US-Aussenminister Antony Blinken traf am Tag nach Pfingsten im Nahen Osten zu einem mehrtägigen Besuch ein, um die elftägigen militärischen Auseinandersetzungen zwischen Israel und der islamistischen „Hamas“ in Gaza und die seit vier Tagen wirksame Waffenruhe zu erörtern.
Erste Station seiner Reise war Israel – der erste Besuch Blinkens seit dem Regierungsantritt Bidens. Unter „normalen Umständen“ wäre das allein schon Grund genug für die israelische Regierung, die Gespräche mit dem Gast aus Washington ausgiebig dazu zu nutzen, die neue Nahostpolitik der US-Regierung zu erörtern: im Vordergrund die Frage des Atomabkommens mit dem Iran und erst erheblich später die Frage, was Biden zur Förderung von Friedenschancen in der Region plant – nachdem ein angeblicher „Jahrhundertplan“ seines Vorgängers Trump sich schon nach anderthalb Jahren als Makulatur erwiesen hatte.
Palästina nicht prioritär
Nach den Ereignissen im Gazastreifen, auf dem Tempelberg in Jerusalem, im besetzten Westjordanland wie auch unter der arabischen Bevölkerung Israels hätten dies eigentlich die wichtigsten Themen werden müssen. Davon war zunächst aber nichts zu spüren. Aus israelischen Regierungskreisen hiess es stattdessen an erster Stelle, dass man dem Gast erläutert habe, dass und warum Israel gegen eine Rückkehr Washingtons zum Atomabkommen mit dem Iran sei, die bereits seit Wochen Gegenstand internationaler Verhandlungen in Wien ist – wenn auch nur mit indirekter Beteiligung einer US-Delegation.
Auch dem Besuchskalender Blinkens ist zu entnehmen, dass die Probleme der Palästinenser im Gazastreifen nicht gerade im Vordergrund stehen: Ein Besuch in Gaza schon gar nicht, obwohl es doch in erster Linie der Druck Washingtons und Kairos gewesen war, der die Waffenruhe zustande gebracht hatte. Zwar lobte der Gast die Hilfe der Ägypter und er wird Kairo auch besuchen. Aber was die Palästinenser betrifft, so beschränken sich seine Gespräche offenbar auf ein Treffen mit Mahmoud Abbas, dem Präsidenten des „Staates Palästina“, mit der im Oslo-Abkommen 1993 vereinbarten Autonomie. Das hierfür vorgesehene Gebiet ist längst zwischen dem von der „Fatah“ mit Abbas an der Spitze im Westjordanland und dem Gazastreifen unter Kontrolle der „Hamas“ aufgeteilt, mit letzterer aber ist kein Treffen vorgesehen.
Die Regierung Netanjahu dürfte damit sehr zufrieden sein: Seine Übergangsregierung, die sich seit zweieinhalb Jahren von einer Wahl zur nächsten hangelt, ohne die eigene Position aber zu verbessern, ist erklärter Gegner der international befürworteten „Zweistaatenlösung“ für Israel und Palästina. Und sie hatte sich unter US-Präsident Trump daran gewöhnt, dass dessen Nahostkonzept diese Lösung nicht vorsah und unterstützte. Biden hingegen war kaum im Amt, da war zu hören, dass die Zweistaatenlösung doch wieder angestrebtes Ziel sein solle.
Mike Pompeo
Amerikanische Think-Tanks empfahlen deswegen, dass zunächst die beschriebene Trennung zwischen Westjordanland und Gazastreifen abgebaut und überbrückt werden sollte, damit sich neben Israel wirklich ein palästinensisches Gebiet langsam zum zweiten Staat entwickeln könne. Das aber läuft den Vorstellungen der Regierung Netanjahu zuwider: Solange die Trennung weiter existiert und man den inzwischen 86-jährigen Abbas oder einen möglichen Nachfolger als „Präsident Palästinas“ hofieren kann, gleichzeitig aber sein Staatsgebiet und auch seine Machtbefugnisse weitgehend kontrolliert und seine Beziehungen zur „Hamas“ sich auch nicht bessern, dürfte eine „Zweistaatenlösung“ in weiter Ferne liegen. Und Probleme wie die jüngsten Feuerwechsel zwischen Israel und der Hamas werden sich mit höchster Wahrscheinlichkeit weiterhin wiederholen.
Der Besuch Blinkens in Israel hat überdies noch in gewissen Kreisen Stirnrunzeln ausgelöst, weil zur selben Zeit sein Amtsvorgänger Mike Pompeo sich dort angesagt hat. Zwar „nur“ zu einem privaten Anlass – der Verabschiedungsfeier für den aus dem Amt scheidenden bisherigen israelischen Geheimdienstchef, Yossi Cohen – aber aus Regierungskreisen war bereits inoffiziell zu hören, dass ein solcher Besuch zur selben Zeit wie dem des Nachfolgers äusserst ungewöhnlich sei und Kontakte Pompeos zu offiziellen Stellen eine Verletzung des Protokolls darstellen würden.
Panne der Raketenabwehr
Ein weiteres Thema dürfte zumindest vorläufig nicht öffentlich diskutiert werden: Bei der Untersuchung der jüngsten Kämpfe am und im Gazastreifen stellte sich heraus, dass Geschosse des „Eisernen Doms“ – Israels bisher als sehr effizient geltender Luftabwehr – nicht nur einen hohen Anteil der von Gaza abgefeuerten Raketen abgeschossen haben, sondern auch eine israelische Drohne auf dem Weg nach Gaza.
Dies ist besonders peinlich, weil die Luftwaffe nun die Gründe hierfür untersuchen und im Falle des Versagens doch ernsthafte Verbesserungen des Systems wird vornehmen müssen. Man dürfte dann auch ausländischen Flugzeugen im Krisenfall nicht mehr Überflugrechte einräumen mit der Versicherung, der „Eiserne Dom“ sei äusserst zuverlässig.
Und peinlich berührt wird man sein, weil man plötzlich mit den „Kollegen“ in Iran verglichen werden könnte, die Anfang letzten Jahres „aus Versehen“ eine ukrainische Linienmaschine abgeschossen hatten.