Die Pressefreiheit ist fast weltweit im Schrumpfen begriffen. Diverse politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche und technische Entwicklungen setzen Medien immer stärker zu. Ist aber die Presse bedroht, krankt auch die Demokratie.
Zu den sichtbarsten Anlässen, bei denen die Presse sich selbst feiert, gehört das jährliche White House Correspondents’ Dinner, an dem – mit Ausnahme Donald Trumps – auch amerikanische Präsidenten teilzunehmen pflegen. Den festlichen Anlass moderiert jeweils eine bekannte Komikerin oder ein populärer Komiker. Am 29. April war es Roy Wood Jr., Korrespondent der satirischen «Daily Show» auf dem TV-Sender Comedy Central.
Den Event im Ballsaal des Washington Hilton beendete Wood aber nicht mit einer Pointe, sondern mit einer Würdigung: «Der heutige Abend dreht sich ganz um euch Journalistinnen und Journalisten, die ihr die Redefreiheit verteidigt. Um Leute, die der Welt die Wahrheit zeigen, in verschiedenen Medien, von Fernsehen, Print, Radio bis hin zu dem, was uns China auf TikTok sehen lässt.»
Im Verlauf des Dinners hatte sich auch Joe Biden im Saal zu Wort gemeldet. «Unsere Botschaft heute Abend ist folgende: Journalismus ist kein Verbrechen», sagte der US-Präsident unter dem Applaus des Publikums und erinnerte an Evan Gershkovich, den Korrespondenten des «Wall Street Journal», der im März im russischen Jekaterinburg als angeblicher Spion verhaftet wurde und heute im Lefortowo-Gefängnis in Moskau sitzt: «Evan ging nach Russland, um Licht in die Dunkelheit zu bringen, der ihr vor Jahren entronnen seid.»
Vier Tage später veröffentlichte die Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen (RSF) am World Press Freedom Day zum 21. Mal ihre Rangliste der globalen Pressefreit. Deren Lektüre war schwerer verdauliche Kost als das Menü des Correspondents’ Dinner. Bei der jährlichen Rangierung der 180 erfassten Länder und Territorien stützt sich RSF auf fünf Kriterien: politischer Kontext, geltende Gesetze, wirtschaftliche Lage der Medienbranche, soziokultureller Kontext und Sicherheit.
Der Bericht der Organisation gibt zu wenig Optimismus Anlass. Demzufolge ist die Lage der Pressefreiheit in mehr als 70 Prozent der Länder weltweit «schlecht», d. h. lediglich in drei von zehn Ländern ist sie einigermassen zufriedenstellend. 31 Länder befinden sich laut RSF «in einer äusserst ernsthaften Lage». Der Uno zufolge leben heute 85 Prozent der Menschen weltweit in Ländern, in denen die Pressefreiheit in den vergangenen fünf Jahren beschnitten worden ist.
Die Schweiz belegt auf der Rangliste Platz 12, zwei Plätze besser als im vergangenen Jahr. Die leichte Verbesserung ist laut RSF dem Ende der Corona-Massnahmen zu verdanken. Doch gleichzeitig hat sich die Qualität des rechtlichen Umfelds verschlechtert, was bewirkt, dass die Schweiz in diesem Bereich von Platz 29 auf Platz 37 zurückgefallen ist – eine Folge der Zustimmung des Bundesparlaments zu einer Verschärfung der «vorsorglichen Massnahmen», die Zivilgerichte gegen Medien verhängen können.
Im Bereich «rechtlicher Rahmen» trägt Artikel 47 des Bankengesetzes zur schlechteren Platzierung bei. Der Artikel erschwert es Medienschaffenden, Daten aus illegal beschafften Leaks für ihre Recherchen zu nutzen. Weiter bleibt laut Reporter ohne Grenzen die wirtschaftliche Lage der Schweizer Medien schwierig, was sich ebenso auf ihre Rangierung auswirkt wie die Ablehnung des Mediengesetzes durch das Stimmvolk im Februar 2022.
Platz 1 auf der Rangliste der Pressefreiheit belegt zum siebten Mal in Folge Norwegen, vor Irland, Dänemark, Finnland, Schweden und den Niederlanden. Am Schluss des Feldes finden sich Syrien, Turkmenistan, Iran, Vietnam, China und Nordkorea. Deutschland liegt auf Platz 21, Frankreich auf Platz 24, Österreich auf Platz 27 und Italien auf Platz 41.
Die USA belegen wenig schmeichelhaft erst Rang 45 – trotz des Ersten Zusatzes zur amerikanischen Verfassung, der die Pressefreiheit garantiert. In den Vereinigten Staaten, so RSF, würden Verletzungen der Pressefreiheit «in alarmierendem Ausmass» zunehmen. Einer der Hauptschuldigen: Ex-Präsident Donald Trump und dessen wiederholte Verdammung der Medien als «Volksfeinde».
Besonders beunruhigend ist die Situation in Hongkong, dessen Presse einst eine der freiesten in ganz Asien war. Doch seit China ein weitreichendes und drakonisches Nationales Sicherheitsgesetz erlassen hat, um jegliche Opposition der Bevölkerung im Keim zu ersticken, ist die frühere britische Kronkolonie innert einem Jahr um 68 Ränge auf Platz 148 gefallen.
Als einen der Gründe für die Untergrabung der Pressefreiheit macht Reporter ohne Grenzen den schnellen technischen Fortschritt aus, der es Regierungen und Politik erlaubt, die Wirklichkeit zu verzerren und Falschmeldungen zu verbreiten: «Die Unterschiede zwischen wahr und falsch, wirklich und künstlich, Fakten und Fiktionen verwischen sich und stellen das Recht auf Information in Frage», stellen die Verfasser des Berichts fest: «Die Fähigkeit, Inhalte zu manipulieren, wird dazu missbraucht, um jene zu unterminieren, die Qualitätsjournalismus verkörpern, und um den Journalismus selbst zu schwächen.» Dazu gesellt sich der Fortschritt in Sachen Künstlicher Intelligenz (KI), deren Sprachmodelle «Inhalte verdauen und in der Form von Synthesen hochwürgen, die jegliche Grundsätze der Genauigkeit und der Verlässlichkeit missachten.»
Währenddessen meldet die Organisation «Committee to Protect Journalists» (CPI), dass 2022 weltweit 67 Medienschaffende getötet worden sind, unter ihnen mindestens 15 in der Ukraine, 13 in Mexiko und sieben in Haiti. In 41 Fällen konnte die NGO einen direkten Zusammenhang der Morde mit journalistischer Arbeit feststellen; in den übrigen 26 Fällen wird ein möglicher Link noch untersucht. Dieses Jahr sind bisher neun Journalisten umgebracht worden. Dabei werden in der Regel nur zwei von zehn Morden an Medienschaffenden aufgeklärt.
Ausserdem sitzen weltweit nahezu 600 Journalistinnen und Journalisten im Gefängnis, die meisten von ihnen im Iran, in China, in Myanmar und in der Türkei sowie in geringerer Zahl in Vietnam, Belarus, Saudi-Arabien und Ägypten. Im Iran sind unter anderen die 30-jährige Nilufar Hamedi und die 35-Jährige Elaheh Mohammadi inhaftiert. Beide haben sie nach dem Tod von Mahsa Amini im vergangenen September unerschrocken recherchiert, weshalb die 22-Jährige in Polizeigewahrsam wirklich gestorben war.
Nilufar Hamedi fotografierte für Twitter, wie sich Mahsa Aminis Vater und Grossvater nach der Überbringung der Todesnacht umarmten: «Das schwarze Kleid der Trauer ist unsere Nationalflagge geworden.» Elaheh Mohammadi beschrieb, wie fast tausend Frauen und Männer an Aminis Beerdigung zugegen waren und am Grab «Frau, Leben, Freiheit» riefen – jenen Slogan, der später bei Protesten landesweit zu hören war. Beide Journalistinnen sind im berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran inhaftieret. Ihnen soll vor einem islamischen Revolutionsgericht der Prozess gemacht werden. Der zuständige Richter: Abolqasem Salavati, für seine harten Urteile als «Richter des Todes» bekannt.
Die Berichte von RSF und CPJ stimmen wenig optimistisch, was die Lage der Pressefreiheit betrifft. «Wenn die Presse unfreier wird, erodiert in der Folge fast immer die Demokratie», hat A. G. Sulzberger, der Verleger der «New York Times», anlässlich des World Press Freedom Day vor der Uno gemahnt. Die Ergebnisse der beiden Berichte müssen aber nicht nur der Gesellschaft und der Politik zu denken geben, sondern auch jener Presse, deren Status, frei von staatlicher Lenkung und Unterdrückung, noch als zufriedenstellend gilt.
Selbstgerecht zu schmollen wäre die billigste und falscheste Reaktion auf reale Missstände. Stattdessen sollten sich die Medien besinnen, wo selbstgemachte Defizite liegen, die zum Verlust des Vertrauens in die Branche geführt haben, und wie solche zu beheben wären. Zu nennen wären da etwa fehlende Transparenz, mangelnde Fehlerkultur, Anbiederung an Publikumsgeschmack, falsche Themenwahl, wachsende Konzentration und übermässiges Profitstreben.
«Selbst wenn ihr mich mit euren Fragen bis aufs Blut geärgert habt, erinnere ich mich stets daran, dass ihr in Wirklichkeit die Arbeit der Leute verrichtet», hat Arnold Schwarzenegger, Ex-Gouverneur von Kalifornien, am White House Correspondents’ Dinner die Anwesenden in einer vorab aufgezeichneten Botschaft erinnert: «Ihr seid die Alliierten des Volkes und hört deshalb nie auf, die Wahrheit zu enthüllen und die Öffentlichkeit zu informieren.» Eine nette Eloge aus dem Munde eines «Terminator».