Ein nahendes Gewitter setzt der Premiere von Giacomo Puccinis «Madame Butterfly» an den Bregenzer Festspielen am Mittwochabend zumindest draussen nach einer knappen Stunde ein jähes Ende. Die Fortsetzung drinnen im Festspielhaus entfaltet dann allerdings auch ihre Qualitäten.
Der Mittwoch ist heiss, auch wenn an den Gestaden des Bodensees dann und wann ein erfrischendes Lüftchen weht. Bregenz ist in Feststimmung, auch die Bundespräsidenten Österreichs und der Schweiz sind angereist, um bei der grossen Premiere auf der Seebühne Giacomo Puccinis «Madame Butterfly» in Augenschein zu nehmen. Etwas nervös geht der Regisseur Andreas Homoki auf und ab; die Sitze sind noch feucht vom nachmittäglichen Gewitter, das sich nun aber zurückzuziehen scheint. In der Ferne blitzt es geradezu malerisch.
Abendstimmung am See also, einzigartig, und so einzigartig präsentiert sich von Anfang an Michael Levines einem zerknüllten Blatt Papier nachempfundene riesige Bühne mit ihren feinen Landschaftssilhouetten, die Luke Halls mit seinen Videoprojektionen in immer wieder andere Farben taucht. Auf ihr versammeln sich helle Gestalten, wie die von Enrique Mazzola dirigierten Wiener Symphoniker die ersten Töne spielen: Tanzende Geister, die Cio-Cio-San begleiten, die von ihrem amerikanischen Bald-Ehemann B. F. Pinkerton liebevoll, aber auch besitzergreifend Butterfly genannt wird. Cio-Cio-San, an dieser Premiere dargestellt von Barno Ismatullaeva, ist Geisha, der schmierige Heiratsvermittler Goro (Taylan Reinhard) hat sie dem Marineoffizier Pinkerton (Edgaras Montvidas) angedreht, und der träumt nun von einer Liebe auf Zeit. Während Cio-Cio-San von der ewigen Liebe träumt – und davon, Amerikanerin zu werden. Sie will dem insbesondere für Frauen denkbar engen, von Traditionen geprägten Korsett ihrer Heimat entfliehen.
Ein Drama zwischen zwei Kulturen
Andreas Homoki setzt diese gegensätzlichen Haltungen in deutliche Bilder, und er widersteht jeder Versuchung, das Drama, das sich da abspielt, und mit Cio-Cio-Sans Selbstmord endet, mit zu viel Spektakel zu erdrücken. Es ist ein Drama zwischen zwei Menschen, das zugleich ein Drama zwischen zwei Kulturen ist, von denen sich die eine, westliche, überlegen fühlt. Cio-Cio-San träumt von ihrer Verschmelzung, in Erwartung ihres Geliebten hüllt sie sich denn auch in jene amerikanische Flagge, die im ersten Akt noch stolz über der Bühne geweht hat. Als eine Art Vermittler könnte der amerikanische Konsul Sharpless (Brian Mulligan) wirken. Er warnt Pinkerton, doch der will in seinem Hochmut nicht hören.
Die Inszenierung ist lebendig, farbenprächtig und geschmackvoll, wozu ganz wesentlich auch Antony McDonalds Kostüme beitragen. Eindringlich breitet das Orchester Puccinis wunderbare, stark fernöstlich geprägte Klänge vor uns aus, bis der Ton nach knapp einer Stunde abrupt abbricht. Leider sei man angesichts einer sich nahenden Regenwand gezwungen, die Vorstellung abzubrechen, teilt ein Sprecher mit. Was bedeutet: Inhaber von Karten der teureren Kategorien müssen sich ins Festspielhaus begeben, wo die Aufführung halbszenisch weitergeht. Die andern haben das Recht auf Rückerstattung.
Die zweite Butterfly, nunmehr drinnen
Der allgemeine Aufbruch nach drinnen und nach draussen dauert eine Weile, dann geht es weiter, während heftiger Donner hin und wieder in den Saal dringt. Die Seebühne ist nur noch als Videoprojektion präsent, davor hat sich auf der Bühne das grosse Orchester postiert, während zuvorderst die Sängerinnen und Sänger auf nunmehr ziemlich beschränktem Platz schauspielerisch und sängerisch ihr Bestes geben. Und das ist viel. Vor allem Barno Ismatullaeva berührt tief mit ihrem Spiel und mit ihrer Stimme, in der immer wieder Hoffnung aufkeimt, der Geliebte möge zurückkehren. Sie verfügt über eine enorm breite Palette an Ausdrucksmöglichkeiten, an ihrer Seite die machtlose Dienerin Suzuki (Annalisa Stroppa). Und, im Gespräch mit ihr, der ebenso machtlose Sharpless, dem Brian Mulligan eine sehr warme stimmliche Präsenz verleiht.
Sie alle verlieren mit dem Wechsel ins Festspielhaus nicht, im Gegenteil. Man kommt ihnen menschlich näher, ihr Spiel gewinnt Eindringlichkeit – während man nur raten kann, was Andreas Homoki und Luke Halls sich noch hätten einfallen lassen für diesen zweiten Teil des Abends. Und noch etwas gewinnt: das Orchester. Auch die exzellente Tonübertragung der Bregenzer Festspiele nämlich kann nicht verhindern, dass draussen die Feinheiten von Puccinis Komposition nicht in ihrer vollen Schönheit hörbar sind. Drinnen, im Festspielhaus, macht Enrique Mazzola mit seinem Dirigat all die melodischen Verflechtungen und die instrumentale Raffinesse hörbar, mit denen Puccini uns da beschenkt hat.
Insofern ist dieser Abend doch, bei allem Bedauern, ein grosses Geschenk. Möge der Wettergott nun mindestens den weiteren Vorstellungen dieses Sommers gnädig sein.
Bregenzer Festspiele, bis 20. August