Das ist keine Übertreibung: Als die diplomatische Mission 2011 nach der Verwüstung durch „revolutionäre Studenten“ geschlossen wurde, stand der Iran am Rande eines Krieges.
Im Bild: Aufgebrachte Masse vor der britischen Botschaft am 29. November 2011. Während Revolutionsführer Khamenei, der die Krise damals entscheidend befeuerte, zur heutigen Kehrtwende schweigt, schmieden die Briten grössere Pläne im Iran. „Der alte Fuchs ist wieder da“: „Eine gelungene Schlagzeile, die wir gern übernommen haben“, schrieb die iranische Nachrichtenagentur Fars am vergangenen Sonntag. Mit der Ankunft des Fuchses war die Wiedereröffnung der britischen Botschaft gemeint, die unter strengen Sicherheitsmaßnahmen und praktisch ohne Öffentlichkeit stattfand.
Das Lob der Agentur, die den Revolutionsgarden nahesteht, galt der Tageszeitung Keyhan, dem wichtigsten Organ der Radikalen im Iran. Denn die Schlagzeile traf den Kern der Sache – eine Einschätzung, in der sich alle Hardliner so einig waren, dass sie sie fast alle bei ihrer Berichterstattung ganz oder wenig verändert übernahmen.
„An allem ist Englis schuld“
Die Bezeichnung „alter Fuchs“ für Grossbritannien ist vielen iranischen Politikanalysten so geläufig, dass man unweigerlich den Eindruck gewinnt, ohne sie liesse sich weder die Geschichte noch die Nahostdiplomatie des britischen Empires beschreiben. Während „der grosse Satan“ für die USA reserviert ist, muss sich Grossbritannien, das im Iran stets abfällig „Englis“ genannt wird, mit der Titulierung „alter Fuchs“ begnügen. Doch während der Satan als Gotteswidersacher zwar monströs und ungeheuerlich und gewiss sehr mächtig ist, geht er mit seiner Macht oft ungeschickt um. Der Fuchs dagegen ist das Sinnbild der Hinterlist, er verfolgt seine Ziele stets mit Ränkespiel und Zwietracht, und je älter, umso hinterlistiger wird er.
Diese Charakterisierung der britischen Diplomatie ist keineswegs eine Erfindung der heutigen Machthaber in Teheran. Im Gegenteil: Es waren und sind immer noch die Säkularen und Linken, die die britische Politik im Iran stets als etwas Undurchsichtiges und Listiges beschreiben. Während die USA sich wie der Elefant im Porzellanladen verhielten, handelten die Briten immer im Verborgenen, suchten sich stets Verbündete und Spione im Innern, um mit deren Hilfe ihre Interessen durchzusetzen. Teile und herrsche bleibe das Prinzip der Engländer. Die klassischen Verbündeten der Briten im Iran seien nie die Linken oder die Liberalen gewesen, sondern immer die Geistlichen, so die gängige Meinung, die keineswegs allein von Verschwörungstheoretikern vertreten wird. Und historische Belege dafür gibt es zuhauf.
An allen Wendepunkten der iranischen Geschichte seit dem 18. Jahrhundert waren die Briten stets anwesend und verfolgten ihre koloniale Politik im Halbdunkeln. Selbst seriöse Historiker, die sich mit der iranischen Geschichte der vergangenen 200 Jahre beschäftigen, sehen bei allen wichtigen Ereignissen immer Englands Handlanger am Werk, die merkwürdige Symbiose von „Englis und Akhund“, Britannien und den Mullahs.
„Das Werk der Engländer“
„Das ist das Werk der Engländer“, heisst es im Volksmund, wenn ein Ereignis kompliziert erscheint oder sich einer einfachen und rationalen Erklärung entzieht. Falsch und richtig zugleich. Jedenfalls ist diese Ansicht, manche sagen, dieser Volksglaube, so tief im Bewusstsein der Menschen verankert, dass sie sich sogar Ayatollah Ali Khamenei, der Revolutionsführer, zunutze macht. Bei allen Auftritten, in denen er die westliche Politik verdammt - und das ist fast immer der Fall– bezeichnet er die USA als arrogante Macht. Doch für Grossbritannien hat er immer die Adjektive „fuchsig“, „listig“, „hinterhältig“ parat.
Bei seinem bisher letzten Auftritt am 12. August, als er 250 TV- und Radiomacher aus 25 islamischen Ländern empfing, ging Khamenei sogar noch einen Schritt weiter. Er warf den Engländern vor, sie hätten eine neue Version des Schiitentums kreiert, um unter den Gläubigen Zwietracht zu säen. „Ihr müsst Euer Publikum über das Londoner Schiitentum aufklären, Ihr müsst vor der List der Engländer warnen, die neuerdings mit dieser neuen Art der Schia Zwietracht säen“, rief er seine Zuhörer auf. Da Khamenei nicht alle islamischen Gelehrten hinter sich hat, nennt er seine Gegner im Klerus „Handlanger Londons“.
Die Geschichte wiederholt sich - aber nur als Farce
Auch dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Teheran und London vor vier Jahren ging eine ähnliche Hassrede voraus. Auf dem Höhepunkt der internationalen Sanktionen gegen den Iran hatte Grossbritannien im November 2011 als erstes europäisches Land die schärfsten Embargos gegen die iranische Zentralbank und die Ölindustrie verhängt. Zwei Tage nach der Londoner Entscheidung hielt Khamenei eine halbstündige Ansprache, in der er sich ausschliesslich Grossbritannien vornahm. Und sie war so scharf, so beleidigend, feindlich und sogar boshaft, dass seine treuesten Anhänger sofort verstanden, was zu tun war.
Erst beschloss das Parlament einen faktischen Abbruch der diplomatischen Beziehungen, zwei Tage später stürmten dann „revolutionäre Studenten“ - etwa hundert an der Zahl - erst die Residenz des britischen Botschafters im Norden der Hauptstadt, dann begaben sie sich ins Zentrum zum Botschaftsgebäude selbst. Das staatliche Fernsehen war selbstverständlich rechtzeitig mit Übertragungswagen am Ort des historischen Geschehens und berichtete live von einer neuen „politischen Revolution“. Jahre zuvor hatte Republikgründer Khomeini die Besetzung der US-Botschaft „zweite Revolution“ genannt.
Die Geschichte wiederholte sich aber nur als Farce: Wie damals flogen auch an diesem Tag Dokumente der Botschaft durch die Luft, gingen Bilderrahmen zu Bruch und wurden Wände mit antibritischen und antiisraelischen Parolen beschmiert. Historisch war dann in der Tat, was diese relativ kleine Gruppe an diesem Tag und unter der Aufsicht der iranischen Polizei anrichtete: Europäische Diplomaten verliessen das Land, einige Botschaften stellten ihre Arbeit ein. Die völlige Isolation des Iran beschleunigte sich rapide - und das zu einer Zeit, als das Land vor einem Abgrund stand. Denn wie der damalige israelische Verteidigungsminister Ehud Barak in seinen demnächst erscheinenden Memoiren schreibt: Israel stand damals kurz vor einem Militärschlag gegen den Iran.
Khamenei schweigt, Hammond träumt
Wer oder was diese startbereite Kriegsmaschinerie letztlich stoppte, wie die Welt damals einer Katastrophe ungeahnten Ausmasses entkam, ist spannend und ungewiss zugleich, und es werden sich damit wohl die Historiker beschäftigen. Der iranische Regierungschef Hassan Rouhani und sein Aussenminister haben dazu sicherlich einen, wenn nicht sogar den entscheidenden Beitrag geleistet. Deshalb wird das Atomabkommen mit dem Iran zurecht historisch genannt.
Irans Außenminister M. J. Sarif (rechts) mit seinem britischen Amtskollegen Philipp Hammond in Teheran am 13. August 2015. Für Philipp Hammond war daher auch die Wiedereröffnung der Botschaft in Teheran historisch. Khamenei dagegen, Hauptauslöser der gefährlichen Krise von damals, schweigt noch, er wartet wie immer noch ab, obwohl die Kehrtwende von heute ohne sein Plazet nicht denkbar gewesen wäre.
Der britische Aussenminister aber hofft auf eine bessere Zukunft: „Präsident Rouhanis Wahl und die Atomvereinbarung im vergangenen Monat waren wichtige Meilensteine. Ich glaube, wir haben das Potenzial, noch viel weiter zu gehen“, so Hammond. Und Rouhani selbst sagt: „Wir müssen Geschichte Geschichte sein lassen.“ Um zu erfahren, was Khamenei über solche „Ungeheuerlichkeiten“ denkt - dafür müssen wir uns noch gedulden.
Mit freunlicher Genehmigung Iran Journal