Seit die vielen enttäuschten Hoffnungen die Klimakonferenz von Kopenhagen im Dezember 2009 mit ihren über 40 000 Teilnehmern zum grossen medialen Debakel werden liessen, ist in den internationalen Klimaverhandlungen wieder Nüchternheit eingekehrt. Das hat seinen Grund. Die Erwartung, dass Ende 2009, nur zwei Jahre, nachdem auf Bali beschlossen wurde, einen neuen umfassenden Klimavertrag zu erarbeiten, dieser bereits in einer rechtlich verbindlichen Version vorliegen könnte, war von Beginn weg unrealistisch.
Der neue Vertrag – denkbar sind auch mehrere – muss nämlich all das regeln, was den Vertragsstaaten im Rahmen des Kyoto-Protokolls 1997 in Japan nicht gelang. Vor allem sollen nun auch die aufstrebenden Schwellenländer wie China, Indien oder Brasilien, deren Treibhausgasemissionen zunehmend ins Gewicht fallen, verbindliche Ziele zur Reduktion ihrer Emissionen unterschreiben. Und "last but not least" müssen diesmal auch die USA mittun. Ohne eine inhaltlich ins Gewicht fallende Beteiligung der Amerikaner werden weder die Europäer noch die Entwicklungsländer bereit sein, sich ihrerseits zu (weiteren) substanziellen Emissionsreduktionen zu verpflichten.
Fehlende Kyoto-Ziele für die Zeit nach 2012
Nötig wird ein solch neuer Vertrag unter anderem, weil Ende 2012 die erste Phase des Klimaprotokolls von Kyoto ausläuft. Es gibt bis anhin für die Zeit nach der ersten Bemessungsperiode des Kyoto-Protokolls, die von 2008 bis 2012 dauert, international keine konkreten juristisch verbindlichen Reduktionsziele. Daher kommt auch der zeitliche Druck. Denn zahlreiche Klimawissenschafter betonen, dass die Bedrohlichkeit der Erwärmungsszenarien nicht abgenommen habe. Kommen Zweifel daran auf, dass das internationale Regime im Rahmen der Uno-Klimapolitik auch nach 2012 konkrete Reduktionen erzwingt, stehen viele der gegenwärtigen Bemühungen in Gefahr, nicht fortgesetzt zu werden.
Massnahmen zur Reduktion der Treibhausgasemissionen sind in den allermeisten Fällen langfristige, zum Teil teure Investitionen in die Entwicklung von "grünen" Technologien und die Erstellung entsprechender neuer Infrastrukturanlagen. Ist nicht klar, dass diese wirklich die zukunftsträchtigen Lösungen sind, wird sich mancher Hausbesitzer, Unternehmer, Politiker, manche Gemeinde und mancher Staat überlegen, wie angesichts knapper Finanzen nun die Prioritäten gesetzt werden sollen.
Der "Copenhagen Accord" - besser als sein Ruf
Diesen Druck aufrecht zu erhalten war auch das Ziel des in letzter Minute quasi in Hinterzimmern der Kopenhagener Konferenz verfassten "Copenhagen Accord". Der Text war zwar von manchen Staaten der 15. Vertragsparteienkonferenz der Klimakonvention (COP15), so die offizielle Bezeichnung der Kopenhagener Konferenz, scharf kritisiert worden, weil er ausserhalb der offiziellen Gremien in einer kleinen Gruppe von wichtigen Emittentenländern entstanden war, unter ihnen die USA und China. Deshalb wurde er vom Schlussplenum auch nur "zur Kenntnis genommen" und nicht als offizielles Konferenzresultat anerkannt.
Viele Journalisten und Umweltorganisationen geisselten ihn zudem als schwachen faulen Kompromiss. Manche schrieben von einem Desaster oder gar einem Gipfel der Schande (Zeit Online). Tatsächlich jedoch könnte der "Copenhagen Accord" ein wichtiger Schritt zur Erarbeitung der Elemente sein, die es ermöglichen, ein verbindliches globales Klimaregime für die nächsten Jahre und Jahrzehnte zu konstruieren (siehe unten). Inzwischen haben sich viele Länder zu der dreiseitigen Absichtserklärung als Basis für die zukünftige Entwicklung bekannt. In Cancún wird er zweifellos eine zentrale Rolle spielen.
Von Cancún nach Durban
Auch Cancún wird aber nicht den endgültigen Durchbruch bringen. Dieser dürfte allerfrühestens Ende 2011 in Durban in Südafrika erfolgen. Noch sind zu viele Fragen offen. So scheint eine Einigung auf verbindliche Emissionsreduktionsziele und auf die Art und Weise, wie die Reduktionen gemessen und verifiziert werden, denen sowohl die Industrieländer wie auch die Dritte Welt zustimmen können – vor allem auch die beiden grossen Emittenten USA und China –, noch nicht in Sicht. Unklar ist auch, ob es sich schliesslich um einen einzigen neuen globalen Vertrag handeln wird, der das Kyoto-Protokoll gewissermassen obsolet werden lässt, oder ob es zwei Abkommen geben wird, das Kyoto-Protokoll mit einer zweiten Bemessungsperiode und daneben einen globalen Vertrag, in den die USA und die Entwicklungsländer mit verbindlichen Zielen eingebunden sind.
Einzelne Beschlüsse als Bausteine
Die Resultate der COP16 in Mexiko, so die Hoffnung von Christiana Figueres, der Exekutivsekretärin der Konvention, sollen die Ausarbeitung dieses neuen globalen Klimaregimes jedoch deutlich beschleunigen. Denkbar könnten Einigungen in Teilbereichen sein, zum Beispiel Fortschritte bei der Langzeitfinanzierung, mit der die Industriestaaten die armen Länder bei ihren Bemühungen zur Emissionsreduktion und zur Anpassung an den Klimawandel unterstützt.
Ein von Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon einberufenes Panel von Experten aus Nord und Süd war vor wenigen Wochen zum Schluss gekommen, dass die im "Copenhagen Accord" in Aussicht gestellten jährlich 100 Milliarden Dollar ab dem Jahr 2020 tatsächlich auch finanzierbar seien. Allerdings gelte es dazu eine Vielzahl von Finanzierungsinstitutionen zu mobilisieren und zu koordinieren, private, nationale und multinationale. Unabdingbar sei auch ein Kohlenstoffmarkt, in dem der Preis für die Tonne emittiertes Kohlendioxid mindestens 20 bis 25 Dollar erreiche.
Andere Bereiche, in denen Forschritte erhofft werden, sind Massnahmen zum Schutz der Tropenwälder, eine kostengünstige Möglichkeit zur Reduktion grosser Mengen von Treibhausgasemissionen. Sie laufen unter dem Kürzel REDD+ (Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation in Developing Countries). Ebenso könnten Beschlüsse zum Transfers von Technologie zur Unterstützung der Bemühungen in den Entwicklungsländern und Massnahmen zur Förderung der Anpassung an den Klimawandel möglich sein. Die Frage ist auch, ob es zur Beschleunigung des Prozesses gelingt, das bis anhin gültige Prinzip des "Nichts ist verabschiedet, solange nicht alles verabschiedet ist" zu durchbrechen.
Der "Copenhagen Accord"
Im "Copenhagen Accord" sind wichtige Prinzipien für die Weiterentwicklung der Klimaverträge festgehalten. Zentrale Aussagen sind:
Die beteiligten Länder sind sich einig, dass auf Grund der wissenschaftlichen Analysen tiefe Einschnitte in die globalen Emissionen nötig sind, um den Temperaturanstieg, wie empfohlen, unter 2 Grad Celsius zu halten. Man will aktiv werden, um dieses Ziel zu erreichen.
Es wird anerkannt, dass für Anpassungen an negative Folgen des Klimawandels eine internationale Zusammenarbeit dringlich ist, vor allem für kleine Inselstaaten und Afrika. Industrieländer werden Gelder und Technologie zur Verfügung stellen.
Die Industriestaaten werden Emissionsreduktionsziele für 2020 bekannt geben und jene, die Mitglieder des Kyoto-Protokolls sind, werden ihre Reduktionsziele verstärken. Auch die Entwicklungsländer deklarieren, welche Massnahmen sie zur Reduktion ihrer Emissionen ergreifen; ärmste Länder und kleine Inselstaaten können freiwillige und von den Industriestaaten unterstützte Massnahmen registrieren lassen.
Massnahmen gegen die Abholzung und die Verschlechterung der Waldqualität werden als äussert wichtig eingestuft; es soll sofort ein neuer Mechanismus etabliert werden, um Gelder zur Verfügung stellen.
Auch ein Technologie-Mechanismus wird geschaffen, der den Transfers von Know-How zur Reduktion der Treibhausgasemissionen und zur Anpassung an den Klimawandel erleichtert.
Die Industrieländer werden für die Jahre 2010 bis 2012 total 30 Milliarden Dollar für Emissionsreduktionen in Entwicklungsländern, den Waldschutz, die Anpassung an den Klimawandel und den Technologietransfers bereitstellen. Ab 2020 sollen es 100 Milliarden jährlich sein. Ein Grossteil dieses Geldes wird über einen "Copenhagen Green Climate Fund" verteilt. Ein neues hochrangiges Panel sucht nach möglichen Geldquellen.
2015 soll bei einer Überprüfung des "Accord" unter anderem überlegt werden, ob auf Grund der wissenschaftlichen Erkenntnisse das gemeinsame Ziel zu erhöhen ist, in dem die akzeptierte globale Klimaerwärmung auf maximal 1,5 Grad begrenzt wird.