Auf ihrem Programmparteitag in der vergangenen Woche hat die CDU für die meisten Teilnehmer völlig überraschend zwei Sätze zum Gottesbezug in den Anfangsteil ihres neuen Programms gestellt. Viele Delegierte hatten geglaubt, dass der Gottesbezug nicht mehr «zeitgemäss» sei.
Die CDU fremdelt schon seit Jahrzehnten mit dem «hohen C». In ihren Anfangsjahren war das noch weniger der Fall, denn 1945 gehörten mehr als 96 Prozent der Bevölkerung einer christlichen Konfession an. Der Zeitgeist aber entfernte sich von den Kirchen. In der säkularen Gesellschaft gerieten die Konfessionen mehr und mehr an den Rand. Und eine Frage liess sich immer schwerer beantworten: Was unterscheidet eine christliche Politik von einer nicht-christlichen? Entsprechend positionierte sich die CDU zunehmend als «bürgerlich». Zudem verstand sie sich als «konservativ», bis Angela Merkel kam und eine konservative Position nach der anderen abräumte.
Unverzichtbarer Fremdkörper
Im neuen Grundsatzprogramm sollte zunächst nur unbestimmt von einem «christlichen Kompass» die Rede sein. Der «Evangelische Arbeitskreis» der CDU setzte aber durch, dass diesem etwas rätselhaften Kompass zwei Sätze vorangestellt werden: «Unsere Politik beruht auf der Verantwortung vor Gott und den Menschen. Für uns ist der Mensch von Gott nach seinem Bilde geschaffen.»
Nicht jedem CDU-Mitglied werden diese Sätze leicht über die Lippen gehen. Denn wenn man diese Bekenntnisse auch nur annähernd erklären wollte, verstrickte man sich heillos in theologische Debatten, die noch nie zu einem konsensfähigen Ende gekommen sind. Sätze dieser Art sind nicht in derselben Weise diskutierbar wie Aussagen zur Sozial-, Finanz- oder Verteidigungspolitik. So betrachtet, sind sie in einem Parteiprogramm Fremdkörper, auf die viele Delegierte zunächst gerne verzichtet hätten.
Aber diese Fremdkörper sind für das Profil der CDU unverzichtbar. Der Leiter des Evangelischen Arbeitskreises der CDU, Thomas Rachel, hat in seiner Rede vor den Delegierten gesagt: «Das C ist auch heute noch so notwendig und unverzichtbar wie nie.» Es bilde eine «einigende Klammer» für die unterschiedlichen Strömungen in der Partei: «Das C sorgt dafür, dass das Liberale menschlich bleibt. Das C sorgt dafür, dass das Soziale nicht in den Sozialismus führt. Und das C sorgt dafür, dass das Konservative nie in eine Blut- und Bodenideologie abgleitet.»
Die Erfindung des Teufels
Man kann diese Aussagen so übersetzen: Der Gottesbezug, so vieldeutig er auch ist, verweist darauf, dass jede politische Option mit Fragezeichen zu versehen ist. Es gibt keine «alternativlosen» Optionen, wie sie die Pfarrerstochter Angela vertrat. Es mag richtig sein, dass ein einmal eingeschlagener Weg nicht beliebig verlassen werden kann, aber es muss erlaubt sein, immer wieder neu die Orientierung zu überprüfen.
Das Christentum ist in seinen dogmatischen und kirchlichen Ausformungen fragwürdig. Aber trotz aller Schwächen und Missstände kann es Zweifel sähen – Zweifel daran, dass die eigenen Optionen jeweils der Weisheit letzter Schluss sind. Prompt meldeten sich die Kirchen in Gestalt des katholischen Erzbischofs Stefan Hesse und des evangelischen Bischofs Christian Stäblein während des Parteitages zu Wort und kritisierten die Beschlüsse zu neuen Asylverfahren. Sie seien ein radikaler Bruch der CDU «mit ihrem humanitären Erbe im Flüchtlingsschutz».
Auch die Kirchen können in der Migrationsproblematik keine Patentlösungen anbieten. Aber sie können Zweifel zum Ausdruck bringen. «Das gute Gewissen ist eine Erfindung des Teufels», schrieb einst Albert Schweitzer. Und diese Zweifel, diese Fähigkeit zum Zweifeln zeichnen die christlich geprägte europäische Kultur aus – man kann sie auch Leitkultur nennen.