Während sich der Sommer am Bodensee von seiner schönsten Seite zeigt, stehen an den Bregenzer Festspielen alle Beteiligten in den Startlöchern – und hoffen natürlich, dass die strahlenden Sommertage und Nächte noch weiter andauern mögen.
Ein grosses weisses, leicht zerknülles Stück Papier liegt auf dem Wasser, ein paar japanische Schriftzeichen, mit feinem Pinsel darauf gehauchte Landschaftsbilder … es ist die Bühne für Giacomo Puccinis «Madame Butterfly», die diesjährige Produktion auf der Seebühne. Und dieses «Stück Papier» ist 23 m hoch und 33 m breit und wiegt fast 300 Tonnen, denn das «Papier» besteht aus Stahl, Holz und Styropor.
«Diese Bühne verlangt, dass man weiss was man will», sagt Andreas Homoki, der «Madame Butterfly» zu Wasser und unter freiem Himmel inszeniert. Kein Show-Spektakel, kein Hokuspokus. Zwei Jahre vorher müsse man sich schon im Klaren sein, wie die Inszenierung aussehen soll, sagt er. «Am Modell beginnt man die Regie auszuprobieren. Ich habe sozusagen ‘vorgekocht’, die Inszenierung dann ‘eingefroren’ und jetzt wieder ‘aufgetaut’ – und es funktioniert! Das Auge des Zuschauers soll auf die Aufführung gelenkt werden, der Fokus liegt auf den einzelnen Figuren.» Aber ganz so karg, wie man befürchten könnte, kommt es dann doch nicht daher: Auf dieses zerknüllte Stück Papier im XXXL-Format werden über Video Landschaften projiziert. «Ein magischer Vorgang», schwärmt Homoki. Er selbst habe noch nicht viele «Butterfly»-Inszenierungen gesehen, aber für ihn steht fest, dass «Madame Butterfly» eine der ganz grossen Bühnen-Tragödien sei.
Sibirien auf Italienisch
Im Festspielhaus steht dieses Jahr eine Produktion auf dem Spielplan, die in der aktuellen Situation sofort aufhorchen lässt: «Sibirien». Ebenfalls eine italienische Oper und fast zur gleichen Zeit entstanden wie «Madame Butterfly». Anders als im benachbarten St. Gallen, wo Tschaikowsky an den Festspielen mit Verdi ausgetauscht wurde, oder in Wil, wo man aus politischen Gründen auf «Zar und Zimmermann» verzichtet, wird in Bregenz «Sibirien» aufgeführt. Umberto Giordano ist der Komponist, das Libretto stammt von Luigi Illica, der auch bei «Madame Butterfly» den Text geschrieben hat. Als Leitungsteam hatte Elisabeth Sobotka mit dem Regisseur Valery Barkhatov und dem Dirigenten Valentin Uryupin zwei Russen engagiert, denn natürlich hatte sie «Sibirien» schon lange vor der gegenwärtigen Russland-Krise programmiert.
Jetzt hingegen sieht man es mit ganz anderen Augen. Soll man es aufführen? Soll man die Russen – wie ursprünglich geplant – ihre Arbeit machen lassen oder angesichts des Ukraine-Krieges wieder ausladen? «Man muss sehr genau schauen, wie man entscheidet», sagt Sobotka. «Ich kenne diese russischen Künstler von früher her. Ich fände es falsch, nicht mehr mit ihnen zu arbeiten. Wir können doch nicht das Volk in Geiselhaft nehmen und wir müssen die Hand ausstrecken zu denen, die in einer offenen Welt leben wollen. Wir müssen sie unterstützen und nicht ausschliessen.» Regisseur Vasily Barkhatov ist 38 Jahre alt und kommt aus Moskau. Er hat sich aber in den letzten Jahren auch in Westeuropa einen Namen gemacht. So hat er beispielsweise 2015 in Basel Modest Mussorgskijs Oper «Chowanschtschina» beklemmend und grossartig auf die Bühne gebracht und dies damals ausgerechnet mit einem ukrainischen Dirigenten …
Neun Millionen Opernfans
Auch wenn die Seebühne natürlich das Herzstück der Bregenzer Festspiele ist, so gibt es doch ringsherum mehr als nur ein Rahmenprogramm. Konzerte, Schauspiel, Lesungen, Gespräche … mehr als 200’000 Eintrittskarten stehen für die Veranstaltungen zwischen dem 20. Juli und dem 21. August zur Verfügung. Und «Madame Butterfly» ist jetzt schon fast ausverkauft. Die Zahlen sind tatsächlich beeindruckend: 1946 sind 25’000 Besucherinnen und Besucher an die ersten Bregenzer Festspiele gekommen, im vergangenen Jahr, 2021, waren es mit 236’854 Personen fast zehnmal so viele. Und insgesamt haben die Festspiele seit ihrer Gründung über neun Millionen Opernfans zählen können.