildebrand» erregen. Man könnte eigentlich von einem monothematischen Heft sprechen, wenn ab S. 38 als Auftakt einer neuen Serie nicht der Schlacht von Morgarten gedacht würde.
Staatskrise im Wasserglas
Aber eigentlich ist es, wenn man der «Weltwoche» glauben darf, was man aber lieber nicht tun sollte, noch viel schlimmer. Die Schweiz steht vor dem Abgrund, die Institutionen versagen, nicht nur der SNB-Präsident ist ein ganz schlimmer Finger. Zitieren wir noch ein letztes Mal den WeWo-Journalisten mit zuviel Schaum vor dem Mund: « ... die Bundesrätinnen Eveline Widmer-Schlumpf (BDP), Doris Leuthard (CVP) und Bundesrat Johann Schneider-Ammann (FDP) sind Teile einer eigentlichen Staatsaffäre – und ab sofort nicht mehr tragbar.» Um Himmels willen, wir dürfen also noch diese Woche den Rücktritt von Hildebrand und von drei Bundesräten erwarten, plus die Auflösung der Revisionsfirma PwC, dazu wird der Bankrat zum Teufel gejagt und der Chef der Finanzkontrolle tritt auch noch zurück, sozusagen als Kollateralschäden.
Ein neues Morgarten?
Bei der «Mutter aller Schweizer Schlachten», wie die WeWo sich bei Saddam Hussein bedienend diese Weichenstellung «zur Freiheit» nennt, halfen noch Hellebarden und Steinewerfen. In dieser Tradition nimmt die WeWo auch zum Jahresauftakt den Zweihänder hervor, verletzt sich aber beim wilden Herumfuchteln in erster Linie selbst. Im blinden Sturmlauf übersieht sie zudem, dass sie mit ihren justiziablen Verbalinjurien die Lunte an einen Rohrkrepierer gelegt hat. Denn wenn sich der Pulverdampf etwas verzogen hat, kommt vielleicht wirklich ein Skandal zum Vorschein.
Ein paar Fragen
Skizzieren wir dessen Umrisse mit ein paar Fragen. Wieso wartete alt Bundesrat Blocher ziemlich genau einen Monat, und rein zufällig bis nach den Bundesratswahlen, bis er die damalige Bundesratspräsidentin Calmy-Rey mit den gestohlenen Bankunterlagen über Hildebrands Konto konfrontierte? Welche Beweggründe und Motive hatte der Mitarbeiter der Bank Sarasin (oder die Mitarbeiter, da widersprechen sich die Angaben), seine Diebesbeute via Anwalt an Herrn Blocher weiterzuleiten? Ist es reiner Zufall, dass die «Weltwoche» heute nachlegt, nachdem der erste Sturm im Wasserglas über die Feiertage zu verwehen drohte? Handelt es sich nun um zwei Informanten, einen als Blocher-Quelle, einen als WeWo-Quelle, oder nur um einen? In der Hitze des Gefechts verhaspelt sich der WeWo-Schreiberling und spricht sowohl von einem Informanten wie auch von Informanten im Plural.
Durchsichtige Manöver
Ein paar weitere Fragen. Ist es nicht heuchlerisch, die illegal erworbenen Informationen eines Denunzianten zu benützen, der sich weder an bankinterne Stellen noch direkt an die Strafbehörden oder an die Öffentlichkeit, sondern zufällig an den Exponenten einer Partei wendet, die damit gleich zum Sturmangriff auf angeblich versagende Institutionen bläst? Und, last but not least: Glaubt Roger Köppel wirklich, mit Persönlichkeitsverletzungen, hysterischen Forderungen nach Massenrücktritten und der Verwendung von unter Bruch des von ihm verteidigten Bankgeheimnisses kriminell erlangten Unterlagen einen Beitrag zur Verbesserung der Schweiz zu leisten? Sein fragwürdiges Verständnis des Rechtsstaats bringt er selber unfreiwillig auf den Punkt: «Es liegt im Sinne des Rechtsstaats, das Recht zu verletzen, wenn schlimmere Verfehlungen unterbunden werden können.» Genau diese Mentalität will Platz für den übergesetzlichen Notstand, also Willkür und rechtsfreie Räume, in denen ein als Biedermann verkleideter Brandstifter selbst Ankläger, Richter und Terminator sein kann. Für ihn heiligt der politische Zweck wohl alle rechtswidrigen Mittel. Da wird ihn der durchaus funktionierende Schweizer Rechtsstaat in die Schranken weisen müssen.