Heute ziert der Nidwaldner Doppelschlüssel das Wandbild am Bundesbriefmuseum Schwyz. Vorausgegangen ist ein veritabler Streit um die Deutung der Geschichte, der Kampf ums «richtige» Wappen.
Die Schweiz – ein Maximum an Komplexität auf einem Minimum an Raum. So lässt sich unser Land vielleicht charakterisieren. Die «verfreundeten» Nachbarn Ob dem Walde und Nid dem Walde verkörpern dieses Faktum. Seit dem Eintritt in die Geschichte bestand Unterwalden aus zwei Hälften und bildete doch ein Ganzes. Doch von diesem Ganzen wusste man nicht genau, ob es dieses Ganze tatsächlich einmal gegeben hat.
Zwei Ganze erst seit 1999
Die beiden Teile sind früher dagewesen als das Ganze. Diese zwei Hälften waren sie allerdings erst seit der napoleonischen Mediation von 1803 und dann seit dem Bundesvertrag von 1815. Vorher hat Obwalden staatsrechtlich als zwei Drittel und Nidwalden nur als ein Drittel gegolten. Beide gehörten sie also zusammen und waren doch getrennt, beide waren sich nahe und doch anders. Ein Kuriosum, dem erst die neue Bundesverfassung von 1999 ein Ende bereitete: Sie schaffte den Status der Halbkantone ab.
Der Übername als Folge des «Franzosenüberfalls»
Das ungleiche staatsrechtliche Verhältnis, dieses institutionelle Ungleichgewicht, führte zu Animositäten und Rivalitäten. Leidenschaftlich ausgetragene Dispute waren die Folge. Unzählige Male versuchte die Tagsatzung zu schlichten. Vergeblich. Das Verhältnis der beiden Nachbarkantone blieb angespannt. Mit dazu beigetragen hat auch der sogenannte «Franzosenüberfall» von 1798: Lange hat man es in Stans nicht vergessen, dass man im Kampf gegen die französische Okkupation zurzeit der Helvetik alleingelassen worden ist – in diesem zwar heroischen, aber letztlich aufreibend aussichtslosen Widerstand gegen die überlegene fremde Macht.
Dass die Nidwaldner ihren Nachbarn «Tschifeler» sagen, hängt mit diesem Geschehen zusammen. Sie fühlten sich verraten, weil die fremden Besatzer von Obwalden her ins Land eingedrungen waren. Bald machte das Gerücht die Runde, die Obwaldner hätten den Franzosen den Weg gezeigt und aus den zerstörten Häusern mit ihren Tragkörben, den «Tschiferen», Beute nach Hause getragen. Deshalb der Übername «Tschifeler». Doch für dieses Gerücht gibt es keinen historischen Beleg.
Der Juniorpartner in der Schweizerischen Eigenossenschaft
In der urschweizerischen Eidgenossenschaft spielt Unterwalden das Aschenbrödel. Die beiden Talschaften der Engelbergeraa und der Sarneraa waren so etwas wie der nachgeordnete Juniorpartner von Uri und Schwyz. Im Bundesbrief von 1291 kommt allerdings nur Nidwalden vor. Die Rede ist von der «Gemeinschaft der Leute der unteren Talschaft», also von Nidwalden.
Das Siegel dagegen erwähnt beide Täler. Der eingravierte Text spricht wieder von der «Gemeinschaft der Leute von Stans». Er wurde später ergänzt mit dem Zusatz «et vallis sup[er]ioris» [«und des oberen Tales»]. Warum es diesen Kontrast zwischen Pergamentstext und Siegel gab, ist bis heute nicht geklärt. In der Geschichtswissenschaft gilt der Text und damit das Bündnis zwischen Uri, Schwyz und Nidwalden. Obwalden kam später dazu.
Streit um das Banner am Bundesbriefarchiv Schwyz
Das führte 1936 zu einer harschen Intervention der Nidwaldner Regierung in Schwyz. Heinrich Danioths Fresko an der Frontfassade des neuen Bundesbriefarchivs zeige einen Unterwaldner Bannerträger mit der Obwaldner Flagge: ein einfacher Schlüssel auf rotweissem Feld.[i] Das sei unrichtig und ein «Verstoss gegen die historische Wahrheit», beschwerte sich der Regierungsrat und verlangte den Doppelschlüssel im roten Feld. Es gehe um «das Ansehen unseres Kantons» als Gründer der Eidgenossenschaft. Im Bundesbrief von 1291 habe nur Nidwalden, nicht aber Obwalden mitgeschworen und so die Gründungsurkunde gesiegelt. Nun aber trage der Repräsentant Unterwaldens eine Obwaldner Fahne.
Nidwalden verlangte darum die sofortige Korrektur dieses peinlichen Fauxpas. Das Wandbild sei an der entsprechenden Stelle zu übertünchen. Gemalt werden müsse eine neue Fahne. Ein langes Hin und Her war die Folge. Schwyz vertröstete Nidwalden. Danioths Wandbild sei nicht so sehr ein historisches Abbild, sondern eine künstlerische Kreation. Das lasse eine gewisse Freiheit zu. So wurde argumentiert.
Keine Zeit für die «brüderlichen Jalousien»
Nidwalden beharrte auf seinem Postulat und liess sich nicht hinhalten. Im Frühling 1941 – mitten im Zweiten Weltkrieg – forderte der Nidwaldner Regierungsrat die Schwyzer Exekutive erneut und ultimativ zum Handeln auf – und zwar spätestens bis zur «Feier des 650. Gedenktages der Gründung der Schweizerischen Eidgenossenschaft». Allen, die das Bild betrachteten, müsse auf den ersten Blick klar sein, dass es sich um das Nidwaldner Wappen handle und dass Nidwalden 1291 den Bund geschworen habe.
Selbst Bundesrat Philipp Etter wurde bemüht. Doch der Magistrat aus Bern liess die Kontrahenten wissen, dass er in diesen düstern Kriegstagen keine Zeit für die «brüderlichen Jalousien» zwischen Obwalden und Nidwalden aufbringen könne. Nach langem Zögern gab Schwyz nach und korrigierte auf Danioths «Fundamentum» die Fahne. Nidwalden bezahlte 590 Franken, und so prangt bis heute das «richtige» Wappen am Bundesbriefarchiv, nämlich der weisse Nidwaldner Doppelschlüssel im roten Feld.
[i] Die folgenden Gedanken beruhen auf einer lesenswerten Publikation von Annina Michel. Sie ist Leiterin des Bundesbriefmuseums, bis 1992 Bundesbriefarchiv, in Schwyz. Eingeweiht wurde das Museum 1936, in der Zeit der Geistigen Landesverteidigung, und primär für ein einziges Objekt erbaut: den Bundesbrief von 1291.
Annina Michael (2015): Im Interesse des Ansehens unseres Kantons! Im Zeichen der geistigen Landesverteidigung: Streit um das Unterwaldner Wappen am Bundesbriefarchiv in Schwyz. In: Mitteilungen des Historischen Vereins des Kantons Schwyz 107, S. 211-228.