Aus Anlass des 70. Geburtstages von Wim Wenders am 16. August 2015 zeigt das Düsseldorfer Museum Kunstpalast eine grosse Retrospektive. Wim Wenders hat ihr den Titel gegeben: "4Real & True2".
Drei Bände
Dieser Titel wirkt verspielt, vielleicht sogar manieriert. Dahinter aber verbirgt sich eine Auseinandersetzung mit der Fotografie und der Wirklichkeit, die ihresgleichen sucht.
Der Verlag Schirmer/Mosel wiederum hat nicht nur den Katalog zu dieser Ausstellung herausgebracht. Vielmehr macht er eine tiefe Verbeugung vor Wim Wenders, indem er zwei frühere Werke zum Teil erweitert wieder aufgelegt hat: „Written in the West. Revisited“ und „Einmal“. Das ist zudem ein grosses Geschenk an die Leser.
Denn es sind nicht nur die Bilder, die mit ihrer bezwingenden Stimmigkeit den Betrachter wieder und wieder in den Bann ziehen. Dazu kommen Überlegungen von Wim Wenders, die er teils in eigenen Essays, teils in seinen Texten zu einzelnen Bildern, teils in Interviews entfaltet. Es entsteht ein Raum tiefster Meditation.
Vergänglichkeit
Was geschieht dem Fotografen? Was macht das Bild mit der Wirklichkeit? Welche Rolle spielt die Zeit? Für Wim Wenders ist jedes Bild, genauer: jede Aufnahme, ein Akt persönlichster Hingabe. Dafür braucht er innere Vorbereitung, Alleinsein, gesteigerte Wahrnehmung.
Jedes Bild ist zugleich ein letztes Bild. Keine Situation wird sich so, wie sie im Moment der Aufnahme war, wiederholen. Eine Feststellung wie diese kann banal sein. Für Wim Wenders ist sie das aber nicht, denn das „Einmal“ eines jeden Bildes ist das Medium einer im höchsten Masse verbindlichen Begegnung. Fotografie ist für ihn eine Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit, die im „Einmal“ einen sichtbaren Abdruck hinterlässt.
In dem Band „Einmal“ fängt jeder Bildtext mit diesem Wort an. So hat er es auch vorher schon gehalten, seitdem er angefangen hat zu fotografieren. Seine kurzen Geschichten beschreiben Konstellationen, die in seinen Bildern zum Ausdruck kommen. Um sie sichtbar zu machen, bedarf es eine spezifischen „Einstellung“. Damit ist nicht allein die technische Einstellung der Kamera gemeint, sondern die innere Einstellung des Fotografen. Er sieht eben nur, was er sehen kann.
Unterschied zum Film
Wenders fotografiert Landschaften, die zumeist menschenleer sind. Diese Landschaften können Panoramen sein oder Strassen, Häuser, Innenräume. Alle Bilder weisen Symmetrien auf, die man auf den ersten Blick nicht zu begreifen braucht, um von ihnen in den Bann geschlagen zu werden. Es entsteht das Gefühl, dass jedes Bild in sich stimmig und wahr ist.
Der Gedanke legt sich nahe, dass hier der meisterhafte Regisseur sein bildnerisches Können einsetzt. Doch trifft das die fotografischen Arbeiten von Wim Wenders nicht. Die Fotografie ist für ihn ein Medium, das sich vom Film radikal unterscheidet. Jedes Foto ist für ihn eine in sich abgeschlossene Einheit, während jede Einstellung eines Film ein Vorher und Nachher hat und nur dadurch Sinn ergibt.
Trostlose Spuren
Allerdings benutzt Wim Wenders die Kamera auch als ein Mittel zur Vorbereitung von Filmen. Am eindrücklichsten zeigt sich das an seinen Bildern aus dem Westen Amerikas. Hier hat er die unendliche Weite und Leere, die bisweilen geradezu trostlosen Spuren der schon längst wieder weitergezogenen Zivilisation verfolgt und in Bilder umgesetzt. Aber der Film „Paris, Texas“ ist davon dann deutlich unterschieden.
Wenders bevorzugt Mittelformatkameras. Sein absoluter Liebling ist die Makina-Plaubel 6x7. Diese Kamera benutzte er für seine Aufnahmen im Westen Amerikas mit einem 90mm Objektiv, was eine Perspektive ergibt, die dem natürlichen Sehen entspricht. In aller Regel fotografiert Wenders ohne Stativ. Als zweite Kamera benutzt er eine Leica.
Wim Wenders lehnt die digitale Fotografie prinzipiell ab. In dem Begleitband zur Düsseldorfer Ausstellung „4 Real & True 2“ widmet er diesem Thema einen Essay, und es wird klar, dass der Ausstellungstitel eine einzige Spitze gegen das digitale Bild ist. Warum?
Analog versus Digital
Das Wesen der herkömmlichen Fotografie – Wenders würde in diesem Zusammenhang „Photographie“ schreiben – liegt darin, dass sie reale Gegenstände zu einem bestimmten Zeitpunkt abbildet. Sie hat es also mit Realität zu tun. Zudem ist das analoge Bildmaterial begrenzt. Das gilt insbesondere für die Anfänge der Fotografie mit den Bildplatten. Aber selbst der Kleinbildfilm ist ein sehr begrenztes Speichermedium im Vergleich zu den digitalen Speichern. Zudem verursacht analoges Material Kosten. Der Fotograf wird also sparsam damit umgehen.
Ganz anders die digitale Fotografie. Wo man früher wenige Aufnahmen machte, entstehen heute viele, so dass das einzelne Bild an Bedeutung verliert. Und selbstverständlich gehen die Bilder in nachträgliche Bearbeitungsprozesse, so dass das ursprüngliche Motiv ganz nach dem Geschmack des Fotografen verändert wird.
Kreatives Warten
Wenders weiss, wovon er spricht, denn er hat auch mit digitalen Kameras fotografiert. Aber er hat gemerkt, wie sich dadurch seine „innere Einstellung“ verändert hat. Die Beliebigkeit der Bilderzahl und die sofortige Kontrolle des Bildes auf dem Monitor hat nichts mehr mit der ursprünglichen Fotografie zu tun. „Wenn ich nicht sogleich überprüfen kann, was ich tue, muss ich im Innersten mit meinen Entscheidungen einverstanden sein und mir meiner Sache sicher sein, dass ich ´das Bild habe`.“
Zudem werden in der digitalen Fotografie die misslungenen Bilder „deleted“. „Im Deleten machen wir uns auch selbst ungeschehen, löschen spurlos dieses Stück Zeit unseres Lebens, das sich in jenes nun inexistente Photo investieren wollte.“ Negative würde man dagegen nicht wegwerfen.
Man wird wenige aktuelle Texte zur Fotografie finden, die derartig tiefgründig sind. Wenders geht es nicht um ein paar geistreiche Bemerkungen zur Ästhetik, sondern um das Thema der Realität, die in der Zeit erscheint und wovon der Fotograf ein Teil ist. Im Abdriften in die virtuelle Realität sieht er eine grosse Gefahr und fragt: „Wie wirklichkeitsfähig bleibt unsere Spezies!?“ Wird das Zusammenleben „von Angesicht zu Angesicht“ möglich bleiben oder entfremden wir uns „von jeder Erfahrung aus erster Hand“?
Realität, wie Wim Wenders sie in seinen Fotos darstellt, hat immer Dimensionen, die über die blosse Abbildung hinausgehen. Es ist paradox: Wenders nimmt sich als Fotograf zurück, wählt zentrale Perspektiven, tut also so, als wäre er als Fotograf gar nicht vorhanden, sondern lasse die Dinge für sich selbst sprechen, und schafft damit eine Dimension des Surrealen. In den Bildern ist immer etwas, das nur noch als Spur sichtbar ist oder sein Verschwinden schon ankündigt. Dazu kommt die Komposition, die so perfekt ist, dass man sie als Komposition kaum noch erkennt.
Der Einfluss Edward Hoppers
Er sei stark von Edward Hopper inspiriert, schreibt Wenders, und immer wieder erwähnt er seinen Freund Peter Handke. Der lieferte ihm Stoffe für Filme, aber es wohl noch wichtiger, dass beide ähnlich auf die Welt blicken. Realität ist für Wim Wenders voller Bezüge, sichtbaren und unsichtbaren, und er hat die Gabe und die Gnade, in diesem Geschehen die Geschichten aufzuspüren und von ihnen geradezu in die Konstellation gestellt zu werden, in denen dann sein Foto entsteht.
Die Bilder der Ausstellung „4 Real & True 2“ stammen aus mehreren Jahrzehnten und sind auf Reisen in verschiedene Kontinente entstanden. Ursprünglich hat Wim Wenders Schwarzweiss fotografiert. Aber gerade bei seinen Farbbildern fällt die stupende handwerkliche Präzision auf, mit der sie, ohne alle digitalen Tricks, vergrössert worden sind. Das kommt besonders in dem etwas grösseren Band, „Written in the West“, zum Ausdruck.
Die Bilder von Wim Wenders, verbunden mit seinen Texten, sind zurzeit das fruchtbarste und intensivste Nachdenken über das, was Fotografie sein kann und sein soll.
Retrospektive im Düsseldorfer Museum Kunstpalast "4Real & True2" bis 16. August 2015
Wim Wenders, 4 Real & True 2, Landschaften. Photograhien, 352 Seiten, 163 Tafeln, Schirmer/Mosel 2015
Wim Wenders, Written in the West. Revisited, 108 Seiten, 58 Farbtafeln, Schirmer/Mosel 2015
Wim Wenders, Einmal. Bilder und ihre Geschichten, 272 Seiten, 225 Tafeln in Farbe und Duotone, Schirmer/Mosel 2015