Die Aussenwirtschaft entzieht sich den in der Bundesverfassung verankerten Zielen einer solidarischen Aussenpolitik. Sie ist weder sozial noch ökologisch ausgerichtet und fällt der Entwicklungszusammenarbeit in den Rücken. Das muss sich ändern – mit der Konzernverantwortungs-Initiative.
Die Verfassung enthält den markanten Artikel 54 zur Aussenpolitik: „Der Bund (…) trägt namentlich bei zur Linderung von Not und Armut in der Welt, zur Achtung der Menschenrechte und zur Förderung der Demokratie, zu einem friedlichen Zusammenleben der Völker sowie zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen.“ Solidarische Aussenpolitik ist also staatliche Strategie, Entwicklungszusammenarbeit eines ihrer Instrumente.
Wirtschaftsinteressen gehen bislang vor
Warum aber entzieht sich die Aussenwirtschaftspolitik diesen strategischen Zielen? Warum schliesst der gleiche Bund Freihandelsabkommen und Steuerabkommen, die weder menschenrechtliche noch umweltrechtliche Bestimmungen enthalten? Ich erinnere mich an den epischen Kampf in der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrates mit Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann, als es um das Freihandelsabkommen mit China ging. China verletzt systematisch und massenhaft Menschenrechte; das Freihandelsabkommen wäre ein geeignetes Instrument gewesen, um Verbesserungen zu erreichen. China wollte nicht, Bundesrat und Parlamentsmehrheit knickten ein. Der freie Handel, das heisst der von ökologischen und sozialen Verpflichtungen befreite Handel, behielt einmal mehr die Oberhand. Geld verdienen war wichtiger als die Beseitigung von Zwangs- und Kinderarbeit.
Bilaterale Steuerabkommen zwischen der Schweiz und Entwicklungsländern gibt es gar keine. Das hat zur Folge, dass jährlich Gelder in Milliardenhöhe die armen Länder unversteuert verlassen und von den korrupten herrschenden Eliten in Schweizer Banken gebunkert oder auf westlichen Kapitalmärkten investiert werden. Der oft gehörte Einwand, Doppelbesteuerungsabkommen seien für Länder mit unterentwickelter Verwaltung eben zu kompliziert, verfängt nicht, denn es gibt längst die einfacheren, aber ebenfalls wirkungsvollen Steuerinformations-Austausch-Verträge (TIEA). Aber auch solche hat die Schweiz bisher keine unterzeichnet. Warum nicht? Weil der Finanzplatz das nicht will. Die Besteuerung der fliehenden Milliarden wäre aber enorm wichtig, um die meist schwachen Staaten zu stärken, damit sie in Bildung, Gesundheitswesen, soziale Einrichtungen und Umweltschutz investieren könnten.
Die Schweiz lebt also in und mit einem verfassungswidrigen Zustand: Die Privatwirtschaft macht ihre Geschäfte an der solidarischen Aussenpolitik vorbei und wird nicht einmal dann behaftet, wenn sie in den Ländern des Südens Sozialschäden oder Umweltschäden verursacht. Die von der Uno verabschiedeten Prinzipien für multinationale Unternehmen („Ruggie-Principles“) verpuffen, solange sie nicht in nationale Gesetzgebung überführt werden. Und das wurden sie bisher nicht. Nicht besser ergeht es den 2011 beschlossenen „OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen“. Sie sind ebenfalls wohl formuliert, haben aber nur empfehlenden Charakter und zeigen kaum Resultate. Doch jetzt kommt Hoffnung auf, dank der Konzernverantwortungs-Initiative (KOVI).
Verfassung soll auch für das weltweite Wirtschaften gelten
Die KOVI macht das, was Regierung und Parlament bisher unterliessen: Sie baut eine Brücke zwischen der solidarischen Aussenpolitik und der unsolidarischen Aussenwirtschaft. Sie wendet Art. 54 der Bundesverfassung auch auf die im Ausland tätigen Unternehmen mit Sitz in der Schweiz an. Sie formuliert den schlichten Grundsatz, dass das, was die Firmen in der Schweiz tun müssen, nämlich die Menschenrechte achten und die Umwelt schützen, auch für ihre Tochtergesellschaften gilt – wo immer sie wirtschaften.
Hinter der KOVI steht die schweizerische Zivilgesellschaft, stehen nicht zuletzt jene Hilfswerke, die in ihren afrikanischen oder asiatischen Einsatzgebieten tagtäglich erleben müssen, wie rücksichtslos gegenüber Menschen und Natur die multinationalen Konzerne oft vorgehen. Sie wollen sich nicht länger abfinden mit einer doppelzüngigen Politik, die den Multis jeden gewünschten Auslauf gewährt und die Hilfswerke damit beauftragt, die angerichteten Schäden zu beheben.
Kernpunkt der KOVI ist die Sorgfaltsprüfung: „Die Unternehmen sind (…) verpflichtet, die tatsächlichen und potentiellen Auswirkungen auf die international anerkannten Menschenrechte und die Umwelt zu ermitteln, geeignete Massnahmen zur Verhütung von Verletzungen international anerkannter Menschenrechte und internationaler Umweltstandards zu ergreifen, bestehende Verletzungen zu beenden und Rechenschaft über ergriffene Massnahmen abzulegen (…).“ Diese Sorgfaltsprüfung wird verknüpft mit einer Haftungspflicht: Wer soziale oder ökologische Schäden verursacht hat, muss sie auch wieder auf eigene Kosten beheben.
Kommt ein Gegenvorschlag mit Substanz?
Es ist absehbar, dass die Wirtschaft diese Initiative grosskalibrig bekämpfen wird, wie immer getreulich unterstützt von der bürgerlichen Mehrheit des Parlaments. Sie befinden sich allerdings in einer ziemlich unkomfortablen Ausgangsposition, müssen sie doch dem Stimmvolk erklären, warum sie gegen den Schutz der Menschenrechte und der Natur sind.
Die Initiantinnen und Initianten wiederum werden genau diesen Schutz ins Zentrum rücken. Sie werden mit der schweizerischen Bundesverfassung Art. 54 argumentieren können, die strategisch exakt das vorgibt, was die Initiative politisch praktikabel machen will. Hilfreich wird auch der Hinweis darauf sein, dass sich die Schweiz mit der Annahme der Initiative beileibe nicht in die politische Einsamkeit begeben würde, ganz im Gegenteil. Es gibt eine Reihe von Ländern, die ihr da vorausgegangen sind: Frankreich, Grossbritannien, Holland, Deutschland, Kanada und andere Länder mehr haben gleiche oder ähnliche gesetzliche Regelungen bereits in Kraft gesetzt oder stehen unmittelbar davor. Die Schweiz wäre also in guter Gesellschaft, und da gehört sie auch hin.
Die parlamentarische Beratung der KOVI hat begonnen. Die vorberatende Kommission des Nationalrates scheint auf einen Gegenvorschlag hinzuarbeiten. Ob es dazu kommt und ob der Gegenvorschlag am Ende der Beratungen durch die eidgenössischen Räte so viel Substanz haben wird, dass die Initiative zurückgezogen werden kann, wird sich weisen.