Zunächst die Frage und die Antwort aus der «Neue Zürcher Zeitung» vom 13. April 2012, Seite 9, entnommen dem Interview mit Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf.
Frage: Wären Sie auch bereit, nach dem Fall Wegelin eine Strafklage gegen weitere Schweizer Banken in Kauf zu nehmen?
Antwort: "Die UBS haben wir damals wegen ihrer Systemrelevanz gerettet. Wegelin war dagegen nicht systemrelevant. Wir können nicht sämtliche Prinzipien infrage stellen, allein um eine Bank zu retten."
Wieso ist das ein Skandal? Um das zu verstehen, müssen wir einen Moment zur Rettung der UBS zurückblenden.
Klarer Rechtsbruch
Die UBS hatte sich in der Finanzkrise 1 so kräftig verspekuliert, dass sie mit der am Bruttosozialprodukt gemessen grössten staatlichen Rettungsaktion aller Zeiten vor dem Abgrund bewahrt werden musste. Mit der fragwürdigen Begründung, dass ihr Untergang unüberschaubare Schäden für die Schweizer Volkswirtschaft verursachen würde. Kaum waren dafür 60 Milliarden Franken bereitgestellt worden und Staat und Steuerzahler in Geiselhaft der Bank geraten, drohte der UBS schon wieder das Ende.
Angestellte der Bank hatten illegal in den USA Steuerpflichtigen dabei geholfen, Gelder bei der UBS zu verstecken. Nach Anklagen gegen einzelne Mitarbeiter bis in die Führungsspitze der Bank drohten die USA damit, gegen die UBS selbst Klage zu erheben. Das wäre existenzbedrohend gewesen. Um das zu vermeiden, forderten die USA die Herausgabe von rund 52 000 Kundendossiers. Nach zähen Verhandlungen wurde die Zahl auf einige tausend reduziert. Der damalige Bundesrat beauftragte die Bankenaufsicht Finma, die Dossiers von der UBS einzufordern und an die USA auszuliefern. Betroffene wehrten sich - klarer Rechtsbruch, befand das Bundesverwaltungsgericht.
Notrecht
Mit eigentlich nur für die Abwehr einer unmittelbaren, kriegerischen Gefahr für die Schweiz vorgesehenem Notrecht ordnete der Bundesrat dennoch die Auslieferung der Kundendaten an. Zähneknirschend akzeptierte das Schweizer Parlament im Nachhinein und rückwirkend die nötige gesetzliche Grundlage, um insgesamt knapp 5000 Kundendaten an die USA zu überstellen. Ein rechtsstaatlicher Skandal, ein Unding. Und dazu sagt Bundespräsidentin Widmer-Schlumpf heute, man könne "nicht sämtliche Prinzipien infrage stellen, allein um eine Bank zu retten". Ja was war das denn anderes? Aber das ist nicht mal der eigentliche Skandal in diesen drei Interview-Sätzen.
Wenn Verluderung zum Alltag wird
Zitieren wir zunächst zwei Artikel aus der Schweizer Bundesverfassung, das rechtsstaatliche Fundament der Schweiz. Unter den Grundrechten ist da in Artikel 8 festgehalten: "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich." Und Artikel 9 ergänzt: "Jede Person hat Anspruch darauf, von den staatlichen Organen ohne Willkür und nach Treu und Glauben behandelt zu werden." Darüber können die damals verratenen UBS-Kunden nur bitter lachen. Und wie steht es denn um die Gleichheit vor dem Gesetz? Haben wir da den Satz überlesen, dass "Systemrelevanz" doch einen Unterschied macht? Gelten für die UBS andere Gesetze als für die Bank Wegelin? Muss man eine gewisse Grösse haben, um gleicher als andere behandelt zu werden? Oder andersherum, wieso genau sollte für Wegelin nicht das billig sein, was bei der UBS teuer war? Hat Wegelin einfach Pech gehabt, hätte halt "systemrelevant" sein sollen, dann wäre ihr das nicht passiert? Und wie wird das entschieden, ausser mit reiner Willkür, die dann um sich greift, wenn Verluderung zum Alltag wird? Kann sich also die Credit Suisse zurücklehnen, die heute in einer ähnlichen Bredouille wie die UBS damals steckt? Die Basler und Zürcher Kantonalbank auch, oder sind die schon nicht "systemrelevant"? Und Sarasin, Bär und die anderen im Feuer stehenden Banken, sind die nicht gleicher wie die UBS, sondern nur gleich wie Wegelin?
Nötige Klarstellungen
Nein, hier geht es weder um die Verteidigung von Steuerhinterziehung noch des Schweizer Bankgeheimnisses. Hier geht es auch nicht um eine Bewertung des Handelns von US-Steuerpflichtigen oder von Schweizer Bankern. Hier geht es um den Skandal, dass eine amtierende Schweizer Bundespräsidentin mit drei Sätzen die Fundamente des Schweizer Rechtsstaats in Frage stellt. Hier geht es um den Skandal, dass das die Öffentlichkeit, in den letzten Wochen und Monaten ermüdet vom Hickhack um Steuerabkommen, Kompromisse und der Aufgabe der Schweizer Rechtssouveränität, gar nicht mehr zur Kenntnis nimmt. Das Bankgeheimnis kann ja im Orkus verschwinden, UBS, CS und alle weiteren genannten Banken auch. Aber der Schweizer Rechtsstaat? Das kann wohl nicht angehen.