Ein Männer-Dreieck in einem Bürgerkrieg: Baschar Al Assad, Wladimir Putin und Qassem Soleimani. Sie gelten als Hauptakteure des syrischen Dramas. Der bedrängte Herrscher in Damaskus bekommt vom starken Mann aus Moskau Personal und Waffen. Um den dritten Mann, den mächtigen General der iranischen Revolutionsgarden, herrscht jedoch verordnete Ruhe. Soleimani kann kaum Erfolge vorzuweisen. Er wird inzwischen nicht nur von arabischen Medien, sondern auch aus dem engsten Kreis der iranischen Macht heftig kritisiert.
„Der Winter des Generals“: Reisserisch klang die Schlagzeile, die am 5. September in der britischen Zeitung „The Economist“ zu lesen war. Dabei gilt das Blatt gemeinhin als solide und seriös. Mit dem General ist Qassem Soleimani gemeint, dem das iranische Militärengagement in Syrien, dem Irak, Jemen, und Libanon untersteht. Seine Alleingänge machten dem mächtigsten Mann des Iran, Ayatollah Ali Khamenei, so ernsthafte Sorgen, dass der ihn künftig mehr und besser kontrollieren wolle, enthüllte „The Economist“. Auserkoren für diese Kontrolle sei Mohassen Rezai. Rezai, der in jungen Jahren selbst an der Spitze der Revolutionsgarden stand, ist heute Pensionär, der bereits vor 20 Jahren seine Militäruniform ausgezogen hat. Als er Mitte August plötzlich wieder in Uniform auftrat, wunderten sich viele. Gefragt, warum er sich plötzlich im neuen alten Outfit zeige, war Rezais Antwort rätselhaft: „Die Uniform trage ich wieder auf Verlangen und mit Erlaubnis des Revolutionsführers“, sagte der alte Herr.
Verordnete Ruhe
Wie zu erwarten ignorierten die iranischen Medien die brisanten Neuigkeiten von „The Economist“. Dafür griffen aber jene arabischen Medien die Story auf, deren Gegnerschaft zum Iran offenkundig ist. Vieles dort las sich zunächst spekulativ, oft war von anonymen Quellen die Rede. Offizielle oder erhellende Antworten in dieser Affäre von der iranischen Regierung zu erwarten, wäre auch illusorisch, zumal sich über einen eventuellen Karriereknick eines mächtigen Mannes wie Qassem Soleimani nicht öffentlich reden lässt. Doch in Zeiten von Internet und Satellitenfernsehen und angesichts einer Bevölkerung, die in ihrer überwiegenden Mehrheit in der virtuellen Welt unterwegs ist, kann man eine solche brisante Geschichte nicht komplett verschweigen – auch, da gewisse arabische Medien wie etwa „Al Arabieh“ immer wieder mit Einzelheiten nachsetzen und nicht aufhören zu spekulieren.
Und dass in iranischen Medien um den geheimnisumwobenen General Ruhe herrscht, sorgt dabei für weitere Gerüchte und Vermutungen. Noch bis Anfang Juli wurde Soleimani, der sich als Dorfjunge ohne Abitur der Revolution anschloss, wie ein sagenhafter Held, wie ein Kämpfer mit übernatürlichen Kräften gefeiert. Jedes noch so kleine Detail seines Lebens war für iranische Medien interessant und berichtenswert. Die Propaganda um seine Person war so überwältigend, dass viele im Iran glaubten, nur Soleimani allein könne den IS besiegen. Der General schien der Mann der Stunde und sogar der Zukunft zu sein. Über den Kommandeur der Qods-Brigaden der Revolutionsgarden, der sein gesamtes Wissen und Können dem achtjährigen Krieg mit dem Irak verdankt, wollte ein Regisseur sogar ein Heldenepos drehen. Doch die Arbeit daran wurde plötzlich gestoppt.
Das Ende des Schweigens
Seit vergangenem Sonntag wissen wir die Gründe für die plötzliche Ruhe um den so verehrten General. An diesem Tag veröffentlichte die Webseite „Irandiplomacy“ einige höchst aufschlussreiche Details und Hintergründe über dessen destruktive Rolle im Irak. Damit taucht endlich eine offiziöse Bestätigung für jene Spekulationen auf, die seit September in arabischen Medien im Umlauf sind. „Irandiplomacy“ wird nämlich von Sadegh Kharrazi, dem ehemaligen Botschafter des Iran in Paris, betrieben. Kharrazi ist mit der Familie des verstorbenen Revolutionsführers Ayatollah Ruhollah Khomeini ebenso verbunden wie mit der des jetzigen mächtigsten Mannes im Iran, Khamenei, als dessen Vertrauter er gilt.
Seit der Veröffentlichung kennen wir nicht nur Einzelheiten über die Dimension der iranischen Einmischung im Irak. Wir erfahren auch, wie bestimmend und herrisch Soleimani im Nachbarland schaltet und waltet - und können so nachvollziehen, warum viele Iraker ihn zu den Zerstörern ihres Landes zählen. „Irandiplomacy“ zählt nur drei Ereignisse auf, die sich alle im Monat August ereigneten, also genau in jenen Tagen, in denen der irakische Ministerpräsident Heidar Al Abadi versuchte, das Auseinanderbrechen seines Landes zu verhindern. Es sind die Tage, in denen der Druck der Strasse für den Kampf gegen Korruption ständig zunimmt, der Krieg gegen den Islamischen Staat in den Provinzen Moussel und Anbar kaum voran kommt und die Amerikaner wiederholt ihre Unzufriedenheit über Abadis Regierung äußern.
Streit am Flughafen von Bagdad
Al Abadi sieht sich gezwungen zu handeln. Als erstes kündigt er in einer dramatischen Fernsehansprache an, seine Regierung werde den Irak von Grund auf reformieren, alle „korrupten Elemente“ von ihren Posten entfernen, die „sunnitischen Brüder“ an Entscheidungen beteiligen und die ausländischen Einmischungen im Lande beenden. Als Zeichen seiner Entschlossenheit entlässt der Ministerpräsident seinen Vorgänger Nuri Al Maleki von seinem Posten als Vizepremier, zugleich gibt er den Sicherheitskräften am Bagdader Flughafen den Befehl, ab sofort alle iranischen Flugzeuge, die dort landen, zu kontrollieren. Bis zu diesem Datum seien täglich iranische Frachtflugzeuge in Bagdad angekommen und niemand habe gewagt, die zu kontrollieren, schreibt „Irandiplomacy“. Die Militärtransporter seien auf Soleimanis Befehl unterwegs und beladen mit Waffen für Syrien ebenso wie für den Irak. Ausrüstungen, die nach Syrien gelangen sollen, lade man oft in irakische Flugzeuge um, der Rest würden unter den mit dem Iran verbündeten irakischen Gruppen verteilt, so die Webseite weiter.
Einen Tag nach Al Abadis Anordnung sei es am Bagdader Flughafen wegen der Kontrolle einer iranischen Maschine zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen. Die Situation eskalierte, weil an diesem Tag neben Waffen auch hochrangige Kommandeure der Revolutionsgarden in Bagdad eingetroffen waren, die sich auf dem Weg nach Syrien befanden. Wie der Streit am Bagdader Flughafen zuende ging, wer sich letztlich durchsetzte, lässt „Irandiplomacy“ offen. Doch der Flughafen untersteht dem irakischen Verkehrsminister Hadi Al Ameri, einem engen Freund Soleimanis. Dreissig Jahre lang lebte Ameri im Iran, wurde dort von den Revolutionsgarden militärisch ausgebildet, seine iranische Frau und seine Kinder wohnen immer noch in jenem Teheraner Stadtteil, der für hochrangige Kommandeure der Garden vorgesehen ist. Das zweite Ereignis, das „Irandiplomacy“ minutiös beschreibt, lässt durchblicken, wer im Irak das letzte Wort hat und warum Al Abadis Reformversuche ins Stocken geraten sind.
„Du hast keine Macht"
Es ist der 29. August. Ministerpräsident Al Abadi hatte mehrere einflussreiche Führer paramilitärischer schiitischer Gruppen eingeladen, um für seine Reformpläne zu werben. Anwesend ist auch sein Vorgänger Nuri Al Maleki, der gerade von einer Iran-Reise zurückgekehrt ist. Eine Woche vorher hatte das irakische Parlament beschlossen, Maleki wegen Korruption und seines Versagens im Kampf gegen den IS vor Gericht zu stellen. Als Al Abadi an diesem Tag den Sitzungssaal betritt, ist er schockiert, weil er auch Soleimani unter den Anwesenden sieht.
Sofort kommt es zu einem heftigen Schlagabtausch zwischen dem irakischen Ministerpräsidenten und dem iranischen General. Als erster ergreift Soleimani das Wort und attackiert Al Abadi ungewöhnlich scharf: „Deine Reformpläne nutzen nur den Feinden der Schiiten. Warum willst Du Maleki entmachten, warum hast Du Deine Verbündeten nicht über deine Pläne informiert? Wie willst du das alles allein bewältigen? Ohne uns kannst Du nichts zustande bringen“, zitiert „Irandiplomacy“ den iranischen General und ergänzt: „Alle Anwesenden schwiegen, nur Maleki nickte zustimmend.“ Auf Al Abadis Frage, für wen Soleimani eigentlich spreche, „für die iranische Regierung oder für dich selbst?“, kam eine vielsagende Antwort des iranischen Generals. Sie lautete: „Für mich, für den Iran und für alle kämpfenden schiitischen Gruppen im Irak.“ Anschließend verliess Soleimani den Saal.
Das dritte Ereignis, das sich ebenfalls Ende August abspielte, gibt „Irandiplomacy“ in nur zwei Sätzen wieder: Amerikanische Militärberater im Irak hätten sich wieder einmal heftig bei Al Abadi beschwert, weil schiitische Paramilitärs in der vom IS kontrollierten Provinz Anbar chaotisch, willkürlich und deshalb kontraproduktiv vorgegangen seien. Gemeint seien jene Verbände, die als Soleimanis Verbündete gelten.
Selbst für Kenner der irakischen Verhältnisse sind solche Einzelheiten über Soleimanis Auftreten und Wirken im Irak interessant und aufschlussreich. Noch bemerkenswerter ist, dass man diese Details in einem Organ liest, das dem Kern der iranischen Macht sehr nahe steht. Ist damit „der Winter des Generals“ tatsächlich angebrochen? Wahrscheinlich ist diese Schlussfolgerung zu voreilig. Einst schrieb Soleimani an den US-General David Petraeus, er, Soleimani, allein bestimme die iranische Politik im Irak, in Syrien und im gesamten Nahen Osten. Doch diese Politik zeigt kaum Erfolge. Die nahöstlichen Bürgerkriege toben unvermindert weiter und produzieren täglich mehr Flüchtlinge, während der geheimnisumwobene Revolutionsgardist weiterhin an Plänen bastelt, allerdings ohne erkennbare Strategie.
Quellennachweis: Www.the economist sept 5th/11th page 38 www.irdiplomacy.ir/fa/page/1951906/%D8%B3
Mit freundlicher Genehmigung Iranjournal