Allein der Begriff Migration in Verbindung mit der Uno, lässt die Bürgerlichen aufschreien. Und der Bundesrat verliert die Ruhe. Noch vor einem guten Monat hat dieser, obschon dem Kollegen Ignazio Cassis der Pakt offenbar nicht geheuer war, in einer Mitteilung geschrieben, der Bundesrat werde den Migrationspakt in Marokko wie vorgesehen im Dezember gemeinsam mit den anderen Staaten genehmigen.
Bundesrat hat Kommissionen zu spät orientiert
Es gehört zwar zu den Aufgaben des Bundesrats, nicht verbindliche Verträge selber zu unterzeichnen, doch sofern sie „wesentlich“ sind, ist er verpflichtet, vorgängig die Aussenpolitischen Kommissionen zu konsultieren; jedoch nicht das Parlament als solches. Erst nachdem der Bundesrat Ja zum Pakt gesagt hatte, wurden die Kommissionsmitglieder informiert. Das empfanden sie als einen Affront. Dass Aussenminister Cassis die zuständigen Kommissionen nicht früher orientiert hat, zeugt von mangelndem Fingerspitzengefühl. Dieses Versehen hat die Kritik am Pakt ins Masslose anschwellen lassen. Da sich Ständerat und Nationalrat jetzt mit dem Migrationspakt befassen, strapazieren nun sie die Regeln der Aufgabenteilung zwischen Regierung und Legislative zu ihren Gunsten.
Die ersten Proteste gegen den Migrationspakt kamen von SVP-Politikern. Sie bekräftigten den Kampfgeist der Befürworter der Selbstbestimmungsinitiative. Die SVP sah im Migrationspakt einen zusätzlichen Grund, Schweizer Recht über internationales zu setzen. Das hat einen Teil der Initiativgegner beunruhigt, doch am 25. November ist die SVP-Initiative klar abgelehnt worden.
Heftige Reaktionen von SVP und Freisinnigen
Von der SVP mit ihrer konsequenten ausländerfeindlichen Politik war nichts anderes zu erwarten als eine kategorische Ablehnung des Migrationspakts. Verunsichert durch harte Kritik in schillernden Tönen haben die Freisinnigen die Ruhe verloren und blasen ins gleiche Horn wie die SVP; sie sind offenbar nicht mehr in der Lage, unabhängig vom negativen Getöse, den Pakt mit kühlen Kopf zu beurteilen, wie es für eine liberale Partei angezeigt wäre. Während sich die FDP-Fraktion gegen den Migrationspakt ausgesprochen hat, bleibt die CVP zurückhaltender, verlangt jedoch ebenfalls eine Diskussion im Parlament.
In der emotionsgeladenen Diskussion im Ständerat vom letzten Donnerstag hat kein einziges bürgerliches Ratsmitglied den Migrationspakt verteidigt; die Kleine Kammer wurde ihrem Ruf als „chambre de réflexion“ nicht gerecht. Einzig die sozialdemokratischen Ständeräte haben aufgezeigt, weshalb es sinnvoll ist, dass der Bundesrat dem Pakt zustimmt. Auch die Haltung des Bundesrats, der betont, eine Zustimmung zum Pakt sei im Interesse der Schweiz, wurde vom Rat nicht zur Kenntnis genommen.
Klare Schranken des Pakts
Worum geht es tatsächlich bei diesem vielgeschmähten Pakt? Angesichts der Tatsache, dass kein Land allein die Migration bewältigen kann, soll der Pakt einen wichtigen Beitrag zur internationalen Zusammenarbeit leisten. Dabei ist zu beachten, dass dieser Pakt die Flüchtlinge nicht einschliesst, deren Rechte und Pflichten in den Internationalen Genfer Abkommen aus dem Jahr 1951 geregelt sind. Der Pakt bekräftigt in der Einleitung wiederholt, dass er für die Staaten nicht rechtlich bindend ist. Im Wortlaut heisst es: „Der globale Pakt bekräftigt das souveräne Recht der Staaten, ihre nationale Migrationspolitik selbst zu bestimmen, sowie ihr Vorrecht, die Migration innerhalb ihres Hoheitsbereichs in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht selbst zu regeln. Innerhalb ihres Hoheitsbereichs dürfen die Staaten zwischen regulärem und irregulärem Migrationsstatus unterscheiden.“
Viele Ziele sind auch Anliegen der Schweiz
Der Pakt hat zum Zweck, im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit die Situation der Migranten zu verbessern. Insgesamt umfasst er 23 Ziele: beispielsweise sollen die Staaten verpflichtet werden, ihren Bürgerinnen und Bürgern Identitätspapiere abzugeben, den Kampf gegen die Schlepper und die Menschenhändler zu führen und Migranten in Lebensgefahr zu retten. Weiter ist gegen die Diskriminierung vorzugehen: In diesem Zusammenhang wird verlangt, dass den Medien, welche systematisch Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus verbreiten, die öffentlichen Mittel entzogen werden. Dass derartige Diskriminerungen systematisch erfolgen, dürfte die Ausnahme sein. Doch dieser Vorschlag hat umgehend den Protest der Schweizer Verleger hervorgerufen.
Eine Schwachstelle solcher internationaler Abkommen besteht darin, dass sie umständlich und ausufernd formuliert sind, um ja nichts zu übersehen. Sie enthalten einen so grossen Strauss Vorschläge, dass einzelne Anregungen besser unterbleiben würden. Die Texte sind zudem kompliziert und alles andere als leserfreundlich.
Herkunftsländer werden in die Pflicht genommen
In den Darstellungen des Pakts durch bürgerlichen Parteien und Politiker werden die Vorteile für die Schweiz kaum erwähnt. Es scheint, dass sich alle auf mögliche Schwachpunkte konzentrieren, um ihrem Unmut freien Lauf zu lassen.
Für die Schweiz enthält der Pakt jedoch zweifellos Vorteile: Besonders in Ziel Nummer 2: „Minimierung nachteiliger Triebkräfte und struktureller Faktoren, die Menschen dazu bewegen, ihre Herkunftsländer zu verlassen“. Die Staaten sind verpflichtet, „förderliche politische, wirtschaftliche und soziale Bedingungen sowie Umweltbedingungen zu schaffen, unter denen die Menschen in ihren eigenen Ländern ein friedliches, produktives und nachhaltiges Leben führen und ihre persönlichen Ambitionen verwirklichen können“. Gleichzeitig ist dafür zu sorgen, dass Verzweiflung und sich verschlechternde Umweltbedingungen die Menschen „nicht dazu veranlassen, durch irreguläre Migration anderswo eine Existenzgrundlage zu suchen“.
Auch das Ziel 21 ist ganz im Sinne der Schweiz, denn es setzt auf die internationale Zusammenarbeit, um eine sichere und würdevolle Rückkehr und Wiederaufnahme von Migranten zu ermöglichen sowie deren nachhaltige Reintegration in ihrem Herkunftsland.
Spätere Änderungen muss das Parlament bewilligen
Die Analyse des Bundesrats kommt zum Schluss, dass der Migrationspakt den Interessen der Schweiz entspricht und die Schweiz in den verschiedenen angesprochenen Politikbereichen die Empfehlungen des Pakts bereits umsetzt. Das Departement für auswärtige Angelegenheiten hat zudem auf Anfrage Folgendes festgehalten: Für weitergehende Verbesserungen zugunsten der Migranten „müsste eine Vorlage den gesetzgeberischen Prozess durchlaufen und dem fakultativen Referendum unterstellt werden“. Es wäre somit ein Entscheid des Parlaments und allenfalls des Volks nötig.
Dem Migrationspakt zuzustimmen und an dessen Anwendung mitzuwirken, bietet also kaum das Risiko, dass auf schleichendem Weg günstigere Bedingungen für Migranten eingeführt würden, denn das Parlament oder allenfalls das Volk haben immer das letzte Wort. Möchten die National- und Ständeräte wirklich dem Uno-Pakt fernbleiben, zusammen mit den USA von Präsident Trump, Ungarn von Orban und dem von Populisten bestimmten Österreich? Deutschland jedenfalls hat sich vom lärmenden und kategorischen Nein zum Migrationspakt der „Alternative für Deutschland“ nicht beirren lassen: der Bundestag hat mit grosser Mehrheit dem Pakt zugestimmt.