Er war wie kein Zweiter die Verkörperung des Erfolgs, Garant einer ungeahnten Expansion des Londoner „Guardian“. Unter Alan Rusbridger wurde die nationale Tageszeitung überschaubarer Reichweite zum Weltblatt. 2014 gewann der „Guardian“ für seine Rolle bei der Veröffentlichung der Enthüllungen von Edward J. Snowden über die NSA einen Pulitzer-Preis.
Rusbridger, Chefredaktor seit 1995, setzte uneingeschränkt auf Wachstum im Online. Er eröffnete neue Büros in den USA sowie in Australien und stellte Dutzende Reporter an. Dabei wandte sich der heute 62-Jährige stets entschieden gegen die Errichtung von Bezahlschranken, wie andere grosse Titel sie haben. Zwei Drittel der Leserschaft von „guardian.co.uk“ stammen heute von ausserhalb Grossbritanniens.
Doch der Erfolg hatte, wie sich heute zeigt, seinen Preis. Der „Guardian“ hat im vergangenen Jahr rund 65 Millionen Franken verloren, muss folglich sparen und über 300 Stellen abbauen. Gleichzeitig schrumpft das Vermögen des Scott Trust, jener wohltätigen Stiftung, die das Blatt finanziert – eine Entwicklung, die das Überleben des „Guardian“ nachhaltig gefährdet. In erster Linie haben, wie anderswo, relativ bescheidene Anzeigenerlöse im Digitalen nicht mit steigenden Verlusten im Print Schritt halten können. Nach seinem Höhenflug ist das Blatt unsanft auf dem Boden der ökonomischen Realität gelandet.
Inzwischen wird, intern und extern, die Kritik an der Geschäftspolitik Alan Rusbridgers immer lauter. Zwar ist er im Frühling 2015 als Chefredaktor des „Guardian“ zurückgetreten und durch Katherine Viner ersetzt worden. Doch hätte er im September Vorsitzender des Scott Trust werden sollen – eine Konstellation, die angesichts jüngster Tendenzen zunehmend problematisch erschien.
Noch wird in London gerätselt, ob Rusbridger aus eigenen Stücken auf das Amt verzichtet hat oder vom Stiftungsrat gegangen worden ist. Sein Abgangscommuniqué lässt keine Schlüsse zu: „Alle Zeitungen – und viele Medienorganisationen darüber hinaus – sind von heftigen ökonomischen Turbulenzen geschüttelt worden, die sich im vergangenen Sommer noch nicht vorhersehen liessen.“
Das sehen seine Kritiker anders. Rusbridger habe, monieren sie, vor lauter Wachstumseuphorie seit jeher das Geld mit vollen Händen ausgegeben, ohne sich gross um die Konsequenzen zu kümmern, nicht zuletzt um die Folgen für das Stammblatt, das laut Selbsteinschätzung neben dem glamourösen Online immer mehr zum ungeliebten Anhängsel verkam.
Fakt bleibt: Alan Rusbdridger, all seiner Verdienste um innovativen und mutigen Journalismus zum Trotz, hat künftig mit dem „Guardian“ nichts mehr zu tun. Obwohl es dem begabten Pianisten und künftigen Chef des Reuters Institute for the Study of Journalism in Oxford nicht langweilig werden dürfte. Erst in einigen Jahren allerdings dürfte sich zeigen, ob der digitale Weg, den er so konsequent und unbeirrbar beschritten hat, auf Dauer der richtige war. Dem „Guardian“ wär‘s zu gönnen.