Alle sollen bei diesem Plan mitmachen: die Verbündeten in der Region ebenso wie Europa. Entweder gelingt die Zähmung der Ungebärdigen in Teheran oder die Islamische Republik wird in ihrer jetzigen Form verschwinden, scheint das Konzept der US-Hardliner zu sein. Aber auch die Radikalen in Teheran peilen eine Umkehr an.
Garantie: Das ist das Zauberwort unserer Zeit. Ein Wort, das wir alle – Normalbürger ebenso wie mächtige Politiker – neu buchstabieren und richtig verstehen müssen. Verstehen müssen es vor allem die Mächtigen in Europa, die demnächst intensiv mit dem Iran reden wollen.
Die Quadratur des Kreises
Denn sie haben eine historische Mission. Manche nennen es eine Mission Impossible. Sie wollen das Atomabkommen ohne Trump retten, die Herrschenden in Teheran zufriedenstellen und zugleich ihre Macht eindämmen. Ob und wie dieses Kunstwerk der Diplomatie gelingen soll, wissen wir nicht. Am Dienstag dieser Woche gibt es dazu einen Probelauf, wenn in Brüssel der deutsche, der britische und der französische Aussenminister mit ihrem iranischen Kollegen zusammenkommen. Es ist ungewiss, was Europa dem Javad Zarif anbieten kann und wird, um den Scherbenhaufen halbwegs zusammenzukehren, den Trump hinterlassen hat. Aber man kann mit ziemlicher Sicherheit sagen, was die Islamische Republik von Europa will.
Lest Khamenei
Wenn sie aus ihrer Sitzung mit ihrem iranischen Kollegen einigermassen erfolgreich herauskommen wollen, müssen die drei europäischen Aussenminister zunächst verstehen, was das Wort „Garantie“ in dem folgenden Satz bedeutet. Er stammt aus einer wichtigen Rede Ayatollah Ali Khameneis, dem mächtigsten Mann des Iran. Vier Mal wiederholt er dieses Wort in einer entscheidenden Passage der Ansprache, die er am vergangenen Mittwoch hielt, also wenige Stunden, nachdem sich zwei Präsidenten – Donald Trump in Washington und Hassan Rouhani in Teheran – zum Atomabkommen geäussert hatten. Nach einer Schimpfkanonade auf Trump und Amerika wandte sich der Revolutionsführer dem eigenen, machtlosen Präsidenten zu: „Nun erzählt man uns, man wolle jetzt das Abkommen mit diesen drei europäischen Ländern fortsetzen. Auch diesen drei Ländern vertraue ich nicht. Auch ihr solltet ihnen nicht vertrauen, sage ich euch. Wenn ihr trotzdem mit ihnen einen Vertrag schliessen wollt, verlangt und bekommt Garantie, reelle Garantie, praktische Garantie. Sonst machen sie morgen das, was heute Amerika tut. Manchmal lachen sie euch an und während sie lachen, stecken sie ihren Dolch in eure Brust. Das ist eben die Diplomatie. Erst kommen sie mit Freundlichkeiten, mit Komplimenten und Schmeicheleien und sagen, ach ja, Sie sind gute Herren, Sie haben Haltung und wir wissen, dass Sie sich an Abkommen halten werden. Aber ich sage euch, wenn ihr eine Garantie erhaltet, der man Vertrauen kann – was ich für unwahrscheinlich halte – dann könnt ihr weiter machen. Aber so wie bis jetzt kann es nicht weiter gehen.“
Damit schloss der Ayatollah seine Rede.
„Ich werde von Europa eine handfeste Garantie verlangen“, versprach dann der iranische Aussenminister Javad Zarif am Freitag vor dem Abflug nach China und Moskau. Am Dienstag wird er in Brüssel landen.
Obamas eiserne Hand
Aber welche Garantie möchte Ayatollah Khamenei, die ihm Trump nicht geben kann?
Garantie war und ist weiterhin das Schlüsselwort, das Programm in der Teheraner Aussenpolitik gegenüber dem Westen. Das Gegenteil von Garantie ist Regime Change. So einfach ist die Gleichung, so klar ist die Brille, durch die Ayatollah Khamenei die Weltdiplomatie sieht. Und er sieht richtig. Wenn Trump nicht geben kann, dann soll Europa geben.
Die USA haben in den vergangenen vierzig Jahren dem Gottesstaat diese Garantie nie geben wollen und können. Sie haben die Existenz der Islamischen Republik nie akzeptiert, höchstens hingenommen. Barack Obama war nur eine sehr kurze und komplizierte Episode. Doch selbst Obama hatte trotz des Atomabkommens und der freundlichen Worte an harten, den so genannten Sekundärsanktionen gegen den Iran festgehalten und sie sogar noch weiter verschärft. „Eine Hand aus Eisen, die in einem samtenen Handschuh steckt“, so beschrieb einst Khamenei Obamas Politik und warnte die Gemässigten im Lande, sich nicht von ihm täuschen zu lassen.
Trump war Hoffnung
Die Ironie der Geschichte: In den Tagen des amerikanischen Wahlkampfs attackierten der Ayatollah und die ihm nahestehenden Medien ausschliesslich Hillary Clinton. Sie hofften und glaubten, mit einem Geschäftsmann wie Trump, der nicht vorhat, die Welt mit demokratischen Ideen zu beglücken, besser ins Geschäft kommen zu können als mit Clinton, die von Frauenrechten sprach und sich im Nahen Osten mehr einmischen wollte.
Doch der Ayatollah hat sich verkalkuliert. Nun ist jemand ins Weisse Haus gekommen, der offen, entschieden und aggressiv eine Politik des Regime Change betreibt, obwohl er dieses Wort nicht ausspricht.
Engmaschige, weltumspannende Sanktionen
Die wichtigen Männer in seinem Team sprechen aber klar aus, wohin sie gehen wollen. Trumps Sicherheitsberater John Bolton ebenso wie sein Aussenminister Mike Pompeo haben in ihrer politischen Karriere nie Zweifel daran gelassen, dass die Islamische Republik, so wie sie jetzt existiert und in der Region agiert, nicht weiter bestehen darf. Entweder verändert sie sich vollkommen oder sie wird gestürzt. Und Trump hat sich dieser Auffassung völlig angeschlossen.
Eine Maschinerie des Regime Change läuft bereits an. Der Austritt aus dem Atomabkommen ist nur der erste Schritt. Ihm folgen nach Ankündigung der USA-Administration in den nächsten Monaten harte und beispiellose wirtschaftliche Sanktionen, die weltweit wirken sollen. Der Iran soll nicht mit Dollars handeln dürfen. Kein Finanzinstitut der Welt, das irgendwie mit Amerika zu tun hat, darf mit ihm Geschäfte betreiben. Grosskonzerne ebenso wie Kleinbetriebe werden vor die Wahl gestellt: entweder der Iran oder die USA. Diese Sanktionen sind so engmaschig, dass ihr Netz für europäische Politik und Wirtschaft kaum Spielraum lässt.
„Wir haben juristisch keine Möglichkeit, deutsche Unternehmen gegen Entscheidungen der amerikanischen Regierung zu schützen oder sie davon auszunehmen“, sagte der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier vergangene Woche in mehreren Interviews. Aussenminister Heiko Maas sieht ebenfalls kaum Spielraum für deutsche Firmen, weiter im Iran Geschäfte zu machen und zugleich von den US-Sanktionen ausgenommen zu bleiben. „Eine einfache Lösung, Unternehmen von allen Risiken amerikanischer Sanktionen abzuschirmen, sehe ich nicht“, sagte Maas der Bild am Sonntag.
Der Dollar steigt und steigt
Selbst für sein Erdöl wird der Iran kein Bares erhalten, denn es gibt keine richtigen Bankverbindungen und keine Überweisungsmöglichkeiten. Aussenminister Zarif beklagte schon vergangenen Herbst, dass der Iran in keinem europäischen Land ein Bankkonto eröffnen darf. Selbst der Verkauf des Erdöls gegen Güter wird schwierig und teuer werden, denn keine Versicherung der Welt darf Tanker mit iranischem Öl versichern.
Es kommen also sehr harte Zeiten auf die Islamische Republik zu. Wie hart sie sein können, kann man dieser Tage in der Teheraner Ferdowsi-Strasse beobachten. Hier, unweit der deutschen Botschaft und der iranischen Zentralbank, sind legale und illegale Devisenhändler tätig. Nun patrouillieren seit zwei Wochen Sicherheitskräfte vor den geschlossenen Devisenläden. Der Dollar auf dem Markt ist knapp. Die Regierung hatte vor zwei Wochen einen Einheitspreis von 4’300 Tuman für einen Dollar festgesetzt, doch der reelle Wert steigt fast täglich, momentan pendelt er bei achttausend Tuman. Inoffizieller Handel mit Devisen ist verboten, deshalb patrouillieren die Sicherheitskräfte in den Gassen rund um die Ferdowsi-Strasse. Jeder Auslandsreisende bekommt nur tausend Dollar, die ihm erst kurz vor dem Boarding ausgehändigt werden. Wer mit mehr als 10’000 Dollar erwischt wird, muss mit harten Strafen rechnen.
Der Fahrplan zum Regime Change
Der Zusammenbruch der Wirtschaft, die steigende Inflation und der gesellschaftliche Zerfall sind offenbar die ersten Schritte zu einem Regime Change. In Washington zirkuliert unter Journalisten ein dreiseitiges Papier, das vom Präsidentenberater im Weissen Haus stammen soll. Darin wird beschrieben, was parallel zu den Sanktionen und dem Wirtschaftschaos gemacht werden muss: Unterstützung der separatistischen Bestrebungen unter den nationalen Minderheiten, Verstärkung der persischsprachigen Medien im Ausland, Durchkreuzen der Internetzensur und Zurückdrängen der Revolutionsgarden aus den Nachbarstaaten des Iran, vor allem Syrien. Diesen Plan hat die Security Studies Group (SSG) erarbeitet und in der vergangenen Woche dem Weissen Haus vorgelegt. Das Papier zirkuliert auch auf iranischen und arabischen Webseiten.
Nordkorea als Schablone
Die Rolle, die der Iran in den Kriegen und Krisen der Region spielt, sei nicht akzeptabel, das müsse auch den Europäern klar gemacht werden, schreiben die Autoren der SSG. Entweder beugt sich der Ayatollah, kommt wie Nordkorea an den Verhandlungstisch – oder er muss mit einem Regime Change rechnen, so die Marschroute. Und dafür sollen alle Staaten eingespannt werden und jeder seinen Beitrag leisten.
Und am vergangenen Samstag sagte der neue US-Botschafter in Berlin, Richar Grenell: „Wir erwarten von unseren Freunden und Verbündeten, dass sie uns dabei helfen, den Iran zurück an den Verhandlungstisch zu bringen. Die Amerikaner sind der festen Überzeugung: Sanktionen funktionieren, wenn die internationale Gemeinschaft vereint ist. Das hat sich jetzt auch in Nordkorea gezeigt.“
Die Verbündeten der USA rund um die Welt sollen in den US-Plan einsteigen. Einen Tag zuvor hatte Israels Verteidigungsminister Lieberman Syrien aufgerufen, iranische Kämpfer aus dem Land zu werfen. Wörtlich sagte er zu Baschar Al Assad: „Werde die Iraner los, werde Ghassem Suleimani los und die Quds-Streitkräfte.“ Die Präsenz der Iraner im Land sorge nur für Probleme, das werde man nicht akzeptieren, so Lieberman.
Ein universeller Plan zur Zähmung der Ungebärdigen in Teheran wird derzeit Schritt für Schritt in die Tat umgesetzt. Die kommenden Monate werden deshalb für die Islamische Republik eine schicksalhafte Zeit werden.
Europa in der Zwickmühle
Und was können die europäischen Aussenminister am Dienstag in Brüssel Javad Zarif, ihrem iranischen Kollegen, anbieten? Wenn sie aufrichtig wären, müssten sie ihm ihre gebundenen Hände zeigen, ihm sagen, dass sie wirtschaftlich kaum etwas tun können, jedenfalls nicht so viel, dass der programmierte wirtschaftliche Niedergang des Iran verhindert wird. Der Druck aus den USA ist überdimensional. Bei anderen Themen wie dem Raketenprogramm, Syrien, Israel, Jemen werden die europäischen Aussenminister ihrem iranischen Kollegen wahrscheinlich zurufen: Wir sind alle Trump! Auch wir wollen, dass der Iran sich in der Region anders benimmt und das Raketenprogramm zurückfährt.
Das ist jedenfalls die europäische Position bis heute.
Die Hardliner in Teheran wissen längst, dass Zarif mit leeren Händen aus Europa zurückkehren wird. Die Zeitung Javan, das Organ der Revolutionsgarden, bezeichnete seine Reise nach Brüssel als einen Trip in die Träumerei. Ali Mohammad Djafari, der oberste Kommandant der Revolutionsgarden, sagte am Sonntag, alle, die auf Europa setzten, führten das Land in eine Sackgasse.
Lernt Russisch
Auf dem Portal des iranischen Aussenministeriums prangt die Parole „Weder Westen noch Osten, die Islamische Republik“. Der Slogan stammt aus den ersten Tagen der Revolution vor vierzig Jahren, als der Westen für den Kapitalismus, der Osten für den Kommunismus stand. Doch diese Parole ist längst überholt. Den Kommunismus gibt es bekanntlich nicht mehr, den Osten von heute verkörpern Putin und der chinesische Turbokapitalismus.
Und die Radikalen haben sich längst entschieden: für die völlige Hinwendung zum Osten. Der Erziehungsminister hat sogar angeregt, an den Schulen sollte Russisch die Hauptfremdsprache sein und nicht Englisch.
Auch Putin ist nur bedingt vertrauenswürdig
Doch ob Ayatollah Khamenei Putin voll vertrauen kann, ist fraglich. Die Vorgeschichte der jüngsten Angriffe Israels auf iranische Stützpunkte ist aufschlussreich. Am Dienstag vergangener Woche reiste Benjamin Netanjahu nach Moskau, nahm als einziger ausländischer Staatspräsident an den Feierlichkeiten zum Sieg der Roten Armee über Hitler teil, sprach mit dem russischen Präsidenten und sagte danach, der Iran sei nach Nazideutschland der zweite Staat, der die völlige Vernichtung aller Juden zu seinem Programm erklärt habe. Und fügte hinzu, seine Visite in Moskau würde für die nächsten Tage und Wochen entscheidend sein. Tags darauf startete die israelische Armee ihre bislang grösste Militäroffensive auf iranische Einheiten in Syrien und beschoss nach Angaben des israelischen Verteidigungsministers nahezu die gesamte iranische Infrastruktur in Syrien. Russland kontrolliert Syriens Luftraum – ohne grünes Licht aus Moskau wäre ein so massiver und stundenlanger Luftangriff kaum denkbar gewesen.
Mit freundlicher Genehmigung Iran Journal