Wolf Biermann hat im Deutschen Bundestag beim Gedenken an den 9. November 1989 nicht nur zur Gitarre gegriffen, sondern auch Klartext geredet: Nichtswürdig und erbärmlich sei jene Partei, die immer noch das vertrete, „was zum Glück überwunden ist“.
In wenigen Tagen wird in Thüringen ein Herr zum Ministerpräsidenten gewählt, der genau jene „Drachenbrut“, wie Biermann sie nannte, vertritt. Der Chef der SPD, Sigmar Gabriel, stürmte nach dem Auftritt auf Biermann zu, umarmte und küsste ihn, während die Kanzlerin erst einmal ihre Verblüffung überwinden musste, um dem hellsichtigen Barden dann gemessen zu seinem Auftritt zu gratulieren.
Allerdings steht Gabriel hinter der Entscheidung der SPD in Thüringen. Ein Biermann wäre da nur hinderlich. Und die Kanzlerin? Seit Wochen hat sie es mit einem Herrn zu tun, für den das Ende des Kommunismus in Mitteleuropa die „grösste geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ war und ist. Und er handelt danach. Thüringen ist dagegen die reinste Idylle.
Nicht nur die Kanzlerin weiss: Dies ist ein verteufeltes Jahr. Vor 100 Jahren wurden Fehler gemacht, deren Folgen die Fantasie der damals Handelnden bei weitem überstiegen. Unsere Welt ist heute weitaus dynamischer. Desto schlimmer jetzt die Fehler. Bei den Erinnerungen an damals fliegen keine Sektkorken, lässt sich nicht über "Drachenbrut" spotten, sondern es ist die die kalte Angst, die in den Nacken kriecht. Sollten wir wieder, wie unsere Vorfahren, in ein Geschehen hineintaumeln, das keiner wirklich will? Lehrt die Geschichte mehr als nur, dass alles möglich ist? Wie lässt sich da kaltes Blut bewahren?