Eine wichtige Rolle spielt dabei das Hotel „Bellevue“ in Bern, wo sich russische Mafiosi und Schweizer Banker zu einer entscheidenden Sitzung treffen.
John le Carrée sass einst, während eines Abendessens in der Zürcher „Kronenhalle“, zufälligerweise am Nebentisch, nicht inkognito, aber unerkannt. Ich war mir nicht sicher, ob es es wirklich war, und so nahm ich beim Verlassen des Lokals meinen ganzen Mut zusammen und sprach ihn an. „Entschuldigen Sie bitte, aber sind Sie der, für den ich Sie halte?“ Er schaute kurz auf und fragte zurück: „Für wen halten Sie mich denn?“ Ich sagte: „Ich glaube, Sie sind Mr. John le Carré.“ Er antwortete: „Ich fürchte, ich bin es.“ Wir verabschiedeten uns, ohne uns je wieder zu begegnen.
Ein bunt gemischtes Ensemble
Und jetzt ist John le Carré zurück in der Schweiz, mit seinem jüngsten Roman „Our Kind of Traitor“. Es ist die Geschichte eines virtuosen Geldwäschers aus dem russischen Perm, der nach Grossbritannien überlaufen will, um sich und seine Familie vor der Rache der Mafia, die bereits seinen besten Freund umgebracht hat, in Sicherheit zu bringen. Bei der Umsetzung seines Vorhabens sind dem „Verräter“ Perry, ein junger Literaturdozent aus Oxford, dessen Freundin Gail, eine Juristin, sowie ein Team des britischen Geheimdiensts MI6 behilflich: Hector, ein älterer, mit allen Wassern gewaschener Hase, Luke, ein jüngerer, stets unglücklich verliebter Agent, eine eher scheue Mitarbeiterin des Dienstes namens Yvonne sowie Ollie, eine Art Faktotum, der auch Schweizer Mundart spricht. Deren Arbeitsort, die festungsähnliche Zentrale des MI6 an der Themse, nennt Lukes französische Gattin wenig schmeichelhaft „La Lubianka sur Tamise“
Schauplätze der Handlung von „Our Kind of Traitor“ sind Antigua, wo der Russe nach einem Tennismatch Kontakt mit dem jungen Mann aus Oxford aufnimmt, der dort Ferien macht; London, wo der britische Geheimdienst den Dozenten und seine Freundin debrieft; das Stadion Roland Garros in Paris, wo sich der Russe und der Brite während des Finals des French Open mit Roger Federer verdeckt treffen, und schliesslich das Nobelhotel „Bellevue“ in Bern, wo der Überläufer seinen Bewachern auf dem Gang zur Toilette entwischt, um am Ende in einem „hässlichen, für Mieter gebauten Chalet“ in Wengen mit seiner Familie auf die Ausreise ins gelobte Land des „Fair Play“ zu warten. All diese Orte sind, wie üblich bei Le Carré, liebevoll, präzis und mit einer Prise Ironie beschrieben.
Kein "Ende der Geschichte", kein Mangel an Themen
Als 1989 der Eiserne Vorhang fiel, meinten Kritiker, jetzt würden John le Carré die Themen ausgehen, jetzt, da den Geheimdiensten, wie den Armeen, die Gegner abhanden gekommen waren, jetzt, da sich der Kapitalismus nicht mehr gegen den Kommunismus zu wehren brauchte, die bipolare Welt einer neuer Ordnung Platz machen würde und aus früheren Feinden Geschäftsfreunde werden würden. Doch Le Carré sollte seine Kritiker Lügen strafen: So wenig wie nach 1989 die Geschichte zu Ende ging, so wenig sind dem britischen Erfolgsautor die Themen ausgegangen. Er fand sie dort, wo andere nicht so genau hinschauten wie er; dort, wo seine Sensibilität Machenschaften aufspürte, die wahrzunehmen andere moralisch zu abgestumpft waren.
Bekenntnisse eines virtuosen Geldwäschers
In „Our Kind of Traitor“ hört der junge britische Agent, als er im „Bellevue“ zu Bett geht, noch BBC World News. Doch er stellt die Radionachrichten bald wieder ab: „Halbwahrheiten. Viertelwahrheiten. Was die Welt wirklich über sich weiss, getraut sie sich nicht zu sagen.“ Im vorliegenden Fall ist es die bittere Wahrheit, dass die Interessen des britischen Establishments, wie sie die City of London vertritt, höher zu gewichten sind als die Bekenntnisse eines virtuosen Geldwäschers, die lediglich das „business as usual“ stören würden. Jenes akribisch geschmierte Zusammenspiel politischer und wirtschaftlicher Eliten, die angeblich nur immer das Beste für ihr Land wollen, dabei aber stets an die eigene Karriere und den eigenen Profit denken.
Das heisst in „Our Kind of Traitor“: Lieber eine neue, mit russischem Schwarzgeld finanzierte Bank in der Londoner City, die Milliarden in den anämischen Geldkreislauf pumpt, als ein Skandal, in den mehrere Säulen der besseren Gesellschaft verwickelt würden, Der 79-jährige John le Carré, enttäuschter Idealist und unverbesserlicher Moralist, beschreibt dieses Ränkespiel erneut meisterhaft und spannend – teils vor Schweizer Kulisse.
John le Carré: "Our Kind of Traitor", Viking, £18.99.