Das globale Wirtschaftssystem ist auf Wachstum angelegt. Diese Lehrmeinung geht einher mit weltweit steigender Staats- und Privatverschuldung. Solche Schuldenorgien fördern die Entwicklung von Blasen: Immobilienbau, staatliche und private Haushalte als Beispiele, einiges lebt über den Verhältnissen. Die von den Zentralbanken forcierte Tiefzins- und Gelddruckpolitik wirkt dabei als Droge. Ewiges Wachstum, Schuldenberge, Blasensymptome – alles nicht nachhaltig angelegt – wann platzen die Illusionen?
Was, wenn Wachstum ausbleibt?
Seit 1972, als der Club of Rome seinen Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ veröffentlichte, sind bald 50 Jahre vergangen. Die Diskussion um nachhaltige Wachstumsziele hält an. Unbestritten ist die Tatsache, dass Wachstum ursprünglich zu steigendem Wohlstand führte und gesellschaftsstabilisierend wirkte. Die hier gewählte Vergangenheitsform verweist darauf, dass diese Zusammenhänge in der Gegenwart etwas an Relevanz verloren haben.
Ein Blick zurück in die neunziger Jahre zeigt, dass sich die Gewitterwolken damals in den USA – Anführer der Welt- und Schuldenwirtschaft – aufzutürmen begannen. Die politische und geldwirtschaftliche Zielsetzung, Wachstum anzukurbeln und sozusagen zu erzwingen, führte dazu, dass auch jenen Amerikanern suggeriert wurde, Häuser zu erwerben, die es sich überhaupt nicht leisten konnten. Mit diesem Ziel vor Augen senkte die amerikanische Notenbank die Zinsen laufend und fast bis auf null. Für das Duo George W. Bush, damaliger republikanischer Präsident und Alan Greenspan, damaliger Präsident der Notenbank (Federal Reserve), beide nach 9/11 (2001) zusätzlich alarmiert ob der Ängste ihrer Mitbürger und daraus resultierender, sinkender Konsumentenausgaben und Abschwächung der Wirtschaft, hiess das: Wirtschaftswachstum um jeden Preis muss her.
Erzwingen von Wachstum
Diese Niedrigzinsen hatten zur Folge, dass Verschulden richtig Spass machte. Schulden aufzutürmen wurde für Private und den amerikanischen Staat courant normal. Dass sich Verschulden einst geheissen hatte, dass dieses geliehene Geld früher oder später zurückbezahlt werden sollte, geriet in Vergessenheit.
Nicht auszublenden ist, dass – wie alle amerikanischen „Errungenschaften“ - auch in vielen europäischen Ländern das Erzwingen von Wachstum durch Verschuldung seither drastisch zugenommen hat. In Irland, Spanien, Portugal folgte die Ernüchterung schon vor Jahren. Die griechische Tragödie ist auch heute noch nicht ausgestanden.
Einmal mehr stellt sich die Frage, ob die ökonomische und politische Forderung nach Wachstum als Lösungsgarant sämtlicher Probleme nicht ein zu einfach gedachtes Modell ist. Regelmässig berichten die westlichen Staaten über den aktuellen Stand ihres Wirtschaftswachstums (Zu- oder Abnahme der Wirtschaftsleistung), meistens ausgedrückt durch die prozentuale Veränderung ihres Bruttoinlandprodukts (BIP).
Pro-Forma-Wachstum
Die dieser (Wachstums-) Theorie zugrunde liegende Volkswirtschaftslehre gilt noch immer als Gradmesser für den Zustand der Staaten und Beeinflussungsfaktor ihrer Aktienbörsen. Gleichzeitig über den Stand der Staatsverschuldung zu rapportieren interessiert weit weniger.
Matthias Binswanger, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz warnt seit Jahren davor, die BIP-Wachstumsrate als entscheidende Masszahl für negative oder positive Auswirkungen per se zu nehmen. Er bezeichnet dieses Pro-forma-Wachstum als unattraktiv und für die Lebensqualität wenig relevant.
Die Frage, ob eigentlich Volkswirtschaften immer weiter wachsen können, wird kontrovers beantwortet. Ja, meinen Ökonomen wie Gerhard Schwarz, wenn Wirtschaftswachstum vor allem die Folge von technologischem Fortschritt ist. Nein, prophezeit Peter Sloterdijk, der streitbare Philosoph. „Der Begriff des Wachstums wird künftig unbrauchbar werden“, behauptet er.
Globale Schuldenberglandschaften
Die weltweiten Gesamtschulden betragen heute 200 Billionen Dollar, was einer Zahl mit 14 Nullen oder 286 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung entspricht. (219 Milliarden Schulden hat der Schweizer Staat). Sorgte einst der Nachkriegsboom für eine eindrückliche Entschuldungsphase – in den Industrienationen sank die Verschuldungsquote von über 70 Prozent der Wirtschaftsleistung auf 20 Prozent - stellen wir heute ernüchtert fest, dass die Party vorüber ist. Die Wachstumsraten der Wirtschaftsleistung schmelzen wie Schnee an der Sonne, vereinzelt sind sie bereits negativ. Das Leben auf Pump für Staaten und Private mutiert vor dieser veränderten Grosswettkulisse zum Klumpenrisiko.
Im Moment können sich Staaten und Private noch praktisch zum Nulltarif verschulden. Nun gibt es seit jeher - vor allem in den USA - jene Ökonomen, für die das Anwachsen der Staatsschulden kein Problem ist, im Gegenteil. Die Staatsverschuldung der USA ist innert zehn Jahren von 8,039 (2004) auf 18,250 (2014) Billionen Dollar angewachsen, die wohl gar nie zurückbezahlt werden können. Ob das kein Problem ist? Ist diese Frage naiv, unerhört oder gar konspirativ? Was wissen diese Finanzspezialisten über die Bruchstellen in Politik und Gesellschaft? Irgendwann werden die Zinsen wieder steigen – was dann?
Die Frage stellt sich nicht nur in den USA. Am Beispiel des schweizerischen Immobilienmarktes lassen sich beunruhigende Szenarien erahnen.
Drohende Blasen am schweizerischen Immobilienmarkt
Der vierteljährlich von der UBS erhobene Immobilienblasenindex weist seit 14 Jahren steigende Tendenz auf, d.h. die Risiken werden grösser. Die Experten sehen die neuerliche Zunahme vor allem im zunehmenden Hypothekarvolumen der privaten Haushalte. Der starke Anstieg der Immobilien-Verkaufspreise, gestützt durch rekordtiefe Hypothekarzinsen (ca. 1% für Libor-Hypotheken), zeigt alle Anzeichen einer Blase.
Zur Erinnerung: Ende der Achtzigerjahre kam es letztmals zum grossen Blasenplatzen der Immobilienpreise in der Schweiz. Die von den Banken zu tragenden Verluste beliefen sich damals auf 40 Milliarden Franken. Sowohl Unternehmen, wie private Haushalte waren zu hohe Zinsrisiken eingegangen.
Ironischerweise ist es die Schweizerische Nationalbank (SNB) - sie hat den letzten Jahren schon wiederholt vor einer drohenden Blase gewarnt – die mit ihrer Tiefzinspolitik und den Negativzinsen diese Entwicklung aktuell fördert. Auf der Suche nach Renditen sind es jetzt auch die professionellen „Buy to Let-Investoren“, die im Umfeld eines eigentlichen Anlagenotstands immer höhere Risiken eingehen. Sie kaufen mit billigem Fremdkapital Renditeliegenschaften auf und treiben so die Preise immer weiter nach oben.
Geld drucken, mehr Geld drucken
Geld drucken und Zinsen senken, beide Massnahmen lösen die Probleme nicht, sondern schieben diese vor sich her und vergrössern sie dadurch. Noch herrscht bei den Zentralbanken offensichtlich die Meinung vor, die Systemstabilität sei so stark gefährdet, dass es sich rechtfertige, die früher hochgehaltene, traditionelle Theorie der stabilitätsorientierten Politik über Bord zu werfen und die Druckmaschinen laufen zu lassen. In den USA und Japan vor allem, in Europa und der Schweiz noch vergleichsweise zögerlich. Irgendwann wird sich aber die Inflationsspirale zu drehen beginnen. Die Zinserhöhungen werden kommen. Auch Schuldenschnitte (für Staaten und Private) werden am Tag X unausweichlich werden. Wie die nach wie vor unterkapitalisierten Grossbanken, ja, das Bankensystem ganz generell, dannzumal darauf regieren werden, auch die Experten haben darauf keine Antwort. Vielleicht sollten sie sich darauf vorbereiten, das Undenkbare zu denken. Dass sich dann die Marktteilnehmer rational verhalten würden – schön wär’s!
Unbequeme Fragen
Ökonomen und Politiker predigen: unsere Wirtschaft muss ständig wachsen. Theoretisch mögen sie ja Recht haben. Was aber, wenn die Praxis der Theorie den Boden unter den Füssen wegreisst? Die Wirtschaft schwächelt, ja schrumpft? Wer ist darauf vorbereitet? „Ewigi Liebi“ und „Ewiges Wachstum“ – ewig ist relativ. Manchmal leider auch Illusion.
Weiterführend
„Wachstum muss her!“
August 2013
Auf Sand gebaut
Februar 2014