Es gibt einen längst vergessenen, aber lustigen Film mit Peter Sellers aus dem Jahre 1959: «Die Maus, die brüllte.» Das fiktive Herzogtum Fenwick, irgendwo in den Alpen gelegen, lebt recht gut von der Herstellung und dem Export von Wein. Als dieser von einer Ami-Firma imitiert wird, droht dem Land der Bankrott. Also beschliesst es, den USA den Krieg zu erklären.
Eigentlich möchte Fenwick den Krieg verlieren und sich mit der anschliessenden Aufbauhilfe aus den USA sanieren. Aber wie es in Komödien so üblich ist, kommt Fenwick in Besitz einer Superbombe, die USA kapitulieren, die Produktion des Weinimitats wird eingestellt, und alle leben, wenn sie nicht gestorben sind, glücklich und zufrieden bis heute.
David gegen Goliath
Schon im alten Testament wird der Topos des ungleichen Kampfs eines Kleinen gegen einen riesigen Krieger erwähnt, in dem List und eine Steinschleuder einen vermeintlich aussichtslosen Kampf mit dem Sieg des David enden lassen.
Auch die Schweiz befindet sich aktuell in einer ähnlichen Situation, nur handelt es sich um einen Wirtschaftskrieg. Sie hat es dabei sogar mit zwei mächtigen Gegnern zu tun. Mit den USA liegt sie im Streit um die Verwaltung grosser Vermögen. Mit der EU wird um wirtschaftliche Vorteile gekämpft.
Dabei hat die Schweiz, neben ihrer kleinen Grösse, einen gravierenden Makel: Sie ist Klassenbester. Sie spielt in der obersten Liga bei Vermögensverwaltung mit, und sie ist, verglichen mit dem Eurotrümmerland, wirtschaftlich blendend aufgestellt. Beides löst, wie immer die Ursache von Auseinandersetzungen, Neid aus.
Hinter dem Wortgeklingel
Nun kann kein Land zugeben, zumindest nicht vor direkten militärischen Auseinandersetzungen, dass es sich einfach ein Scheibchen, besser noch ein grosses Stück vom Wohlstand eines anderen Staates abschneiden möchte. Also wird eine Nebelwand aus Worten errichtet. «Steuergerechtigkeit», «europäisches Haus», «Rosinenpickerei», «Geben und Nehmen», «Solidarität», «Grundfreiheiten», «kein Abseitsstehen», «Fremdenfeindlichkeit», «Rechtspopulismus», «Rassismus» lauten einige von ihnen.
Militanter sind schon verbale Kampfbegriffe, die von eigenen Defiziten ablenken sollen. Die direkte Demokratie in der Schweiz sei nichts anderes als aus Abschottung entstehende «Verblödung», oder wie das der stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende und Parlamentarier Ralf Stegner sonst noch auf den Punkt bringt: «Die spinnen, die Schweizer.» Auf die Anfrage, ob er sich allenfalls für diese Ungeheuerlichkeiten eines sogenannten Volksvertreters entschuldigen möchte, «bedauert» er mögliche Missverständnisse, besteht aber darauf, «von der Meinungsfreiheit geschützt, demokratische Entscheidungen auch kritisieren zu dürfen». Also er bleibt dabei, die Schweizer verblöden.
Und obendrauf schwimmt pure Heuchelei, wenn die USA, die die grössten Steueroasen und Geldwaschmaschinen der Welt betreiben, der Schweiz vorwerfen, sie leiste Beihilfe dazu, dem verlumpenden US-Staat Steuersubstrat zu entziehen.
Gehampel und Gehabe
Nun hat sich die Schweiz, zumindest gegenüber der EU, zum grossen Frust ihrer «classe politique» und ihrer eigenen Wirtschaftsverbände, tatsächlich in eine Maus verwandelt, die brüllt. Sie beansprucht für sich das Recht, ihre territoriale Souveränität in Anspruch zu nehmen und die Zuwanderung zu regulieren. Was ihr als Nicht-EU-Mitglied unbenommen ist und überhaupt nichts mit dem neoliberalen und fatalen «Grundrecht» der sogenannten Personenfreizügigkeit innerhalb dieses scheiternden Wirtschaftsraums zu tun hat. Und was die «guten Freunde» USA, Kanada oder Australien schon seit immer tun, ohne deswegen angemeckert zu werden.
Wie es sich auch in Wirtschaftskriegen gehört, stampft nun der Riese kräftig auf den Boden, trommelt sich auf die Brust und will mit Gehampel und Gehabe den Zwerg einschüchtern, auf dass der seine Kleinheit und die vermeintliche Aussichtslosigkeit eines Kampfes erkenne. Statt anzutreten vor seinem eigenen Mut erschrickt und ein «Äxgüsi» piepst.
Erschrickt die Maus?
Man muss hinter dem Pulverdampf die Lächerlichkeit der ersten in den Raum gestellten EU-Massnahmen erkennen. Ein Stromabkommen soll nicht weiterverhandelt werden, der Zugriff auf EU-Forschungsgelder werde gekappt, schlimmer noch: Der Zugang zum EU-Binnenmarkt sei gefährdet, alle sieben bilateralen Abkommen könnten gekündigt werden.
Gemach. Die EU profitiert mehr von der Schweiz als umgekehrt, nicht nur wegen der «Kohäsions-Milliarde», nicht nur, weil die Schweiz alleine in Deutschland rund 1,5 Millionen Arbeitnehmer in Lohn und Brot hält, dazu eine weitere knappe halbe Million Deutscher in der Schweiz. Die kleine Maus ist der drittgrösste Handelspartner der EU und importiert viel mehr aus diesem Wirtschaftsraum, als sie in ihn exportiert.
Also alles beste Voraussetzungen, um selbstbewusst und furchtlos in Verhandlungen mit dem verwundeten und geschwächten Riesen EU zu treten. Fatal wäre nur, wenn die Maus Schweiz, nachdem sie ein Mal gebrüllt hat, wieder zu fiepsen begönne.