Wladimir Putins Reise nach Teheran ist ein Meilenstein in den russisch-iranischen Beziehungen. Russland versucht mit allen Mitteln, die Islamische Republik zu einem Verbündeten für den Krieg in der Ukraine zu machen. Und die Mächtigen in Teheran sind bereit, sich der Grossmacht auszuliefern. Denn ihre eigene Macht ist durch zahlreiche innen- und aussenpolitische Krisen gefährdet. Russland tritt als Garantiemacht auf, auch für die Zeit nach Chameneis Ableben.
Strategische Koalition: Das ist das Schlüsselwort bei Wladimir Putins Reise nach Teheran. Kreml-Sprecher Dimitri Peskow benutzt es ebenso wie Irans Präsident Ibrahim Raissi, und alle Presseorgane der Islamischen Republik wiederholen es. Gemeinsam gegen westliche Sanktionen arbeiten, auf dem Welt-Ölmarkt keine Rivalen sein und langfristig militärische Zusammenarbeit gestalten: So stellt sich Peskow diese Strategie vor, und genauso will es auch der mächtigste Mann Irans, Ali Chamenei.
Chameneis Lob für Putins Ukraine-Krieg
«Mit Ihrer Initiative in der Ukraine sind Sie der Nato zuvorgekommen. Hätten Sie nicht gehandelt, hätte die Nato wegen der Krim einen Krieg von Zaun gebrochen. Westliche Machenschaften haben zur Zerstörung der Sowjetunion geführt, doch Ihre entschlossene Führung brachte Russlands Stärke zurück.» Das sagte Chamenei bei seiner Audienz für Putin. Kein Spitzenpolitiker der Welt, nicht einmal die Diktatoren in Belarus oder Nordkorea, haben den Ukrainekrieg öffentlich so beschrieben.
Ali Chameneis Feindschaft gegenüber allem Westlichen hat krankhafte Züge, sein Hass gegenüber der westlichen Kultur zeigte er während seiner mehr als dreissigjährigen Führerschaft fast täglich. Wie lange der 83-Jährige noch herrschen wird, wissen wir nicht. Zahlreich und gefährlich sind die innen- und aussenpolitischen Krisen, die seine Macht bedrohen. Und wer ihm folgen wird, darüber wird im Verborgenen heftig gestritten.
Nachfolgeregelung mit Putins Hilfe?
Eine dieser Krisen ist eben die Frage seiner Nachfolgerschaft, die Chamenei offenbar mit Putins Hilfe regeln will. Russische Iran-Experten schreiben in ihren Studien unumwunden, dass Russland die Stabilität der Islamischen Republik auch nach Chameneis Ableben garantieren werde.
Ob diese Garantie auch für Chameneis Sohn Mojtaba gilt, wird die Zukunft erweisen. Mojtaba ist der Lieblingssohn, der derzeit das Alltagsgeschäft des Vaters regelt. Er sei genauso fanatisch antiwestlich wie dieser und zudem mit einer erbarmungslosen Brutalität ausgestattet, heisst es von Eingeweihten, die Mojtabas bisherigen Werdegang beobachtet haben. Chameneis Verhalten setzt eine zerstörerische Tradition fast aller Mächtigen in der iranischen Geschichte fort: Immer, wenn ihre Herrschaft zuhause in Gefahr war, lieferten sie sich einer Grossmacht aus. Nun ist es Putins Russland, das die wankende Macht stützen soll.
Und die Mächtigen im Iran haben etwas zu bieten. Auf dem Ölmarkt haben die Russen Iran verdrängt, stillschweigend nimmt das Teheran hin. Dass der iranische Ölminister der ranghöchste Politiker war, der Putin auf dem Teheraner Flughafen empfing, ist mehr als ein Symbol.
Erfahrungen beim Umgehen von Sanktionen
Seit ihrem Bestehen lebt die Islamische Republik unter ausländischen Sanktionen. Sie waren die Geburtswehen dieser Republik, die mit der Besetzung der US-Botschaft die politische Weltbühne betrat. In den vergangenen vier Dekaden häuften sich die aussenpolitischen Krisen und mit ihnen die Sanktionen. Terrorakte im Ausland, das Atomprogramm und regionale Konflikte haben in diesen Jahren für einen Berg von Sanktionen gesorgt, der in der Geschichte der Weltdiplomatie beispiellos ist.
Aber die Herrscher in Teheran erwiesen sich als Machtkünstler, sie schufen ein internationales Netz zur Umgehung der Sanktionen, mit dessen Hilfe das Nötigste aus dem Ausland besorgt werden kann. Winkeladvokaten aus der arabischen Welt, vor allem den Vereinigten Arabischen Emiraten, skrupellose Geschäftsleute in Europa, Iraner mit ausländischen Pässen und unterschiedlichen Motiven rund um die Welt sind Mitglieder dieses Netzwerks. Sie gründen Firmen, Kanzleien und Agenturen mit Phantasienamen und haben in all diesen Jahren viel zustande gebracht: Reedereien für das Öl auf dem Schwarzmarkt in den Dienst genommen, Waffenhandel für diverse Bürgerkriege organisiert, in die der Iran verwickelt ist, und notwendige Waren besorgt, die für die Mächtigen und Ohnmächtigen im Iran auf legalem Weg nicht zu haben sind.
So ist in den letzten vierzig Jahren ein Schatz an Erfahrungen für die Umgehung unterschiedlicher Sanktionen entstanden, den Putin dieser Tage sehr gut gebrauchen kann.
Russland und das Atomabkommen
Russland ist einer der fünf Unterzeichner des Atomabkommens mit dem Iran. Ob Putin dieses Abkommen retten will, wissen wir nicht, die Signale aus Russland sind widersprüchlich. Nach seinem Einmarsch in die Ukraine forderte der russische Staatschef, dass im Falle eines Abkommens mit dem Iran russische Interessen gewahrt und Russlands Iran-Geschäft von internationalen Sanktionen ausgenommen werden müssten. Seitdem wird gerätselt, ob das Atomabkommen bereits tot ist.
«Nie werden wir zulassen, dass der Iran ein Atombombe baut, und wir hinterlassen kein Vakuum im Nahen Osten, das Russland, Iran und China füllen würden», sagte US-Präsident Joe Biden, der zwei Tage vor Putins Trip nach Teheran seine Nahost-Reise beendet hatte.
Drohen mit der Atombombe
Noch war Biden im Flugzeug, da sagte Kamal Kharrazi, Chameneis wichtigster aussenpolitischer Berater, dem Fernsehsender Al Jazeera, der Iran sei in der Lage, eine Atombombe zu bauen. Eine Entscheidung darüber sei aber noch nicht gefallen. Einen Tag später wiederholte Mohammad Javad Larijani dies noch ausführlicher im iranischen TV: Auch ein Krieg gegen den Iran werde den Bombenbau nicht verhindern können, so der ehemalige Vizeaussenminister. Warum diese spektakulären Äusserungen, und warum jetzt aus dem Munde von zwei wichtigen Personen aus der Oligarchie, die den Iran seit vierzig Jahren kontrolliert? Inzwischen spricht man von der Herrschaft der Schwiegersöhne.
Die ewige Oligarchie
Das ist kein Spott und weder eine Herabsetzung noch eine Beleidigung: Es ist eine treffende Beschreibung des iranischen Machtsystems, das sich «Republik» nennt. Zu lesen ist es in einer 853 Seiten umfassenden Studie der Universität Syracuse im US-Bundesstaat New York mit dem Titel: «Postrevolutionary Iran: A Political Handbook». Vierzehn Jahre lang haben Professor Mehrzad Boroujerdi und seine Forschungsgruppe an diesem Handbuch gearbeitet. Sie wollten herausfinden, wer den Iran tatsächlich regiert, wie diese Familien Macht und Reichtum seit der Revolution unter sich aufteilen und wie stark die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen ihnen sind – allen Verwerfungen zum Trotz.
Und die Autoren kommen zu dem erstaunlichen Schluss, dass weder Wahlen noch Säuberungen oder Clan-Konflikte diese Familienherrschaft gefährden konnten und können. Exemplarisch belegen sie an mehreren spektakulären Verhaftungen, Entmachtungen und Verbannungen, dass die Familienbande trotzdem weiterhin sehr gut funktioniert. Man tauschte zwar Posten und Positionen, doch eine wirkliche Machtzirkulation fand in diesen Jahrzehnten nicht statt.
Die Studie ist nicht nur eine umfassende Datensammlung zum politischen Leben des Iran, sondern auch eine Berichterstattung über 40 nationale Wahlen sowie über 400 unterschiedliche Organisationen entlang der familiären Bindungen, die die Oligarchie dieser eigenartigen «Republik» bilden. In biografischen Skizzen von mehr als 2300 politischen Persönlichkeiten – von Kabinettsministern und Parlamentsabgeordneten bis zu geistlichen, juristischen und militärischen Führern – zeichnen die Autoren eine Kartographie der komplexen Machtstruktur durch die gesamten Institutionen.
Trotz Feindschaften für immer verbunden
Mögen sich manche von ihnen Oppositionelle, Reformer oder Systemtreue nennen: Sie bleiben unter sich, einflussreich und mächtig, denn alle sind miteinander über eine oder mehrere Linie verwandt, verschwägert oder sonstwie verbunden. Was sich ändert, ist der Ort, an dem sie ihre Macht ausüben.
Die Namen der wichtigsten Familienclans, die seit der Revolution in unterschiedlichen Funktionen wichtige Positionen innehaben, kennt jeder Iraner und jede Iranerin: Chomeini, Chamenei, Chatami, Charrazi, Larijani, Rafsanjani oder Alam Al Hoda. Alle sind miteinander verwandt. Manche Paten der ersten Stunde sind inzwischen verstorben, andere vergreist, doch ihre Nachkommen sind weit und genug verzweigt, um weiterhin mächtig zu sein.
Kamal Charrazi war acht Jahre lang Aussenminister, zuvor eine Dekade Chef der iranischen Nachrichtenagentur, nun nennt er sich Leiter des Rates für Aussenpolitik. In Wahrheit ist er einer der wichtigsten aussenpolitischen Berater Chameneis. Seine Schwester ist mit einem der vier Söhne Chameneis verheiratet, sein Bruder Mohsen sitzt im Expertenrat, der über Chameneis Nachfolge entscheidet. Seine Kinder, Neffen und Nichten haben wichtige Posten inne, vor allem im Aussenministerium.
Und Larijani, der auch von der bevorstehenden Bombe sprach, gehört ebenfalls einer jener einflussreichen und weit verzweigten Familien an, die seit Bestehen dieser hybriden Republik die Geschicke des Iran bestimmen.
Drohnen als Botschaft
Genau zu dem Zeitpunkt, als Joe Biden bei seiner Nahostreise in Saudi-Arabien landete, signalisierten die iranischen Revolutionsgarden, um was es dieser Tag in Russland, der Ukraine, dem Iran und dem Rest der Welt geht und wo sie dabei stehen. Nicht sehr weit von dem Flughafen, auf dem Bidens Flugzeug landete, zeigten die Garden einen Flugzeugträger, auf dem zahlreiche Drohnen standen. Propagandistisch wurde diese «heldenhafte und bedeutungsvolle Aktion» auf entsprechenden Webseiten gelobt. Der Iran wolle Hunderte von Drohnen an Russland liefern, hatte Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan kurz vor Bidens und Putins Reisen gesagt, und fast alle Medien der westlichen Welt wiederholten dies.
Da der Iran kaum eine wirksame Luftwaffe besitzt, haben die Revolutionsgarden alles daran gesetzt, ein umfassendes Raketen- und Drohnenprogramm zu entwickeln. Ob und warum Russland iranische Drohnen braucht, darüber wird derzeit viel spekuliert. Afschar Soleimani, der Russland sehr gut kennt und mehrere Jahre Botschafter Irans in Aserbeidschan sowie Vize-Aussenminister war, sagte der Webseite Iran Diplomacy nach Putins Abreise, Russland setze alles daran, um den Iran in den Ukrainekrieg zu ziehen.
Nicht vergessen, woher die Drohnen kommen
Eine der wirksamsten iranischen Drohnen trägt den Namen Ababil. Wollen Biden, Putin und Selenskyj wissen, was Ababil bedeutet, sollten sie den Koran lesen. In Sure 105, «Der Elefant», steht:
Im Namen Gottes des Erbarmers, des Barmherzigen!
Hast du nicht gesehen, wie dein Herr mit den Leuten des Elefanten verfuhr?
Hat er ihren Plan nicht scheitern lassen.
Und Vögel in Scharen (ababil) über sie geschickt,
Die sie mit Steinen aus gebranntem Ton bewarfen?
Dann machte Er sie wie ein abgefressenes Feld.
Dies ist eine der vielen Geschichten des Korans, die man durch einfaches Lesen nicht verstehen kann. Ohne Hintergrundwissen und Koranexegese wären wir nicht nur an dieser Stelle völlig aufgeschmissen. Die Geschichte spielt zur Zeit Abrahams in Saudi-Arabien, genauer in Mekka, das von einem ausländischen Imperium angegriffen wird. Ababil, der grosse Vogelschwarm, kam angeflogen, und jeder Vogel trug Steine in seinem Schnabel und seinen Krallen. Die Vögel flogen über die Armee hinweg und liessen die Steine auf die Soldaten hinabfallen. Dabei wurden diese tödlich verletzt und die Elefanten rannten vor Schreck davon.
Die islamischen Quellen lassen keinen Zweifel daran, dass es dieses Ereignis tatsächlich gegeben hat, und bezeichnen das Jahr, in dem es stattfand, als das Jahr des Elefanten. Was der Westen bzw. Selenskyj gegen Ababil zum Einsatz bringen will, bleibt offen.
Wird die Warnung Wirklichkeit?
Einst warnte Mohammad Reza Pahlawi, der letzte Schah des Iran: Sollte die Monarchie im Iran gestürzt werden, werde aus dem Land ein Iranistan. Die persische Nachsilbe استان, -ostan, bedeutet Provinz. Die Namen aller ehemaligen asiatischen Sowjetrepubliken enden mit dieser Silbe: Turkmenistan, Tajikistan, Usbekistan, Kasachstan.
Nun scheint die Islamische Republik auf dem Weg zu sein, ebenfalls ein Teil des euro-asiatischen Imperiums unter russischer Führung zu werden – aus Schwäche und Unsicherheit.
Mit freundlicher Genehmigung Iran Journal