Noch dauert es knapp zwei Monate, bis Amerikas seltsames Interregnum beendet ist. Das Titelblatt des „New Yorker“ zeigt Barack Obama, wie er im Oval Office mit Strichen seine letzten Tage zählt. „In einem fassungslosen Weissen Haus überdenkt der Präsident sein Erbe und Amerikas Zukunft“, steht im Untertitel des dazugehörigen Artikels. Hillary Clinton indes, beim ersten Presseauftritt nach der Wahl sichtlich gealtert, leckt Wunden, die sie und die Demokraten sich zum grossen Teil selber zugefügt haben.
Unter diesen ist für Clinton wohl die Einsicht die schmerzhafteste, die revolutionäre Bewegung, die der demokratische Konkurrent Bernie Sanders im Wahlkampf anführte, nicht ernst genug genommen und auf altbewährte Rezepte der Wählermobilisierung gesetzt zu haben – im Vertrauen auch auf eine Dynastie, die jetzt wohl gestorben ist, obwohl es bereits Gerüchte gibt, Tochter Chelsea plane in die Politik einzusteigen. „Feel the Bern“, riefen Sanders‘ Anhänger bei Wahlveranstaltungen, aber die Hitze, die der Senator aus Vermont vor allem unter Jungen entfachte, liess Hillary Clinton kalt.
Der designierte Präsident derweil verschanzt sich, vor den Medien abgeschirmt, im Trump Tower in New York und plant im Kreise der Familie die Einzelheiten der Machtübernahme. Bis zum 20. Januar 2017 sind in Regierung und Verwaltung an die 4000 Stellen zu besetzen, von denen der Senat jede vierte bestätigen muss. Dem Vernehmen nach sind die Vorbereitungen im Rückstand, weil anscheinend im Lager Trumps niemand ernsthaft mit seinem Wahlsieg gerechnet hatte. Eine Karikatur der „New York Times“ zeigt Donald Trump denn als „The Apprentice“ (der Lehrling, Anmerkung d. Red.) – der Titel jener Reality-TV-Sendung, die den Bau-Unternehmer landesweit berühmt gemacht hat.
Erste Stellenbesetzungen wie jene des Justizministers, des Sicherheitsberaters oder des CIA-Chefs, alle stramme Konservative mit teils dubiosem Leistungsausweis, lassen wenig Hoffnung, dass dem Weissen Haus viel daran gelegen ist, die polarisierte Nation zu einen und die Wunden, die der Wahlkampf unter Frauen, Minderheiten und Muslimen geschlagen hat, zu heilen. Donald Trump selbst hat zumindest bisher nicht den Anschein erweckt, als ob er willens wäre, vom aggressiven Wahlkämpfer zum versöhnlichen Präsidenten zu mutieren.
Auch zeigt er offenbar wenig Einsicht, dass es allfälliger Interessenkonflikte wegen unbedingt nötig ist, die Kontrolle über sein Geschäftsimperium abzugeben und sich ausschliesslich auf die Politik zu konzentrieren. „You can’t have your cake and eat it“, sagen die Amerikaner: Beides auf einmal geht nicht.
Lediglich Amerikas Satiriker profitieren von Trumps Wahlsieg. Der designierte Präsident mit dem übergrossen Ego, der orangen Gesichtsfarbe und der strohblonden Haarpracht ist eine willkommene Zielscheibe und leicht, allzu leicht zu treffen. Nichts dagegen, aber Witz allein wird nicht ausreichen, um den Amtsinhaber im Weissen Haus und seine Höflinge bei Gelegenheit zu entlarven oder zur Rechenschaft zu ziehen.
Hier können die Medien als Wachhunde der Demokratie nachholen, was sie als Donald Trumps Schosshündchen im Wahlkampf versäumt haben: genauer hinzuschauen, eindringlicher zuzuhören, nachhaltiger zu analysieren und mit einer Prise Demut und Selbstkritik zu agieren. Die Latte liegt hoch, aber nicht zu hoch. Amerika ist schliesslich das Land der unbegrenzten Möglichkeiten.