Ob und wie man sich von den Terroristen distanziert - dafür gibt es Sprachregelungen, an die sich sogar der Präsident halten muss. Die Islamische Republik war stets und ist immer noch Vorkämpfer gegen die Herabsetzung des Propheten. Salman Rushdie ist nur der bekannteste Fall.
Die Zeit heilt nicht immer die Wunden. Im Gegenteil. Je mehr der Abstand wächst, umso klarer sieht man die Dimensionen jener Verwundung, die die Mörder im Namen des Islams in Paris hinterlassen haben. Die Konturen des klaffenden Risses zwischen politischem Islam und demokratischen Grundsätzen sieht man heute, 12 Tage nach der brutalen Ermordung der Journalisten von Charlie Hebdo viel genauer. Im Falle des Iran ist diese Kluft in allen Lagern zu beobachten, dies- und jenseits der Herrschaft, bei denen, die sich auf den Islam berufen ebenso wie unter den säkularen Oppositionellen. Die Terrorakte in Paris und alles, was danach folgte, demonstrieren zudem wieder einmal die faktische Machtlosigkeit der Moderaten und Reformer, Präsident Rohani inklusive.
Kunstvolle Verbalakrobatik
Schon in den ersten Stunde nach dem Blutbad in der Redaktion von Charlie Hebdo war im Iran klar, wer die Oberhoheit über die Sprachregelung in der Presse und Politik besitzt. Vergessen sind längst die Tage nach dem 11. September, als die Teheraner Demonstranten mit ihren Kerzen den Opfern gedachten, als der iranische Präsident dem amerikanischen Volk öffentlich sein Beileid ausdrückte und die Verschwörungstheoretiker Monate warten mussten, um ihre Sicht unters Volk zu bringen. Diesmal waren das Feld und die Spielräume für Journalisten und Politiker von Beginn an abgesteckt.
Die Schockstarre nach dem historischen Blutbad von Paris war gerade vier Stunden alt, als Marzieh Afkham, die Sprecherin des iranischen Aussenministeriums in Teheran vor die Presse trat. Die 52-Jährige, die wegen ihrer Sprachkenntnisse seit Jahrzehnten in der Presseabteilung des Aussenministeriums arbeitet, besitzt eine besondere Gabe: Sie strahlt selbst bei brisanten Themen und in aufregendsten Augenblicken eine stoische, manche sagen eine beängstigende Ruhe aus; ihre eintönige Redeweise passt oft zu inhaltlicher Leere ihres Vortags. Trotzdem wollten viele iranische wie ausländische Journalisten an diesem Tag wissen, wie der Gottesstaat nun zum Massaker in Paris steht, denn die Islamische Republik steckt mehr als jeder anderer Staat in Erklärungsnot, in einem Dilemma, aus dem sie sich nur mit kunstvoller Verbalakrobatik retten kann. Wer Propheten beleidigt verdient nach § 262 des iranischen Strafgesetzbuches die Todesstrafe, und genau deswegen warten derzeit Dutzende Verurteilte in den iranischen Gefängnissen auf ihre Strafe, wie z.B. der 30-jährige Soheil Arabi, dessen Fall jüngst Amnesty International deshalb publik machte, weil sein Urteil inzwischen durch das Oberste Gericht bestätigt worden ist. Der Vorwurf der Herabwürdigung des Propheten basiert auf einer Bemerkung, die Arabi auf Facebook gemacht hatte.
Der Auftritt der Pressesprecherin an diesem Mittwochnachmittag, wenige Stunden nach der Pariser Tragödie war aus einem andern Grund spannend: Prophetenbeleidigung bescherte der Islamischen Republik schon einmal eine folgenreiche internationale Krise. Dieser Tage jährt sich nämlich zum 25. Mal die immer noch gültige Mord-Fatwa gegen Salman Rushdie wegen Herabsetzen des Propheten. Schwer waren also die Bürden in jeder Hinsicht für die Pressesprecherin, denn die stets Gelassene musste die Ermordung jener Journalisten verurteilen, die nach Bekenntnis der Mörder wegen Beleidigung des Propheten getötete worden sind. Sie behält, wie immer die Fassung und verzichtet auf ausschweifende Erklärungen. Monoton diktiert sie den anwesenden Journalisten drei Sätze. Die Islamische Republik verurteile die Terrorakte in Paris, lautet der erste Satz, die beiden anderen Sätze sind dafür reserviert, um vom Westen die Achtung der religiösen Symbole und Heiligkeit zu fordern.
Der moderate Präsident hat zu schweigen
Diese drei Sätze, die auch Teheraner Freitagsprediger zwei Tage später fast wortwörtlich wiederholten, sind bisher das Weitgehendste und Radikalste, was der offizielle Iran gegen die brutalen Morde in Paris hervorgebracht hat. Der moderate Präsident Rohani, der sich um einen Ausgleich mit dem Westen bemüht und als Inhaber eines Doktortitels einer britischen Universität die jetzige Stimmung in Europa bestens kennen muss, zog es vor zu schweigen. Nur einmal hat er sich sehr allgemein in dieser Sache zu Wort gemeldet, allerdings ohne genau auf die Morde in Paris einzugehen. Iran verurteile Terrorismus überall, sei es in Syrien, im Irak oder in Paris, so Rohani zwei Tage nach dem Ende der dramatischen Ereignisse der letzten Woche.
Sein Aussenminister Zarif, der sich wegen der Atomverhandlungen in der vergangenen Woche in Genf, Berlin, Brüssel und Paris aufhielt, wiederholte bei Nachfrage in geschliffenem Englisch und unterschiedlichen Variationen immer wieder jene drei Sätze, die seine Sprecherin Afkham wenige Stunden nach dem Terroranschlag den Journalisten diktiert hatte. Woher diese Zurückhaltung kommt, ist für den Aussenstehenden rätselhaft.
Wichtigtuerei oder nicht, die Attentäter von Paris wollen nach eigenem Bekunden Auftragnehmer des IS bzw. von al-Qaeda in Jemen gewesen sein - also Agenten der Erzfeinde und Kriegsgegner der Islamischen Republik. Für Rohanis Regierung wäre es doch gerade jetzt ein leichtes Spiel und eine gute Gelegenheit gewesen, iranisches Engagement im Irak, in Syrien und in Jemen in ein anderes, ein positives Licht zu stellen und der Weltöffentlichkeit ein günstigeres Bild seines Landes zu präsentieren, zumal in der Zielgerade der Atomverhandlung ein besserer Ruf in der westlichen Presse seiner Regierung guttäte.
Hardliner bestimmen den weiteren Gang
Dieses Schweigen des sonst geschmeidigen Präsidenten ist nicht ausschliesslich ideologisch oder religiös motiviert, es sind vielmehr die Fesseln der Innenpolitik, der Druck der Radikalen, die die Spielräume der Akteure bestimmen. Schon in den ersten Minuten nach dem Attentat waren in den Webseiten und Agenturen, die dem Revolutionsführer Khamenei nahestehen, von „zweifelhaftem Anschlag“ und sehr bald von „zionistischen Machenschaften“ die Rede. Inzwischen haben die Radikalen den öffentlichen Umgang mit den Pariser Terrorakten fest unter Kontrolle. Selbst der Satz „Ich bin Charlie“ hat juristische Nachspiele. Die gerade drei Wochen alte Zeitung „Mordome Emrooz“ wurde am Samstag auf Anordnung des Generalstaatsanwaltes verboten, weil sie zwei Tage nach dem Anschlag ein Bild von George Clooney abdruckte, auf dem er bei der Verleihung der Golden Globe Preise den Satz ausspricht „ Je suis Charlie“. Das war Dienstag vergangener Woche, inzwischen ist die Atmosphäre noch bleierner. Nach der Veröffentlichung der neuen Ausgabe von Charlie Hebdo haben die Hardliner den Druck weiter erhöht, an diesem Montag wollen sie vor der französischen Botschaft in Teheran demonstrieren.
In der momentan aufgewühlten islamischen Welt soll sich der Iran neben jene versprengte Gruppen platzieren, die in verschiedenen Ländern französische Fahnen verbrennen und Kulturinstitute zerstören. Das scheint die Strategie der Mächtigen zu sein und Rohanis Regierung hat sich daran zu halten. Selbst kleinlaute versöhnliche Töne, die z.B. von al Azhar in Kairo kommen, könnten den islamischen Widerstand schwächen, schrieb die Zeitung Keyhan am Sonntag und kritisierte Aussenminister Zarif, warum er wegen Atomverhandlung nach Paris, „in die Hauptstadt der Beleidiger“ gereist sei. Keyhan, deren Herausgeber vom Revolutionsführer Khamenei selbst bestimmt wird und beste Kontakte zu den Geheimdiensten hat, fungiert als Stichwortgeber und publizistische Bastion der Hardliner.
Erdbeben
Doch während die einen zum Schweigen gebracht werden, vernimmt man dieser Tage Stimmen, die wie ein wahres Erdbeben die Grundfesten der Gläubigen erschüttern.
„Das ist nicht mehr mein Allah“. Unter diesem Titel schrieb nach dem Pariser Attentat der 60-jährige Islamgelehrte und Philosoph Hassan Yussefi Eshkevari einen kurzen Beitrag für die persischen Webseiten. Und der 80-jährige Theologe Mohammed Modschtahid Schabestari, dessen schiitische Gelehrsamkeit niemand anzweifelt, sagte in seinem jüngsten Online-Seminar etwas, was aus den Federn der radikalsten Islamkritiker stammen könnte:
„Niemand kann behaupten, dass die Anhänger des IS und deren Wortführer nichts mit dem Islam gemein hätten. Sie fasten, sie beten und sie vollziehen alle religiösen Rituale wie du und ich, auch ihre abscheulichen Praktiken sind tief in der Scharia verwurzelt. Nur eine gründliche Revision aller islamischen Grundsätze kann uns von weiteren Katastrophen bewahren.“
Während im islamischen Lager die einen den Druck verstärken und die anderen eine Kernsanierung des Islam fordern, gibt es auch säkulare Oppositionelle im Ausland, die alles Mögliche, wie Kriege in Libyen, Syrien und Irak heranziehen, um die Terrorakte in Paris zu „erklären.“
Erstaunlich nur, dass es bei diesen Säkularen um Publizisten und Journalisten handelt, die aus dem Iran geflohen sind und offenbar nicht wahrhaben wollen, dass die Terroristen dabei sind, jenen journalistischen Massstäbe und Gesetze, die im Iran oder Saudi-Arabien herrschen, universelle Gültigkeit zu verschaffen.
Der Beitrag wird in "Transparency for Iran" erscheinen.