Senator John McCain, der 2008 für die amerikanische Präsidentschaft kandidierte, leidet unter einem aggressiven Hirntumor. Nach allem, was man weiss, hat er nicht mehr lange zu leben. Seine Krankheit hat eine Untergebene Donald Trumps allerdings nicht daran gehindert zu bemerken, man brauche auf McCain politisch keine Rücksicht mehr zu nehmen: „Er wird sowieso sterben.“
Die Diskussion im Weissen Haus drehte sich um die Nomination von Gina Haspel als neue Direktorin der Central Intelligence Agency. Nach 9/11 sind unter ihrer Aufsicht in einem Geheimgefängnis der CIA in Thailand Terrorverdächtige gefoltert worden. Eine Bürgerrechtsorganisation hat Haspel deshalb als „Kriegsverbrecherin“ bezeichnet.
Der Zusammenhang? John McCain hat sich entschieden gegen Folter ausgesprochen. Wie kaum ein zweiter weiss er, wovon er spricht. Als Pilot der US-Marine war während des Vietnamkriegs fünfeinhalb Jahre lang Gefangener des Viet Cong und wurde in Hanoi wiederholt gefoltert. Doch er weigerte sich stets, sein Land zu verraten, obwohl ihm seine Wärter nach einem Jahr in Gefangenschaft anboten, ihn - den Sohn eines Admirals - in die Freiheit zu entlassen. Was für den Viet Cong ein PR-Coup gewesen wäre. Doch McCain brach den Ehrenkodex der Marine nicht und litt vier weitere Jahre als Kriegsgefangener in Hoa Lo.
Keine Überraschung, dass sich Donald Trump 2015 bei einem Wahlkampfauftritt in Iowa über John McCain lustig machte: „Er ist kein Kriegsheld. Er ist ein Kriegsheld, weil er in Gefangenschaft geriet. Ich ziehe Leute vor, die sich nicht gefangen nehmen lassen.“ McCain schwieg und sprach sich erst gegen Trump aus, als im Herbst 2016 ein Video publik wurde, in dem Trump sich brüstet, Frauen ungestraft sexuell belästigen zu können. Auf jeden Fall dürfte der Präsident an John McCains Beerdigung nicht willkommen sein. Trump war es in den 1960ern wiederholt gelungen, einem Marschbefehl der Armee zu entgehen, weil er angeblich unter Fersensporn litt.
Noch zu Lebzeiten ist nun unter dem Titel „The Restless Wave“ John McCains Autobiografie erschienen. „Ich bin freier als Kollegen, die sich wieder dem Wähler stellen müssen“, schreibt der 81-Jährige: „Ich kann offen sprechen, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen.“ Zudem hat der TV-Sender HBO vor kurzem einen Dokumentarfilm über McCain ausgestrahlt. „Ich habe ein ehrenhaftes Leben gelebt, und ich bin stolz auf mein Leben“, sagt der konservative Republikaner zu Beginn des Films: „Ich bin bei mehreren Gelegenheiten geprüft worden. Ich habe nicht immer das Richtige getan.“
Falsch nennt John McCain seinen Entscheid, 2008 Sarah Palin zur Vizepräsidentschaftskandidatin gekürt zu haben. Die Wahl der Populistin hat wohl acht Jahre später Donald Trumps Weg ins Weisse Haus ebnen helfen. Er habe sich, gesteht McCain, wider seinen Instinkt dazu überreden lassen, die Gouverneurin von Alaska statt Senatskollege Joe Lieberman für das Amt anzufragen – aus Gründen der Parteiräson: „Sie (Palin) war eine begabte Amateurdarstellerin, von der erwartet wurde, zweimal täglich am Broadway aufzutreten.“
John McCains schonungslose Offenheit und ungeschminkte Kritik kontrastieren auf irritierende Weise mit den herrschenden Zuständen in Washington D.C., wo opportunistische Unterwürfigkeit und skrupellose Verzerrung der Realität heute zum Alltag gehören. Der Senator aus Arizona hat sich nie in Schemata pressen lassen und ist wiederholt angeeckt – privat wie beruflich. Der furchtlose Querdenker hat mehrere Fehler begangen, die er im Nachhinein bereut, wie zum Beispiel 2003 die Unterstützung für den Krieg im Irak.
Doch anders als Donald Trump kümmert sich John McCain um Amerikas Ansehen in der Welt und um die Zukunft des Westens, die er beide akut bedroht sieht. Man stelle sich vor, ähnliche Äusserungen aus dem Munde Donald Trumps zu hören, schreibt David Remnick, Chefredaktor des „New Yorker“, in seinem Magazin: „Ehrgefühl, Selbstreflexion, Entschuldigung. Eine solche Vorstellung ist (im Falle Trumps) unmöglich.“ John McCain dagegen ist sich und seinen Prinzipien bis zum Ende treu geblieben.